Die Kunst des Arbeitens: Volles Gehalt und maximale Freiheit

Ein Kunstprojekt in Schweden tackert bedeutende Fragen der Arbeitswelt von Morgen an eine Stellenanzeige: Wie arbeiten Menschen künftig, wenn sie bei Vollzeitgehalt frei über Inhalt und Zeitaufwand entscheiden können? Und was bedeutet das für Unternehmen?

Eine jüngst veröffentlichte Stellenanzeige für einen Job in Göteborg impliziert nahezu alles, was derzeit in der Arbeitswelt diskutiert wird: 4-Tage-Woche, keine Hierarchien, Eigeninitiative und Eigenverantwortung im Job, kreative, grenzenlose Freiräume. Klingt wie ein Traumjob. Doch wie realistisch und realisierbar ist das?

„Er kann kreativ sein, Projekte verfolgen oder sich für den Müßiggang entscheiden.“ Nur die Stechuhr ist Pflicht.

Laut der Jobbeschreibung für die Stelle im planmäßig 2025 fertiggestellten Bahnhofsneubau in Göteborg hat der oder die Angestellte keinerlei Pflichten und Verantwortlichkeiten – die Tagesplanung ist individuell gestaltbar ohne Reportings oder Ergebnispflicht. Die unbefristete Vollzeitstelle mit einem Anfangsbruttogehalt von 2046 Euro sei dennoch keine Lizenz zum Faulsein, sagt Magdalena Malm von der Kunstbehörde gegenüber der Süddeutschen Zeitung. „Dem Angestellten wird freigestellt zu tun, was er will…Er kann kreativ sein, Projekte verfolgen oder sich für den Müßiggang entscheiden.“ Einzig die Stechuhr zu betätigen sei Pflicht, da sie mit einer Lichtinstallation im Bahnhof gekoppelt sei.

Das Kunstprojekt zielt auf die Frage: Was tun mit der Selbstbestimmung?

Die Anzeige ist ernst gemeint, wenngleich als Kunstprojekt initiiert. Die Künstler Simon Goldin und Jakob Senneby machen mit dem Experiment „Eternal Employment“ („Ewige Anstellung“) auf den Wandel der Arbeit und die Frage aufmerksam: Wie gehen Angestellte mit maximaler Freiheit im Job um? Sind sie unproduktiv oder von den eigenen Möglichkeiten inspiriert? Wird das langweilig oder fördert es die Kreativität? Ganz abgesehen von der Frage, ob ein Einzelkämpfer selbst die von ihnen entwickelten Projekte alleine stemmen können, geht es am Ende darum: Was tun mit so viel Selbstbestimmtheit im Job?

Seit gut einem Jahrhundert arbeiten wir, wie uns geheißen wird. Die Unternehmensführung gibt den Takt vor, legt die Aufgaben fest und bestimmt, wie Ergebnisse zustande kommen. Moderne Arbeitsmodelle werfen diese traditionellen Konzepte über den Haufen. Unternehmen erkennen, dass die Belegschaft, sachlich gesprochen, eine wertvolle Wissensressource ist, die bisher mehr oder weniger brach lag. Um Mitarbeiter zu animieren, sich einzubringen, müssen sie aber auch die Freiheit haben (und sie nutzen), sich vom Arbeitsalltag zu lösen und kreativ oder gar visionär zu denken.

Wenn Arbeit individueller wird, muss jeder Einzelne aber auch wissen, was er oder sie will.

Der Trend in Richtung Selbstbestimmung und -organisation zeigt Wirkung. Studien legen nahe, dass die eigene Arbeitseinteilung, zeitlich und örtlich sowie zunehmend inhaltlich Arbeitende zufriedener macht und motiviert. Darauf bauen andere Studien auf, die daraus eine höhere Produktivität und damit wirtschaftlich gesehen mehr Output für das Unternehmen ableiten. Treibende Kraft hinter dem Wandel in der Arbeitswelt ist die Digitalisierung. Sie ermöglicht neue Arbeitsmodelle, die den klassischen 8-Stunden-Tag, die Diktion der Arbeitsabläufe von oben und die Annahme, dass Menschen nur Kosten verursachen, infrage stellen. Ausprobiert werden geringere Wochenarbeitszeiten, neue Arten der Führung, Mitarbeiterbeteiligung und -mitgestaltung oder agile Strukturen. Moderne Unternehmenskulturen legen Wert auf Eigeninitiative, Wertschätzung, Motivation und Zufriedenheit. Homeoffice ist möglich und Meetings im Gehen durchbrechen Routinen. Die Arbeit erlaubt mehr Individualität. Dazu muss jeder Einzelne aber auch wissen, was er oder sie will.

Berufliche Freiheit strahlt aus auf das Privatleben – und zurück 

Mit diesem Bewusstsein und den sich daraus ergebenden Chancen und Risiken müssen sich Arbeitende erst einmal auseinandersetzen und damit klarkommen. Mitarbeiter arbeiten nicht mehr nur ab, das übernehmen zunehmend Software und Automationslösungen. Sie sollen Ideen anschaffen und umsetzen. Für viele dürfte das ein ganz neues Gefühl sein, das möglicherweise ohne die Fremdbestimmung ein großes (unproduktives) Fragezeichen hinterlässt. Das aber ist es, was die Künstler mit „Eternal Employment“ erreichen wollen: Dass Arbeitende über ihre zukünftige Rolle nachdenken.

Im Übrigen überträgt sich die neue Freiheit auch auf das Leben außerhalb der Werkstore. Denn die Vorstellung, eigene Aufgaben zu straffen und sie in täglich nur 5 statt 8 Stunden zu bewältigen – wie die Bielefelder Agentur Digital Enabler – schafft auch Platz im Privatleben. Der Traum, mehr Zeit für die eigene Weiterentwicklung zu haben, platzt zwar zumindest aktuell für viele Frauen. Die nutzen die gewonnene Zeit, ihren Alltag als Beschäftigte und Elternteil unter einen Hut zu bringen. Was aber auch gut tut, denn das Gehechel zwischen Schreibtisch und Kita ist weniger anstrengend. Im Ergebnis stresst der Job weniger.

Autonomie-Trend heißt für Beschäftigte und Firmen: Umdenken

New Work – Es geht um viel mehr als Effizienz und Produktivität
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Die „arbeitende Bevölkerung“ liest aus dem Kunstprojekt Fragen ab wie: Ist mein Job „das, was ich wirklich, wirklich will“, das Mantra von New Work? Welche Aufgaben machen Sinn und geben mir einen Sinn? Wie kann ich meine Aufgaben effektiver bewältigen und habe dann Zeit für Anderes? Welche Optionen zur Selbstorganisation und Mitgestaltung habe ich aktuell und was läge mir mehr? Möglicherweise führt das dazu, den Job zu wechseln. Wohl in den seltensten Fällen wird es darauf hinauslaufen nichts mehr zu tun, denn Arbeit ist nach wie vor die einzige Möglichkeit, Geld zu verdienen. Noch, wenn man sich die Diskussion um das bedingungslose Grundeinkommen ansieht. Was geschieht, wenn Menschen Geld bekommen, ohne dafür arbeiten zu müssen, das ist eine weitere Denksportaufgabe.

Menschen werden in Zukunft nicht mehr für bestimmte Stellen ausgewählt, sondern Arbeitsplätze auf Menschen zugeschnitten werden, sagt etwa Sebastian Baacke, Gründer der Fairness Ratings GmbH, die attraktive Arbeitgeber auszeichnet. Nicht der Arbeitgeber sagt, was zu tun ist. Die Struktur kommt vom Mitarbeiter. Darauf müssen sich auch die Unternehmen einlassen. Beschäftigte müssen wissen, was im Betrieb los ist und in welche Richtung die Führung gehen will. Flache Hierarchien heißt nicht, dass eine Firma nicht gelenkt werden sollte. In die Zielerreichung sind aber alle Beteiligten involviert. In manchen Unternehmen werden Beschäftigte deutlicher als früher in unternehmerische Entscheidungen eingebunden. Die gelten denn auch als attraktive Arbeitgeber, bei denen Fachkräfte anheuern, die zusätzliche Prioritäten wie Freiräume und Weiterbildung bei der Jobwahl setzen.

Nicht jeder kann sofort mit so viel Freiheit umgehen

Das Kunstprojekt in Göteborg jedenfalls ist nicht für jeden ein Traumjob. Man muss es schon mögen und können, so autark zu sein und sich von alten Denkmustern verabschieden. Und doch: Wer sich mit der Idee der absoluten Freiheit im Job beschäftigt, dem fallen als Mitarbeiter wahrscheinlich auf Anhieb Momente im Arbeitsalltag ein, die mit kreativen Pausen anders ausgegangen wären – und in der Rückschau wünschen sich sicherlich auch Arbeitgeber, sie hätten bei manchen Entscheidungen auf den Input mitdenkender Mitarbeiter zurückgreifen können.

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