Homeoffice-Bilanz: Ein Anfang – und noch viel zu tun

Was in den letzten 10 Monaten in Sachen Homeoffice geschah, war trotz der großflächigen Umstellung nichts weiter als ein Proof of Concept. Die Hau-ruck-Aktion brachte zugleich etliche Problemstellen an den Tag, die erst noch geregelt werden müssen. 

Die gute Nachricht zuerst: Homeoffice ist für die überwiegende Mehrheit der Digitalarbeiter eine überaus positive Sache. Laut einer repräsentativen Umfrage des Digitalverbands Bitkom geht diese Einsicht bei jedem fünften Arbeitnehmer so weit, dass er/sie sich einige grundsätzliche Gedanken über den eigenen Wohnort macht. Laut Umfrage wären 21 Prozent der Befragten dazu bereit umzuziehen, wenn er/sie in Zukunft größtenteils im Homeoffice arbeiten könnte.

Die Verlagerung der Arbeit aufs Homeoffice war der Produktivität alles andere als abträglich. (Quelle: Fraunhofer IAO)
Die Verlagerung der Arbeit aufs Homeoffice war der Produktivität alles andere als abträglich. (Quelle: Fraunhofer IAO)

Die positive Haltung gegenüber dem Homeoffice setzt sich dank Corona-Krise langsam auch bei den Arbeitgebern durch. Laut einer Umfrage des Fraunhofer Instituts für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO) wollen 71 Prozent der 500 befragten Unternehmen auch in Zukunft ihren Mitarbeitenden mehr Möglichkeiten des Arbeitens im Homeoffice ermöglichen – ein deutlicher Anstieg zu den knapp 42 Prozent, die dies im Frühjahr noch bejahten.

Produktivität

Auch die Ergebnisse der Fraunhofer-Umfrage bezüglich Produktivität klingen nicht viel anders als die einer ganzen Reihe ähnlicher Umfragen anderer Unternehmen und Marktforscher. Einbußen gab es demnach nur bei sehr wenigen Unternehmen. Mehr als die Hälfte bemerkte überhaupt keinen Leistungsabfall und über 30 Prozent meldeten, dass die Produktivität sogar gestiegen sei. 

Ein entscheidender Faktor für der Erhaltung der Produktivität auf hohem Niveau ist des Wegfallen von Pendeln. Fast jeder zweite Versicherte im BKK Dachverband, einer Interessenvertretung von 73 Betriebskrankenkassen und vier Landesverbänden mit insgesamt rund neun Millionen Versicherten, ist ein Pendler. Üblicherweise sind das gutverdienende Beschäftigte mit hohem Schul- und Berufsabschluss, die häufig Führungspositionen in IT- und naturwissenschaftlichen Berufen belegen. 

„Eine Chance von Arbeiten von zu Hause für die Beschäftigten ist, dass sie ungestörter und konzentrierter arbeiten können und sich Beruf und Privatleben besser vereinbaren lässt. Dies gerade auch durch einen geringeren Pendelaufwand. Ein anderer Aspekt ist, dass gemeinsam an zeit- und ortsunabhängigen Lösungen gearbeitet werden kann und Teams nach ihrer fachlichen Qualifikation statt nach der räumlichen Verteilung zusammengestellt werden können“, erklärt Prof. Dr. Simone Kauffeld von der TU Braunschweig.

Körperliche Gesundheit

Laut BKK Gesundheitsreport (PDF) ist der Krankenstand 2020 weitgehend stabil geblieben. Insbesondere Pendler wiesen durchschnittlich weniger krankheitsbedingte Fehlzeiten auf, waren seltener in ambulanter und stationärer Behandlung und nahmen weniger Arzneimittel in Anspruch. „Damit liegt die Vermutung nahe, dass die negativen gesundheitlichen Folgen des Pendelns durch diese positiven Voraussetzungen in der Gruppe der Pendler teilweise kompensiert werden,“ kommentiert Prof. Dr. Holger Pfaff von der Universität Köln.

Betriebliches Gesundheitsmanagement gegen Homeoffice-Langzeitschäden
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Das bedeutet allerdings noch nicht, dass die Arbeitsbedingungen in den eigenen vier Wänden optimal sind und den Arbeitenden keine langfristigen negativen Effekte drohen. Einer Umfrage des Büromöbelherstellers Aeris unter 2.000 Arbeitnehmern im deutschsprachigen Raum zufolge klagen zwei von drei Befragten über gesundheitliche Probleme durch die Arbeit im Homeoffice. Vor allem Rücken-, Muskel- und Kopfschmerzen seien verbreitet. Mehr als die Hälfte klagt darüber, dass der Arbeitsplatz sowohl technisch als auch in Sachen Büromöbel deutlich schlechter ausgestattet sei als der eigentliche Arbeitsplatz in der Firma.

Emotionale Gesundheit

Zugleich mahnt der BKK Zentralverband, die Schattenseiten von Homeoffice wie Vereinsamung oder eine generell gesundheitsschädliche Arbeitssituation zu Hause nicht zu verschweigen. Dass hier einiges im Argen liegt, zeigt das Arbeitsbarometer des Personaldienstleisters Randstad aus dem 2. Halbjahr 2020. Etwa ein Drittel aller Arbeitnehmer fühlt sich demnach in der gegenwärtigen Situation von seinem Arbeitgeber emotional und mental nicht ausreichend unterstützt. 

Was am erzwungenen Homeoffice wirklich schwierig ist
Was am erzwungenen Homeoffice wirklich schwierig ist – Weiterlesen »

„Personalverantwortliche sollten die Auswirkung dieser Krise auf das psychische Wohlbefinden ihrer Mitarbeiter nicht vernachlässigen“, sagt Andreas Bolder, Director Group Human Resources bei Randstad Deutschland. Schließlich gehe etwa jeder sechste Fehltag auf psychische Störungen zurück, wie aus dem BKK Gesundheitsreport 2020 hervorgeht. „Damit wird deutlich, dass die mentale Gesundheit von Arbeitnehmern genauso entscheidend für ihre Arbeitsfähigkeit ist wie das körperliche Befinden.“

Deutschen Arbeitgebern mangele es vor allem an empathischer Führung, glaubt Andreas Bolder.„Um den digitalen Wandel zu meistern, benötigt es mehr als das passende Equipment und digitales Know-how. Es erfordert einen agilen Führungsstil, um virtuelle Teams produktiv zu managen. Der Mensch mit seinen individuellen Bedürfnissen und Fähigkeiten rückt immer mehr in den Vordergrund.“ Die Arbeitnehmer stellen ihren Arbeitgebern in dieser Hinsicht ein eher schlechtes Führungszeugnis aus.

Führungskultur

Es wird höchste Zeit für eine neue Führungskultur
Es wird höchste Zeit für eine neue Führungskultur – Weiterlesen »

Abseits der technischen Voraussetzungen sei nun eine neue Arbeits- und Führungskultur nötig, die die Beschäftigten unterstützt, die Voraussetzungen für die Neugestaltung von Mobilität und Arbeit zu erfüllen. Bolder rät dazu, Mitarbeitende unbedingt in Veränderungsprozesse miteinzubeziehen. „Durch regelmäßige Gespräche mit Mitarbeitern – ob analog oder digital – und aufmerksames Zuhören gelingt es, Stressfaktoren frühzeitig zu identifizieren und gezielt anzusprechen“, sagt Bolder.

Bis sich jedoch in den Unternehmen eine neue Führungskultur im Sinne von New Work etabliert hat, wird es noch eine ganze Weile dauern. Momentan scheitert es noch an grundlegenden Dingen. Beispielsweise führt die Unabhängigkeit vom Arbeitsort laut Fraunhofer IAO dazu, dass die Leistungsbeurteilung der Mitarbeitenden nicht mehr von ihrer Anwesenheit im Büro abhängt. Wie aber eine Leistungsbeurteilung, die einen flexiblen Arbeitsort in Kern hat, künftig konkret aussehen und umgesetzt werden soll, ist bei den Firmen noch nicht ganz klar. Lediglich 5 Prozent von ihnen melden, dass sie bereits alternative Instrumente zur Leistungsmessung im Einsatz haben.

Die örtliche Flexibilisierung der Arbeit erzeugt Spannungen zwischen den Beschäftigtengruppen. (Quelle: Hays)
Die örtliche Flexibilisierung der Arbeit erzeugt Spannungen zwischen den Beschäftigtengruppen. (Quelle: Hays)

Spannungsreicher Alltag

Der HR-Report des Personaldienstleisters Hays in Zusammenarbeit mit dem Institut für Beschäftigung und Employability (IBE) zeigt außerdem, dass die örtliche Flexibilisierung der Arbeit mit Spannungen zwischen den Beschäftigtengruppen einhergeht. Das manifestiert sich mitunter darin, dass sechs von zehn Befragten Spannungen zwischen unterschiedlichen Beschäftigungsgruppen wahrnehmen.

Die Hauptursache ist laut Studie der Neid (63 Prozent), der entsteht, weil jobbedingt nicht alle Mitarbeiter gleichsam vom Homeoffice-Angebot profitieren können. Insbesondere die unter 40-Jährigen verzeichnen deutlich mehr Spannungen als die über 50-Jährigen. Aber auch jede sechste Führungskraft hat Schwierigkeiten im Umgang mit flexiblen Arbeitszeiten und -orten, denn Leistung und Präsenz gehörten für viele bisher untrennbar zusammen. 

Die befragten Entscheider tun sich laut HR-Report schwer damit, ihren Mitarbeitern das notwendige Vertrauen zu schenken. Anstatt im Zuge von Homeoffice und zeitlicher Unabhängigkeit stärker auf die Eigenverantwortung der Mitarbeiter zu setzen, spricht sich mehr als die Hälfte von ihnen noch dagegen aus. Rund 60 Prozent halten sich darüber hinaus bei der Partizipation ihrer Mitarbeiter an Entscheidungen zurück. Demzufolge wundert es nicht, dass 71 Prozent der Befragten angeben, Führungskräfte haben Probleme, Verantwortung abzugeben.

„Die agile Arbeitswelt konfrontiert die Entscheider mit anderen Denk- und Handlungsmustern, die ihrer erlernten Welt teilweise entgegenstehen. Insofern sind die Vorbehalte, agile Organisationsformen umzusetzen, ungleich höher als in Bezug auf flexible Arbeitsmodelle“, erläutert Prof. Dr. Jutta Rump vom Institut für Beschäftigung und Employability.

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