Europa und die Digitalisierung: Chaos im Powerhouse

Europa hat eigentlich alles, was es für ein digitales Powerhouse braucht: Know-how, Experimentierfreude, Vielfalt. Doch es fehlt eine Struktur, eine Art Netzwerk, das den Kontinent mit seinen digitalen Enklaven zusammenbringt.

Länder und ihre Stärken.
Länder und ihre Stärken. (Quelle: Cognizant/Tech Nation)

Großbritannien ist stark bei der Entwicklung von Künstlicher Intelligenz, die Schweiz kennt sich mit Blockchain, der Technologie der Kryptowährungen aus, Estland, ohnehin ganz weit vorn in Sache digitaler Alltag, lockt Technologie-Kreative aus der ganzen Welt an, Finnland treibt die Wearables-Industrie voran, Frankreich widmet sich verstärkt der Förderung einer Start-up-Szene (nachdem diese sich mit dem drohenden Brexit zunehmend aus London zurückzieht).

Und Deutschland? Hat neben dem wackelnden Anspruch, seine Autobauer-Tradition in die Welt der selbstfahrenden Autos und der Elektromobilität zu übertragen, zumindest die höchste Konferenzdichte. Was so viel heißt wie: Wir können gut über die Digitalisierung reden (siehe auch Digitalpakt)? Jedes Land „wurschtelt“ irgendwie vor sich hin, die wenigsten digitalen Entwicklungen und Lösungen aus Europa sind weltweit führend. Von den 20 Top-Technologie-Unternehmen stammt keines aus Europa.

In der Studie „Europe: Digital Superpower? Or Second-Rate Periphery Player?“ (PDF) des IT-Dienstleisters Cognizant kommt der Kontinent daher nicht gut weg. Zwar verfügt er über historisch gewachsene Stärken und eine durchaus zukunftsweisende, aber stark fragmentierte Technologie-Landschaft. Trotzdem droht Europa nur eine Nebenrolle als bemühter Digital-Handwerker zu spielen.

Protagonisten sind die USA als Software-Schmiede und asiatische Staaten, allen voran China, die sich die Hardware-Dominanz unter den Nagel gerissen haben. Cognizant spricht von einer „digitalen Wüste“, weit entfernt von Orten wie Mountain View, Seoul und Seattle, den Standorten von jeweils von Google, Samsung und Amazon.

(Von den Top-Tech-Firmen kommt keine aus Europa. Quelle: Visual Capitalist)

Ziemlich deutlich reißt der IT-Dienstleister in seinen Ergebnissen an, was Europa tun muss, um mit seinem Charakter als pluralistische, zusammenarbeitende und grundsätzlich offene Gemeinschaft das kapitalistische Amerika und Chinas regierungsgesteuerte Wirtschaft auszugleichen.

Fördert die Start-ups!

Das Verhältnis erfolgreicher Start-ups in den USA und Europa liegt bei 5:1. Es sei dringend nötig, bessere Förder- und Finanzierungsmodelle zu etablieren, um Firmengründungen zu vereinfachen und zu beschleunigen.

Seid Pioniere digitaler Industrien!

Mit digitalen Technologien entwickeln sich völlig neue Branchenzweige wie KI, Blockchain oder Internet of Things (IoT). Europa brauche jetzt „Rockstars“, die die Bühne für sich einnehmen und die Welt mit ihren Lösungen bereichern. Zumindest wären jetzt Arbeitsgruppen gut, die potenzielle Märkte identifizieren.

Bringt Digital-Akteure zusammen!

Um erfolgreich zu sein, sollten alle Beteiligten für ein engeres digitales Ökosystem näher zusammenrücken. Von Gründern über Bildungseinrichtungen (Schulen, Universitäten) und Städteplanern bis zu Investoren und Konferenzinitiatoren – alle können digitale Innovationen vorantreiben.

Schafft eine „Innovations-Union“! 

Staatenübergreifende Initiativen und überregionale Kooperationen könnten die auf Europa verteilten Stärken bündeln. Im Hinblick auf Start-ups bringt beispielsweise die Start-up Europe Partnership (SEP) Gründer und Investoren zusammen. Das Konzept könnte auf Branchen und Bildungseinrichtungen ausgeweitet werden.

Menschlich, gemeinschaftlich, tolerant: Der Kontinent müsste sich auf seinen Ursprung besinnen – der würde gut zur Arbeitswelt und der Wirtschaft passen.

Europa steht und fällt mit seiner Grundidee einer gemeinschaftlich orientierten Gesellschaft – auch in der Arbeitswelt und beim wirtschaftlichen Erfolg, lautet das Fazit von Cognizant. Eigenschaften wie Vielfalt und Multikultur, die in der digitalen Arbeitswelt beispielsweise für Kreativität und neue Ideen stehen, sind Europa immanent. Im derzeitigen politischen Tohuwabohu, das gerade Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron zu einem offenen Brief und dem Appell für einen „Neubeginn“ verleitet hat, droht der europäische Charakter mit seinen zukunftsweisenden Eigenschaften verloren zu gehen. Mit ihm würden aber auch die Stärken für wirtschaftlichen Aufschwung schwinden.

Laut der Studie wäre der zutiefst menschliche und kooperative Ansatz für Europa ein Gegengewicht zu den kapitalistisch geprägten USA und der auf Befehl und Kontrolle beruhenden Strategie Chinas. Zum einen natürlich, um ein Stück vom Kuchen abzubekommen. Aber vielleicht auch, um Vertrauen in neue Technologien und die Kooperation Mensch und Technik zu schaffen. Ein solches drittes Element wäre in der Tat dringend nötig.

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