Warum es falsch ist, Automation mit Arbeitslosigkeit gleichzusetzen
„Automation vernichtet Arbeitsplätze“ – das stimmt nach aktuellen Erkenntnissen so nicht und die öffentliche Debatte sollte sich lieber nicht auf dieses Narrativ fixieren. Eine differenzierte Herangehensweise an das Thema ist dringend nötig, denn nur dann können sich Unternehmen und Arbeitende sowie die Politik entsprechend verhalten.
„Die vielfach prognostizierte Massenarbeitslosigkeit aufgrund des technologischen Wandels ist unwahrscheinlich“, sagt der Wissenschaftler Ulrich Zierahn. Wenn er über die Automation und Digitalisierung spricht, lässt er den Schluss, die Arbeitswelt finde in Zukunft quasi ohne Menschen statt, nicht zu. Nicht zum ersten Mal, aber nachdrücklich erläutert eine neue Studie, dieses Mal des Leibniz-Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) in Mannheim, deren Mitautor Zierahn ist, warum die öffentliche Debatte um die Automatisierung in der Arbeitswelt oft zu kurz greift.
Zwar weiß niemand, wie sich künftig wachsende Computerpower, Big Data oder Künstliche Intelligenz auf Industrien, Unternehmen, Kundenbeziehungen und Arbeitende auswirken werden. Auch die aktuelle Studie (pdf) des ZEW kann natürlich nicht die Zukunft voraussagen. Doch gerade vor dem Hintergrund massiver Veränderungen ist es ratsam, die Diskussion in alle Richtungen zu führen statt sie zu verkürzen.
Die Wahrnehmung in der Öffentlichkeit ist einseitig
Frey und Osbourne überschätzen das Automationspotenzial.
Dass am Fließband in Zukunft ausschließlich Roboter stehen oder Künstliche Intelligenzen wie Pepper oder Alexa im Laden helfen, sind keine Visionen mehr, sondern Pläne. Berichte über neue technische Möglichkeiten in der Altenpflege, oder über Datenanalyse-Tools, die die Auswertung von Excel-Tabellen von Tagen auf Sekunden verkürzen, oder über Algorithmen, die journalistische Inhalte produzieren, vermitteln das Gefühl: wir werden überflüssig. Viele unserer Tätigkeiten können automatisiert werden und für uns bleibt nichts mehr übrig. Aber stimmt das?
Auf diesen Nenner kommen zumindest die Autoren der lange Zeit als Nonplusultra geltenden Studie zum Thema von Frey und Osbourne, die davon ausgeht, dass jeder Job mit einer automatisierbaren Tätigkeiten wegfällt, wenn die Maschinen so weit sind. Sie setzten die Automation mit dem Arbeitsplatz und dessen Beschreibung gleich, was laut den Autoren dazu führt, dass die Hälfte aller US-Jobs durch die Technologie ausgelöscht werden.
Andere, auch die ZEW-Forscher sehen die Sache differenzierter und kommen zu dem Ergebnis: Frey und Osbourne überschätzen das Automationspotenzial. Die Mannheimer um Ulrich Zierahn stützen die Forschungen von Melanie Arntz und Terry Gregory. Sie überprüfen, was Arbeitende in diesem Job tatsächlich tun und weisen darauf hin, dass eine Beschäftigung aus vielen einzelnen Aufgaben besteht: Beispielsweise gibt es immer noch Sekretärinnen und Sekretäre, obwohl Computer Schreibmaschinen ersetzen und Workflow-Mechanismen die Organisation im Sekretariat veränderten. Sie arbeiten heute nur anders.
Automation ersetzt Aufgaben, aber nicht unbedingt Jobs.
Statt der Hälfte aller US-Jobs, wie Frey und Osbourne prognostizieren, sind laut ZEW-Studie nur rund 9 Prozent rundum automatisierbar, in Südkorea sogar nur 6 Prozent, in Deutschland liegt dieser Wert bei 12 Prozent. Laut Arntz hat das etwas mit dem recht hohen Bildungsniveau hierzulande zu tun. Wie hoch der Anteil in jedem Land ist, hängt ab vonden Investitionen in Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT), der Beschaffenheit der Industrie, der Arbeitsplatzorganisation sowie vom Bildungsgrad.
Die zweite Seite der Medaille: Zeit für den Wandel
Diese wissenschaftliche Verschnaufpause können Unternehmen nutzen, um über die Automatisierungsstrategie in ihrem Haus nachzudenken. Denn mit dieser Studie bekommt auch die andere Seite der Medaille wieder einmal Licht ab. „Die fortschreitende Digitalisierung und Automatisierung sorgen dafür, dass Unternehmen zunächst eher zusätzliche Beschäftigte brauchen und einstellen werden, um die neuen Technologien einzuführen, als Personal abzubauen“, so Zierahn. Der Fachkräftemangel und das Ringen um Arbeitende mit digitalem Know-how sind gute Beispiele dafür. Das Argument, die Massenarbeitslosigkeit sei damit nur kurzfristig abgewendet, kontern die Studienautoren mit weiteren Argumenten:
- Es dauert, bis sich neue technologische Entwicklungen im betrieblichen Alltag etablieren, weil Gelder freigemacht, Unsicherheiten beseitigt und Fachkräfte benötigt werden, die die Transformation in die Hand nehmen können.
- In dieser Zeit kann sich die Belegschaft auf neue Arbeitsumgebungen einstellen und durch Automationslösungen aufgefangene Routinetätigkeiten mit neuen Aufgaben kompensieren. Neue Kenntnisse und Fähigkeiten können nach und nach maschinelle Arbeiten ergänzen und geben Mitarbeitern Raum für kognitivere Arbeiten. Man könnte auch sagen: sie schaffen kreative Freiheiten, – für neue Produkte, Ideen oder Geschäftsmodelle.
- Neue Technologien schaffen neue Jobs. Technische Innovationen optimieren die Produktivität und senken Kosten. Produkte werden günstiger und öfter gekauft, was wiederum die Produktion ankurbelt und wofür man mehr Mitarbeiter braucht. Das können diejenigen sein, deren auf Routinearbeiten beruhender Job tatsächlich ganz wegfällt. Die Forscher gehen so weit zu sagen, dass es zu einem Effekt kommt, den sie „Wiederanstellung“ nennen. Das bedeutet, Arbeitende, die ihren Job durch die Automation verloren haben, können in neuen Aufgaben eine finanzielle Existenzgrundlage finden.
Automation und Einkommen: Das kann toxisch werden
Automationslösungen unweigerlich mit Massenarbeitslosigkeit gleichzusetzen, ist danach zu einfach. Durch das Akzeptieren der plakativen Schlussfolgerung verschwenden Firmen unnötig Zeit, die besser investiert wäre, wenn sie sich mit Prozessen und Strukturen auf der Basis unweigerlich herannahender Veränderungen auseinandersetzen und in neue Technologien sowie in die Weiterbildung der Belegschaft investierten, empfehlen die ZEW-Forscher.
Die Investition in automatisierte Arbeitsprozesse wirke sich sogar leicht positiv auf die Beschäftigung in Deutschland aus. Zwischen 2016 bis 2021 würde sie zu einem Jobwachstum von insgesamt 1,8 Prozent führen. Damit sind sie nicht alleine. Auch eine Studie des Forschungsinstituts zur Zukunft der Arbeit (IZA) erwartet mehr statt weniger Jobs durch Automation.
Je höher der Wissenstand und die Skills, desto weniger Auswirkungen hat die Automatisierung auf die Arbeit.
Was die Aus- und Weiterbildung betrifft, so ist das Verhältnis zur Automation tatsächlich ein toxisches Gemisch. Auch Arbeitende mit viel Wissen und analytischen Fähigkeiten üben automatisierbare Tätigkeiten aus. Doch die fallen am Ende weniger ins Gewicht, weil es genügend anderes zu tun gibt. Anders bei Jobs, die rein auf Routinetätigkeiten basieren und durch Maschinen ersetzt werden können. Ergo: Je höher der Wissenstand und die Skills, desto weniger Auswirkungen hat die Automatisierung auf die Arbeit.
Unternehmen müssen Mitarbeitern die Gelegenheit geben, sich intern oder extern weiterzubilden. Je besser die Qualifikation, desto höher letzten Endes auch das Gehalt. Bislang warnen die ZEW-Forscher vor einer Einkommensungleichheit auf dem deutschen Arbeitsmarkt und davor, dass gut (aus)gebildete und entlohnte Arbeitskräfte eher vom technologischen Wandel profitieren, als mittel bis gering gebildete und bezahlte Arbeitskräfte. Das hat wiederum zur Folge, dass die Nachfrage nach Gütern und Services sinkt, wenn mehr Menschen weniger verdienen und dann auch weniger produziert werden muss.
Ist Automation Messias oder Luzifer? Die Wahrheit liegt in der Mitte
Die Vorstellung, automatisierte Prozesse in der Arbeitswelt führten zu einem Heer Arbeitsloser, lähmt die Auseinandersetzung mit dem Thema. Die streckenweise einseitige Haltung schlägt sich mancherorts auf die Diskussion um die Digitalisierung nieder, was nicht gut ist, urteilen die Autoren der Studie. Denn erstens sind Digitalisierung und Automation nicht das gleiche. Und zweitens kommt der digitale Fortschritt so oder so. Sich damit nicht auseinanderzusetzen wäre fatal.
Die ZEW-Studie sowie weitere Untersuchungen bereichern die Debatte und erinnern daran, dass es von jeher Diskussionen gab, wenn neue Technologien den Markt besiedelten. Bisher haben sich Unternehmen und Mitarbeiter immer anpassen können. Ja, einige konnten und können dem Wandel nichts entgegensetzen. Und doch: Auch wenn völlig unklar ist, wohin digitale Technologien die Arbeitswelt führen werden, jetzt ist nicht die richtige Zeit für Dystopien, die den Impuls, sich neu zu erfinden, unterdrücken.