New Work – Es geht um viel mehr als Effizienz und Produktivität
Der digitale Wandel der „alten Arbeitswelt“ hat sich zu einer Art Testgebiet für New Work entwickelt. Doch die neue Arbeit ist mehr als Effizienzsteigerung und Produktivität durch Digitalisierung. New Work umfasst das ganze Leben – Kultur, Werte und Sinnsuche inklusive.
Das aktuelle Verständnis von Arbeit fällt langsam aus der Zeit. Die „alte Arbeit“ ist geprägt von Industrie- und Lohnarbeit. Arbeitende verrichten ihren Dienst innerhalb vorgegebener Stunden, in denen sie unsichtbar sind und das tun, was Führungskräfte ihnen sagen. Der Mensch ist ein Kostenfaktor. Er soll funktionieren und den Profit des Unternehmens mehren.
New Work ist gelebte Kapitalismuskritik – und noch viel mehr.
Das Bild von Arbeit, mit Werkstor und Fließband, wird aktuell übermalt von Wissensarbeit, digitalen Technologien, Automation und Vernetzung. Die Folge: Arbeit wandelt sich – und mit ihr die Menschen. Der digitale Wandel auf der Überholspur führt dazu, dass repetitive Aufgaben wegfallen und das Individuum Zeit hat, nach dem Sinn seiner Tätigkeit zu fragen. „Warum mache ich das, wofür genau und wie kann ich mitgestalten?“ Antworten darauf kann die alte Arbeitswelt nicht geben. Denn dort gab es solche Fragen nicht. In der Arbeitswelt von New Work diktieren Führungskräfte nicht, sondern haben Antworten auf eben jene Fragen und ermöglichen sogar, dass Arbeitende in ihrem Tun selbstständig nach Erfüllung suchen können. Der Beruf soll kein Beruf mehr sein, sondern eine Berufung, fußend auf dem, was der oder die Einzelne will.
Die eigentliche Idee von New Work hat nur bedingt mit Arbeit zu tun
Der Ansatz klingt nicht nur philosophisch, er ist es auch. Der Begriff „New Work“ ist eine Erfindung des Philosophen Frithjof Bergmann. Er stellte in den Siebzigerjahren die Frage nach der Freiheit des Menschen, aus der dieser Kraft und Kreativität schöpft, um für sich selbst zu bestimmen, zu sorgen und sich selbst zu verwirklichen. Diese Berufung motiviert ihn, seine Stärken zu finden und sie zu nutzen, um gute Arbeit zu leisten. Und das nicht im Sinne eines Jobs, sondern einer persönlichen Tätigkeit (Siehe auch: Wie Bergmann New Work definiert).
Ihn ärgert gehörig, dass seine Idee auf Dinge wie Homeoffice, flexible Arbeitsmodelle, Teamwork, Bürogestaltung sowie Work-Life-Balance reduziert wird und am Ende immer steht: Das macht den Mitarbeiter produktiver, das Unternehmen effizienter, die Kosten sinken, der Umsatz steigt. Bergmann möchte nicht, dass New Work als Heilmittel für die „milde Krankheit“ namens Arbeit missverstanden wird. Denn weder sei die Bewegung in ihrer ursprünglichen Idee dazu da, Unternehmen noch erfolgreicher zu machen, noch um Arbeitende effizienter werden zu lassen. Die Welt verändere sich in einem galoppierenden Tempo und New Work als Kulturgut ist dabei das entschleunigende Element und nicht der Turbo für mehr Kapitalismus. Die neue Kultur mit ihren neuen Werten müsse bereits in Kindergärten und Schulen beginnen.
Was bedeutet New Work für Arbeitende und Unternehmen?
Bergmann fordert nicht weniger als einen Aufstand. Aktuell ist es eher ein Revolutiönchen. Denn der New-Work-Ansatz hangelt sich am Wort entlang und hat derzeit (nur) die Arbeitswelt im Griff: neue Arbeitsweisen für Beschäftigte und Führungskräfte, die immerhin von der Idee geprägt sind, zufriedenere Arbeitende und nahbare Chefs unterm Firmendach zu vereinen.
Gerade junge Menschen, die ins Arbeitsleben eintreten, legen nicht nur das Kriterium Geld an. Sie verlangen das, was Bergmann nicht reicht, um New Work zu leben, nämlich hauptsächlich selbstdefinierte Flexibilität. Doch sie denken aktiv über ihre Rolle im Unternehmen nach, wollen sich weiterbilden dürfen und Zeit haben, um Ideen zu entwickeln. Sie bestehen darauf, das was sie können, auch einzubringen. Auch suchen sich Bewerber ihre Arbeitgeber danach aus, welchen ökologischen Fußabdruck das Unternehmen hinterlässt, ob es karitativ tätig ist oder ein Produkt herstellt, dass Sinn macht.
Während Arbeitende also ihre Stärken freilegen, müssen sich Führungskräfte von vermeintlichen Stärken verabschieden. Das Aufbrechen alter Denkmuster ist besonders schwierig. Denn der Begriff „die da oben“ stammt aus der Zeit von Organisationsstrukturen in Form einer Pyramide. Oben an der Spitze steht der Chef. Er weiß alles, kann alles, nach seiner Pfeife wird getanzt. Dieser autoritäre Führungsstil ist nicht mehr zeitgemäß, denn man kommt dahinter, dass auch diejenigen entscheiden sollten, die Ahnung vom Thema haben. Will heißen, wer clevere Leute einstellt, aber dann über ihren Kopf entscheidet, sitzt im „Liegestuhl auf der Titanic“. So hat es Thomas Sattelberger, Personalvorstand a.D. bei der Telekom, Daimler und Lufthansa formuliert in dem sehr sehenswerten Film „Die stille Revolution“ über den Wandel in der Arbeitswelt.
Führungskräfte dürfen sich in der zukünftigen Arbeitswelt nicht als Bestimmer verstehen, sondern sollen Ermöglicher (Enabler) sein, damit die Experten im Unternehmen genug Freiraum haben, ihre Sachkompetenz für eigene Entscheidungen zu nutzen. Am Beispiel agiler Teams ist das gut zu beobachten. Sie zeichnen sich durch Unabhängigkeit und Selbstorganisation aus. Aufgabe der Führungskraft ist es, die besten im Team zu versammeln, sie mit Budget auszustatten, sich ums Organisatorische zu kümmern und ihnen ansonsten den Rücken freizuhalten.
Wie weit ist es noch bis New Work?
Zur Antwort auf Bergmanns Frage „Was willst du wirklich, wirklich tun?“ ist es ein weiter Weg. Dass sich die ganze Gesellschaft auch außerhalb der Arbeit nach den Grundsätzen von New Work richtet, nach der Freiheit des Menschen nur das zu tun, was ihm liegt, ist noch weiter entfernt. Und doch wäre es grundverkehrt, New Work für esoterischen Quatsch im Batikkleid zu halten.
Vier Gründe, warum New Work für die Arbeitswelt bedeutend ist:
- Die Digitalisierung erleichtert den Wandel von der Industrie- in eine Wissensgesellschaft, die geprägt ist von Kreativität, Ideen und dem Mut, Dinge zu hinterfragen. Wenn sich Berufe verändern und Menschen gezwungen sind, über ihre Arbeitszukunft nachdenken, erweitern sie ihren Horizont und lassen neue Ideen zu. Sie hinterfragen sich selbst und landen sehr wahrscheinlich beim Warum. Das betrifft nicht nur die Jungen; vor allem ältere Mitarbeiter, die schon einiges erlebt haben, möchten vorwiegend Dinge tun, sie ihnen sinnvoll erscheinen.
- Mit dem klassischen Führungsstil ecken Unternehmensleitungen zunehmend an, was dazu führt, dass sie kompetente Fachkräfte, die nach anderen Kriterien anheuern, nicht bekommen. New-Work-Ideen jetzt für sich zu entdecken, kann über die Zukunft der Firma entscheiden.
- Neue Technologien ermöglichen den Austausch und das Teilen von Wissen in nie geahnter Form. Das erweckt menschliche Grundbedürfnisse zu neuem Leben, nämlich Neugier und Kommunikation. Vernetzung, Collaboration-Tools und Teambuilding holen brach liegende Bedürfnisse an vielen Arbeitsplätzen zurück und motivieren dazu, nicht Dienst nach Vorschrift zu machen, sondern aktiv mitzugestalten.
- Die weitläufig angestrebte Work-Life-Balance ist eigentlich keine gute Idee. Sie setzt voraus, Arbeit und Leben strikt zu trennen. Das wäre dann wieder so wie in der Industrialisierung und dem Abgeben der Identität am Werkstor. Arbeiten ohne wahrgenommen zu werden – das passt nicht zum Selbstbild junger Menschen – und nicht nur ihrem.
New Work und Profit – doch, das passt
Wer jetzt Angst bekommt und glaubt, der New-Work-Ansatz bringe keine Profit, der muss sich mit dem Gegenteil anfreunden. Zwar gefällt Bergmann der Zusammenhang mit dem Kapitalismus nicht, aber: Beschäftigte, denen es im Betrieb gut geht, sind motivierter (und produktiver) als diejenigen, die frustriert Dienst nach Vorschrift tun.
Der Impuls für „New Work“ muss noch einmal von oben kommen. Denn Mitarbeiter, die es gewohnt sind zu schweigen, preschen nicht mit innovativen Ideen vor.
Das schwerste an der neuen Arbeitswelt ist der Abschied von der stetigen Akkord-Produktion zur Profitsteigerung. Die Phase, sich Zeit zu nehmen, um sich weiterzubilden oder das eigene Jobprofil weiterzuentwickeln ist zunächst nicht produktiv, kostet erst einmal nur Geld. Gleiches gilt für Investitionen in die Unternehmenskultur: zum Beispiel eine kooperative und kommunikative Belegschaft, die vernetzt ist, untereinander aber auch mit Unternehmensanwendungen, die ihnen lästige Arbeit vom Hals schaffen.
Das muss ausnahmsweise noch einmal „von oben“ kommen. Denn Mitarbeiter, die es gewohnt sind zu schweigen, kommen nicht mit innovativen Unternehmenskonzepten um die Ecke. Für den Impuls aus der Chefetage braucht es Mut, Kompetenz und Ausdauer. Und die Beschäftigten müssen die Freiheit nutzen, die plötzlich da ist. Die Arbeitswelt mag ein Testgebiet für die New-Work-Bewegung sein. Dennoch: Wer viele Stunden mit Arbeit verbringt und dort eine inspirierende Kultur vorfindet, der trägt sie vielleicht auch mit nach Hause.