Karriere-Bruchstelle Corona
Die Lockdown-Frustration zeigt ihre Wirkung auch bei Arbeitenden, deren Job nicht unbedingt gefährdet ist. Viele sind auf dem Sprung. Arbeitgeber sollten durch bessere Betreuung und eigene Maßnahmen gegensteuern.
Ganz gleich, wann sie vorbei sein wird: Die Corona-Krise zeichnet sich jetzt schon als eine der größten Zäsuren in der Geschichte der Arbeitswelt ab. Nicht nur, weil vielen Beschäftigten in den von der Krise am härtesten betroffenen Branchen wie Gastronomie, Einzelhandel oder dem Kulturbetrieb nichts anderes übrig bleiben wird, als umzusatteln. Auch in den (zumindest bislang) krisensicheren Industriezweigen wie der Technologiebranche kündigt sich eine Mega-Disruption an.
Laut einer neueren Umfrage des Security-Anbieters Kaspersky (PDF) denken 32 Prozent der Arbeitenden in Europa darüber nach, sich in den kommenden 12 Monaten einen neuen Arbeitsplatz zu suchen. Die beiden größten Treiber hinter dem Wunsch nach beruflicher Veränderung sind ein höheres Gehalt (37 Prozent) sowie eine bessere Work-Life-Balance (35 Prozent). Etwa jeder dritte will eine lohnendere und bedeutungsvollere Position für sich reklamieren, ebensoviele wollen Stress und Überstunden reduzieren.
Frauen werden ausgebremst
Von letzterem betroffen sind vor allem Frauen. So befürchtet rund die Hälfte der in der Tech-Branche beschäftigten Frauen in Deutschland, dass Corona ihre Karriere verzögert, wie eine weitere Kaspersky-Studie zeigt (PDF). Soziale und traditionelle Rollenbilder führten während der Lockdowns oft zu einer Doppelbelastung der arbeitenden Frauen. Bei der Umfrage bestätigten fast 50 die Hälfte von ihnen, dass sie ihre Arbeitszeiten einschränken mussten, um für die Familie da zu sein.
Das durch das Homeoffice meist bessere Gleichgewicht von Beruf und Privatleben ist für berufstätige Frauen hinfällig, wenn die kleinen bzw. schulpflichtigen Kinder zuhause bleiben müssen. Nicht nur, dass 56 Prozent der befragten Frauen auch die Hauptlast an Haushaltsarbeiten tragen müssen, fast ebensoviele waren auch für das Homeschooling der Kinder zuständig. Das führte dazu, dass etwa jede zweite Berufstätige ihre Arbeitszeiten stärker anpassen musste als ihr männlicher Partner (38,9 Prozent), um sich um die Familie zu kümmern. Infolgedessen befürchtet die Hälfte der befragten Frauen, dass die Auswirkungen der Krise ihr berufliches Weiterkommen verzögert.
Homeoffice als Herausforderung
Die angespannte Stimmung der Arbeitenden ist den Personalverantwortlichen und Führungskräften in den Unternehmen nicht verborgen geblieben – und auch sie selbst macht die Situation zu schaffen. Laut einer Umfrage von Hogan Assessments, an der vorwiegend Manager der mittleren Führungsebene in mittleren bis großen Unternehmen aus ganz Europa teilnahmen, empfinden rund 60 Prozent der Befragten inzwischen die Arbeit im Homeoffice als psychische Herausforderung.
Laut der Pronova Betriebskrankenkasse verzeichnen Psychotherapeuten und Psychiater seit der Coronakrise deutlich mehr Therapieanfragen aufgrund von Ängsten, Überforderung, familiären Probleme, Nervosität oder Depressionen. Diese alarmierenden Statistiken und der verlängerte Lockdown sowie die schärferen Regeln zur Umsetzung von Homeoffice fordern Arbeitgeber wie Arbeitnehmer, Überlegungen zum Wohlbefinden in einer Working-from-Home-Welt neu anzustoßen.
„Die Work-Life-Balance hat ausgedient. Es geht nun darum, die Integration von Privatleben und Arbeit zu betrachten.“ Graham Moody, Auth0
„Die meisten Unternehmen interpretieren Distance Leadership und die Möglichkeit der Heimarbeit nur technisch“, sagt Graham Moody, Personalverantwortlicher beim Security-Anbieter Auth0. Das sei zu kurz gedacht, denn das Wohlbefinden der Mitarbeiter spiele eine noch wichtigere Rolle. Gesunde und zufriedene Mitarbeiter seien nicht nur aus strategischer Sicht wünschenswert, sondern hätten einen realen Einfluss auf den Erfolg eines Unternehmens.
„Das Zuhause ist zum physischen Arbeitsplatz geworden, weshalb der Fokus auf das Wohlbefinden am Arbeitsplatz in einen ganzheitlichen Ansatz umgewandelt werden muss, der das gesamte Spektrum des körperlichen und seelischen Befindens berücksichtigt – einschließlich mentaler, emotionaler, finanzieller und familiärer bzw. sozialer Bedürfnisse. Die Work-Life-Balance hat ausgedient. Es geht nun darum, die Integration von Privatleben und Arbeit zu betrachten“, so Moody.
Die Antwort der Arbeitgeber
Die Arbeitgeber scheinen nun auf diese Situation zu reagieren. Laut dem „Talent Trends Report“ von Randstad Sourceright haben 62 Prozent der befragten Unternehmen das Wohlbefinden ihrer Belegschaft zur Priorität erklärt. „Arbeitgeber tun gut daran, das Wohl ihrer Mitarbeiter in Hinblick auf ihre Arbeitgebermarke in den Fokus zu rücken“, betont Klaus Depner, Manager Health & Human Safety bei Randstad Deutschland. Er erwartet, dass Kandidaten künftig noch stärker auf die Maßnahmen achten werden, die Arbeitgeber für Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz ergreifen.
„Es ist diese anhaltende Belastung, die für Arbeitnehmer sowohl im Homeoffice als auch im Schichtbetrieb besondere Risiken birgt“, so Depner. „Burnout droht vor allem dort, wo Auszeiten fehlen. Das gilt insbesondere für die Arbeit im Homeoffice. Dort verschwimmen die Grenzen zwischen Arbeit und Privatem besonders schnell.“ Arbeitgeber sollten auf die Frühwarnzeichen dieser körperlichen und psychischen Erschöpfungskrankheit zu achten. Allein im Homeoffice hätten Mitarbeitende häufig das Gefühl, das Arbeitspensum komplett alleine bewältigen zu müssen. Dadurch steige die Belastung noch stärker, es entsteht ein Teufelskreis.
Reden, reden, reden
Der Dialog mit den Mitarbeitern war nie so wichtig wie in der aktuellen Situation, zumal sie sich auf unbestimmte Zeit hinzuziehen scheint. Regelmäßige Teammeetings, Einzelgespräche und Feedback-Gespräche helfen, das Wohlbefinden der Belegschaft zu stärken. Auch ungezwungene Formate wie die virtuelle Kaffeepause sind angesagt. Powell Software hat hierfür sogar eine eigene Erweiterung für Microsoft Teams auf den Markt gebracht, die Virtual Coffee Machine.
Schließlich sollte das Wort „Maßnahmen“ nicht immer nur mit Einschränkungen zu tun haben. Arbeitgeber haben gerade jetzt die Chance für kreative Ideen, für die ihre Mitarbeitenden ihnen dankbar sein werden. Um beispielsweise Unterstützungsprogramme für Mitarbeiter*innen mit Kindern zu realisieren, die aufgrund geschlossener Betreuungseinrichtungen doppelte Arbeit leisten müssen, empfiehlt Graham Moody eine Umfrage unter diesen Personen, die von einem entsprechenden Hilfsprogramm gefolgt werden sollte. „Führungsteams sollten Initiative zeigen, damit sich die Mitarbeiter verstanden und unterstützt fühlen – nur so kann die Produktivität, das Engagement als auch die Nachhaltigkeit des Unternehmens aufrechterhalten werden.“