Personalsuche im Mittelstand: Abschied vom idealen Kandidaten
Die digitale Transformation im Mittelstand steht und fällt mit der Ressource Mensch. Doch angesichts des Fachkräftemangels sollten Führungskräfte bei der Personalgewinnung umdenken – den perfekten Kandidaten gibt es heute selten.
Wer auf die Digitalisierung im deutschen Mittelstand blickt, merkt schnell: Ein einheitliches Bild lässt sich nicht zeichnen. Der Status quo ist heterogen, weil das Voranschreiten der digitalen Transformation stark vom Standort eines Unternehmens, seiner Größe und der Branche, in der es tätig ist, abhängig ist.
„Für die digitale Transformation eines Unternehmens sind die Strategie, die Investitionen und die Ressourcen maßgeblich“, weiß Thorsten Jaeger, Personalberater bei HAPEKO, einer Personalberatung mit Fokus auf den Mittelstand. Nicht zuletzt sei auch entscheidend, wieviel Druck von außen komme. „Größere Unternehmen ziehen mehr Aufmerksamkeit auf sich, deshalb sind auch die externen Erwartungshaltungen größer“, fügt Justus von Siebert, Senior & Executive Personalberater HAPEKO, hinzu.
Haltung und Personal sind entscheidend
Ein Selbstläufer ist die digitale Transformation jedenfalls nicht, egal wie groß das Unternehmen ist und wieviel Budget ist bereitstellt – obschon die nötigen Investitionen wegen der schwierigen Weltwirtschaftslage in den letzten Jahren eben auch nicht so einfach getätigt werden können. Entscheidend für die Umsetzung sei zunächst aber die Bereitschaft zum Wandel und somit die Haltung der Führungskräfte, betont von Siebert: „Es kommt stark drauf an, wer am Steuer sitzt.“ Fehlende Standards im Hinblick auf technologische Schnittstellen (APIs) seien eine weitere Hürde, weil verschiedene Systeme nicht reibungslos zusammenarbeiten können und deshalb oft mehrere Insellösungen nebeneinander existieren.
Nicht zuletzt fehlen aber auch die Fachkräfte, die die digitale Transformation umsetzen: Allein in der freien Wirtschaft konnten im vergangenen Jahr 137.000 IT-Stellen nicht besetzt werden – zehn Jahre zuvor waren es noch 43.000. Diese Entwicklung hat ihre Ursache auch darin, dass es inzwischen viel mehr und darüber hinaus auch neugeordnete Berufsbilder in der IT gibt. Reichte früher ein Systemadministrator aus, brauchen Unternehmen heute ein Dutzend Fachkräfte mit verschiedenen Skills. Und IT-Personal braucht Zeit, um sich mit neuen Technologien auseinanderzusetzen und sie im Unternehmen einzuführen. Das beste Tool nütze nichts, wenn es von der Belegschaft nicht genutzt werden könne, so die Erfahrung der HAPEKO-Berater.
Blick auf den Arbeitsmarkt ist veraltet und realitätsfern
Schwierig sei die Gewinnung von dringend benötigtem IT-Personal einerseits, weil es schlichtweg zu wenig Fachkräfte gibt. Anderseits liege die Ursache aber auch in den Unternehmen selbst: „Der Blick auf den Arbeitsmarkt ist zum Teil veraltet und nicht realitätsnah“, weiß von Siebert. Sprich: Unternehmen stellen zu hohe Ansprüche an die Kandidatinnen und Kandidaten und sind selbst oft nicht bereit, auf deren Wünsche einzugehen. „IT wird häufig immer noch als ein notwendiges Übel betrachtet, deshalb sind Unternehmen oft nicht bereit, genügend Ressourcen für IT-Infrastruktur, Software und Support bereitzustellen“, erklärt Jaeger.
Zusätzlich falle es Mittelständlern ohne die Unterstützung von Personalberatungen schwer, die Stellenprofile auf die gegebene Marktsituation anzupassen. „Unternehmen suchen aus einer Bauchnabelschau heraus ihr eigenes Frankenstein-Monster, also jemanden, der aus der eigenen Innenbetrachtung in jeder Hinsicht perfekt ist“, schildert von Siebert seine Erfahrungen. Um Stellen zu besetzen, müssten Unternehmen aber Abstriche machen, flexibler und mutiger werden und bereit sein, in Personal zu investieren.
Noch verschärfen wird sich die Personalsituation massiv in den nächsten Jahren, blickt Tania Venema, Geschäftsführerin von HAPEKO, skeptisch in die Zukunft: „In den nächsten Jahren verlassen fünf Millionen Arbeitskräfte den Markt. Der demografische Wandel wirft deshalb die Frage auf, ob Menschen oder Maschinen gewisse Arbeiten erledigen sollen.“ Zwar war bereits die Corona-Krise ein großer Treiber in Sachen Digitalisierung – der Digitalisierungsindex des Mittelstands liegt inzwischen bei 59 von 100 Punkten –, der demografische Wandel aber wird ein viel größerer sein. „Bei der Digitalisierung geht es nicht mehr darum, Arbeitsplätze abzubauen und Personal einzusparen, sondern den Mangel an Fachkräften abzufedern“, betont Venema.
Die Digitalisierung müsse deshalb genutzt werden, um Personal zu gewinnen. Was während der Pandemie in vielen Unternehmen bereits – gezwungenermaßen – gang und gäbe war, um die Arbeitsfähigkeit aufrechtzuerhalten, müsse auch weiterhin eingesetzt werden, um die Arbeitswelt zeitgemäß zu gestalten, meinen Jaeger und von Siebert: „Es braucht Remote-Arbeit, Weiterbildungsmöglichkeiten sowie flexible Arbeitszeiten um Personal zu gewinnen“, so Jaeger. „Unternehmen können es sich nicht mehr leisten, auf voller Präsenz im Office zu bestehen, weil Arbeitskräfte mehr Flexibilität fordern.“ Das habe enorme Auswirkungen auf die Zusammenarbeit und Führung: „Führungskräfte müssen Verantwortung abgeben, Mitarbeitende müssen sich mehr Verantwortung nehmen“, beschreibt von Siebert.
Digitalisierung hängt mit Agilität zusammen
Führungskräfte müssen im Zuge der digitalen Transformation deshalb an ihrer Grundhaltung arbeiten. „Das Credo darf nicht mehr lauten: Ich mache eine Ansage und kontrolliere nach ein paar Tagen, ob sie richtig umgesetzt wurde“, schildert Venema. Als Geschäftsführerin nimmt sie sich selbst in die Pflicht und meint: „Ich muss mit offenen Augen und Ohren durchs Unternehmen gehen, Fragen stellen und die richtigen Leute zusammenbringen.“ Die digitale Transformation hängt daher auch mit dem Konzept der agilen Arbeitsweise zusammen, in der Mitarbeitende selbstständig und eigenverantwortlich arbeiten und ihre Fähigkeiten in heterogenen Teams einbringen.
Dadurch entstehen aber auch neue Anforderungen an Kandidatinnen und Kandidaten: Mitarbeitende müssten sich für ihre Aufgaben begeistern, selbstständig und virtuell mit anderen zusammenarbeiten können. Diese Skills im Bewerbungsprozess zu erkennen, ist für Unternehmen schwierig, meint Venema: „Früher waren Fachkenntnisse und Berufserfahrung wichtig, heute stehen die anderen Skills im Vordergrund. Die gehen aber nicht aus dem Lebenslauf hervor und deshalb müssen Unternehmen ihre Auswahlprozesse verändern.“ Viel wichtiger als Fach- und Branchenkenntnisse seien die Persönlichkeit und Motive einer Bewerberin oder eines Bewerbers. „Eine Personalberatung kann Unternehmen hier ideal unterstützen und einen Match finden, mit dem beide Seiten langfristig glücklich sind“, so von Siebert. Unternehmen würden den passenden Mitarbeitenden so nicht nur finden, sondern auch langfristig an sich binden.
Fazit
Die Corona-Pandemie hat der Digitalisierung zwar einen deutlichen Schub gegeben, der Mittelstand steht aber noch vor großen Herausforderungen im Blick auf die digitale Transformation. Die Haltung von Führungskräften ist ein entscheidender Faktor für den Wandel, denn Führung muss sich ändern. Zusätzlich muss sich die Haltung gegenüber Kandidatinnen und Kandidaten wandeln: Unternehmen müssen flexibler werden, ihre Stellenprofile schärfen und sich an den Arbeitsmarkt anpassen. Neue Skills sind gefragt, neue Anreize müssen geboten werden.