Chatbots nerven. Sind sie auch für irgendwas gut?

Sie sind allgegenwärtig und wollen helfen. Ob ihnen das gelingt, hängt sehr davon ab, wie gut die Einsatzszenarien der Firmen mit den Möglichkeiten der Technik in Einklang gebracht werden.

Meine ersten zwei Klicks, wenn ich eine kommerzielle Website aufrufe: Cookie-Banner wegklicken und das Chat-Fenster minimieren, das unten rechts meistens zu viel Platz einnimmt – bevor es beim nächsten Seitenaufruf wieder zu alter Größe zurückfindet: „Brauchen Sie Hilfe?“

Die Industrie hat ein neues Spielzeug und scheint viel (Experimentier-)Freude daran zu haben. Chatbots schicken sich an, die neue Schnittstelle zwischen Unternehmen und ihren Kunden werden. Als erste Anlaufstelle sollen sie einfache Anliegen schnell erledigen und den Einsatz von echten Service-Mitarbeitern reduzieren, so dass sich letztere auf die anspruchsvolleren Interaktionen mit Kunden konzentrieren können. Das spart Unternehmen Geld und sorgt aus Kundensicht für schnelleren Service. 

Der Markt für Chatbot-Technologien und -Dienstleistungen soll in den nächsten Jahren förmlich explodieren. (Quelle: Markets and Markets).
Der Markt für Chatbot-Technologien und -Dienstleistungen soll in den nächsten Jahren förmlich explodieren. (Quelle: Markets and Markets).

Entsprechend soll sich auch das Marktvolumen für Chatbot-Technologie und die dazugehörigen Dienstleistungen nach einer Prognose von Markets and Markets bis 2024 mehr als verdreifachen, von zuletzt 2,6 Milliarden auf 9,4 Milliarden Dollar weltweit. Die Aussicht auf die Fähigkeit, Kunden rund um die Uhr zur Verfügung zu stehen und gleichzeitig Personalkosten zu sparen, treibe das Wachstum voran, so die Marktforscher. Auch die Möglichkeit, mit derselben Technik mehrere Sprachen abdecken zu können, erhöhe die Attraktivität. 

Große Unternehmen, darunter viele Telefon- und Mobilfunk-Provider, Fluglinien und Warenhausketten waren Pioniere beim Einsatz von Chatbots. Mittlerweile gehört die Technologie zur Standardausstattung vieler Kundenmanagement-Systeme (Customer Relationship Management, CRM), wenn auch mit sehr unterschiedlicher Qualität. Außerdem können Chatbots längst bei großen Werbeplattformen wie Facebook für die Interaktion zwischen Werbetreibenden und Nutzern eingesetzt werden. Die zu Facebook gehörende WhatsApp will weiterhin werbefrei bleiben, stellt aber ihre Plattform zahlenden Kunden für die Kommunikation mit WhatsApp-Nutzern zur Verfügung. 

Die Aussicht auf schnellen Service überzeugt

Langsam gewöhnen sich die Verbraucher an diese Art der Kommunikation und die Akzeptanz steigt. Laut einer weltweiten Studie von Liveperson, eines Anbieters für „dialogbasierten Handel“ (Conversational Commerce), schätzen vor allem Jüngere die Möglichkeit, per Chatbot mit Unternehmen zu kommunizieren, bei 18 bis 34-Jährigen liegt dieser Anteil sogar bei 70 Prozent. In Deutschland ist das Interesse für Messenger-basierte Kommunikation innerhalb der letzten drei Jahre von 44 auf 64 Prozent gestiegen. Vor allem die Aussicht auf schnelleren Service scheint zu überzeugen. So sagten neun von zehn der Befragten in Deutschland, sie würden lieber bei einem Unternehmen einkaufen, das etwaige Fragen sofort beantworten kann.

Ein Chatbot verkauft genauso viele Kredite wie ein menschlicher Mitarbeiter – wenn er sich nicht als Bot zu erkennen gibt. Darf er das?

Der Optimismus der Branche wird außerdem durch die Fortschritte in Sachen Künstliche Intelligenz genährt. So zeigte eine im September letzten Jahres veröffentlichte Studie, dass Chatbots in Zukunft wohl nicht nur im Bereich Kundenservice vorstellbar sind. Im Rahmen der Studie hatte ein asiatischer Finanzdienstleister 6.200 Kunden anrufen lassen, nach dem Zufallsprinzip von einem echten Mitarbeiter oder von einem Chatbot. Deren Aufgabe bestand darin, den Kunden einen Kredit zu verkaufen. Wenn der Chatbot sich den Kunden nicht als Computer zu erkennen gab, war seine Erfolgsquote etwa genauso hoch wie die eines Mitarbeiters. Gab er sich aber als Chatbot zu erkennen, waren die Telefonate sehr kurz und er machte 80 Prozent weniger Abschlüsse. 

Das ist ein Ergebnis, das in nächster Zeit für reichlich Diskussionen sorgen dürfte, denn die meisten Verbraucher bestehen momentan noch darauf, darüber informiert zu werden, mit wem sie es zu tun haben. Vor zwei Jahren musste diesbezüglich Google mit seinem neuen Assistenten „Duplex“ zurückrudern – die Angerufenen konnten keinen Unterschied zu Menschen erkennen und fanden das nicht besonders lustig. Daraufhin verpflichtete sich Google dazu, während der Testphase keine Inkognito-Anfufe mehr zu tätigen. Ob sich Google nach der demnächst anstehenden offiziellen Einführung von Duplex daran halten wird und wie andere Anbieter sich verhalten werden, steht in den Sternen – schließlich steht viel Geld auf dem Spiel. 

Fehlende menschliche Anmutung

Noch sind Chatbots allerdings sehr gut zu erkennen, weil die technischen Möglichkeiten der meisten Produkte eher begrenzt ist. Die Marktforscher von Markets and Markets nennen die Schwäche der  aktuellen Chatbots beim Erkennen von Kundenanliegen als das größte Hindernis für deren Verbreitung. Das liegt hauptsächlich daran, dass die Produkte momentan sehr generisch konfiguriert sind, um möglichst viele verschiedene Kunden ansprechen zu können. Die Kundenanliegen sind bei den Anwenderfirmen aber in der Regel speziell. Das heißt, der Chatbot muss erst einmal die jeweiligen Themen erlernen und das Frage-/Antwortspiel länger trainieren, um Nuancen in der Fragestellung des Kunden zu erkennen. Hat er die Gelegenheit dazu nicht, wird er den Kunden nicht verstehen und ist nicht in der Lage, die Anfrage zu bearbeiten. 

Dass die Art und Weise, wie Chatbots heute von Unternehmen eingesetzt werden, noch einiges zu wünschen übrig lässt, liegt aber nicht nur an den Unzulänglichkeiten der Technik. Auch der Umgang mit dieser Kommunikationsmethode ist den meisten Firmen alles andere als geläufig. Laut der Studie von Liveperson mangelt noch am „Conversational Design“, sprich der Art und Weise, wie die Interaktion zwischen Mensch und Chatbot strukturiert ist. So beschreibt laut Umfrage nur ein Viertel der befragten Nutzer seine Erfahrung mit Chatbots als positiv, ein weiteres Viertel als negativ, der Rest weiß es nicht so recht. Der Kommunikationsweg sei zwar bequem und schnell, heißt es, doch fast jeder zweite bemängelt die fehlende menschliche Anmutung und deren Unfähigkeit, das Anliegen der Kunden zu erkennen.

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