Vom Homeoffice zurück ins Büro – wofür eigentlich?

Unternehmen tun sich schwer, ihre Angestellten wieder ins Büro zurückzuholen, auch wenn es nur für ein paar Tage pro Woche sein soll. Dafür fehlen ihnen die Anreize, die Argumentation und womöglich auch die richtigen Räumlichkeiten.

Die Rückrufversuche scheitern meistens kläglich. Eines der prominentesten Beispiele in diesem Jahr dürfte Apple sein: Im Frühjahr beschloss die Unternehmensführung, die Kollegen für drei Tage die Woche wieder ins Büro zurück zu ordern – am Dienstag, Donnerstag und an einem Tag ihrer Wahl. Resultat: Wütende Proteste und Kündigungen, unter ihnen auch der Chef der strategisch wichtigen KI-Abteilung. 

Die freie Wahl des Arbeitsorts ist bei den Arbeitenden bereits fest verankert.

Homeoffice, flexible Arbeitszeiten und neue Formen der Zusammenarbeit sind laut dem Digitalverband Bitkom für Arbeitende inzwischen zur Selbstverständlichkeit geworden. Zu Beginn dieses Jahres ermittelte der Verband, dass rund die Hälfte aller Erwerbstätigen in Deutschland vollständig oder teilweise im Homeoffice beziehungsweise mobil arbeiten. Hinzu kommt, dass mehr als 90 Prozent der Erwerbstätigen „sich hinter Werten und Einstellungen versammeln, die mit ,New Work‘ verbunden werden: freie Einteilung der Arbeitszeit, individuelle Bestimmung von Leistungs- und Lernzielen und Ausübung einer sinnstiftenden Tätigkeit.“

„Tu ich mir das jetzt an?“

Der Konflikt zwischen Unternehmen und ihren Angestellten um das Homeoffice und die Flexibilisierung der Arbeit dürfte nach Ansicht vieler Experten der Hauptgrund für das sein, was seit zwei Jahren im angelsächsischen Raum als „Great Resignation“ bezeichnet wird – eine noch nie dagewesene Kündigungswelle von Fachkräften. Verschiedenen Umfragen und Studien zufolge ist etwa die Hälfte der Arbeitenden offen für einen Jobwechsel, weltweit und auch hierzulande. 

Auch die letzte People at Work-Studie des Personaldienstleisters ADP bestätigt diese Zahl. „Viele Unternehmen sind einfach nicht darauf vorbereitet, mit den Angestellten beim Thema Hybrid Work mitzugehen“, sagt Artur Gieß, Senior Manager Sales bei ADP. „Wenn Arbeitende, die es sich in den letzten zwei Jahren im Homeoffice gut eingerichtet haben, gesagt bekommen, ‚Wir möchten euch wieder im Büro sehen‘, kommt das nicht besonders gut an. Da fragt sich so manch einer: ‚Tu ich mir das jetzt an, oder schaue ich mich lieber nach einem neuen Arbeitgeber um, bei dem ich flexibel sein kann.'“

Wo sind die Argumente pro Office?

Hinzu kommt, dass die Arbeitenden argumentativ am längeren Hebel sitzen: Wenn eines während der letzten zweieinhalb Jahren nicht unter den Corona-Maßnahmen gelitten hat, dann ist es die Produktivität. Doch nach zweieinhalb Jahren Homeoffice sind Firmenlenker, HR-Verantwortliche und Führungskräfte auch um andere Faktoren besorgt: „Sie fragen sich, wie das denn eigentlich weitergehen kann und wird, und was das letztlich mit so wichtigen Themen wie Bindung, Motivation, Wissenstransfer und Innovationskraft ‚macht‘ und damit mit der Gesamtperformance“, schreibt Josephine Hofmann, Leiterin des Teams „Zusammenarbeit und Führung“ beim Fraunhofer Institut für Arbeitswissenschaft und Organisation (IAO), in einem Blogbeitrag zum Thema. 

Laut Hofmann haben Studien des IAO in den genannten Bereichen „durchaus bemerkenswerte und langfristig potenziell kritische Veränderungen“ vernommen. So seien Wissenstransfer und die Vernetzung mit den Kollegen als schwieriger beurteilt worden, je länger die Pandemie dauerte. Weit verbreitet sei auch die Klage über große Schwierigkeiten, ein angemessenes Onboarding neuer Mitarbeitender zu realisieren. „Es scheint also schon mehr dahinter zu stecken als nur starrsinniges Festhalten an alten Führungsprinzipien“, so Hofmann. 

Arbeitende stellen Forderungen

Aus dem Blickwinkel der Arbeitenden stehen jedoch profanere Themen im Vordergrund. „Arbeitenden geht es generell um mehr Flexibilität bei der Gestaltung der Arbeit“, sagt Artur Gieß. Laut ADP-Studie, für die 33.000 Arbeitende in 17 Ländern befragt wurden, erwarten die Beschäftigten, dass sich die Unternehmen der Lebensrealität ihrer Angestellten anpassen – und nicht umgekehrt. 

Nur 31 Prozent der Führungskräfte in Deutschland gewähren ihren Teams mehr Freiheiten, als die Unternehmensregeln es vorsehen.

Im Bewusstsein der Arbeitenden ist das Homeoffice als gleichwertiger Arbeitsplatz zum Büro längst gesetzt und die Forderungen reichen laut ADP von mehr Gehalt bei mehr Arbeitsstunden (Deutschland ist immerhin Europameister in Sachen unbezahlte Überstunden), bis hin zu mehr Flexibilität in Bezug auf die Arbeitszeiten bei gleicher Wochenarbeitszeit. In Deutschland gewähren jedoch nur 31 Prozent der Führungskräfte ihren Teams mehr Flexibilität als die Unternehmensregeln vorsehen. Das ist weit unter dem weltweiten Durchschnitt von 47 Prozent.

Baustelle Personalführung

Davon ausgehend gibt es für Unternehmen noch einiges zu tun, um ihre Angestellten bei der Stange zu halten. Und damit ein fundiertes und konstruktives Gespräch über Regelungen für Präsenzzeiten im Büro möglich wird, muss die Personalführung im hybriden Arbeitsalltag besser werden. „In dieser Situation ist die Personalabteilung und das Management besonders gefordert, um auf die Mitarbeiter zuzugehen und so gut wie möglich zu führen – eben auch remote“, sagt Artur Gieß. 

Sich auch mal persönlich sehen und Gespräche führen, bei denen es nicht ums Business geht.

Dabei sollten besonders die Themen angesprochen werden, die heute als negative Nebenerscheinungen hybrider Arbeitsmodelle zu erkennen sind: Überlastung, Überforderung, Isolation, mangelnder Kontakt zum restlichen Team und den Führungskräften, etc. „Man muss den engen Kontakt suchen und dabei sensibel sein“, sagt Gieß. „Man muss verstehen, wie ihre Arbeitssituation und Belastung tatsächlich aussehen. Und langfristig sollte man sowohl die Mitarbeiter im Homeoffice oder hybrid arbeiten lassen, als auch sie immer wieder zusammenzuholen, damit man sich persönlich sieht und auch Gespräche führen kann, bei denen es mal nicht ums Business geht. Wenn sie nur zuhause sitzen ist die Gefahr sehr groß, dass man die guten Mitarbeiter verliert.“

Eine neue Rolle fürs Büro

Viele bekannte Unternehmen haben außerdem damit begonnen, die künftige Rolle des Büros und die Gestaltung der Räumlichkeiten neu zu denken. Ein Büro, das wenig mehr zu bieten hat als PC-Arbeitsplätze und Konferenzräume, scheint überholt. Salesforce zum Beispiel hat die Büros der Führungskräfte in Konferenzräume für kleine Gruppen umgewandelt, die allen Mitarbeitern offen stehen. Außerdem viele Schreibtische durch Sofas ersetzt, Whiteboards für gemeinschaftliche Teamaktivitäten installiert und mehr Räume für gemeinsame Mittagessen geschaffen. Accenture hat technikfreie „Besinnungszonen“ eingerichtet und komfortable, loungeartige Konferenzräume mit weitem Blick eingeführt. Das Büro der Zukunft verwandelt sich damit zu einem Ort, der die Kreativität fördern und geplante ebenso wie zufällige Interaktionen ermöglichen soll.

Wenig Technik, viel Platz für die Ideen: Eine kreative Ecke im neuen Büro von Salesforce in Sydney. (Bild: ©Salesforce)
Wenig Technik, viel Platz für die Ideen: Eine kreative Ecke im neuen Büro von Salesforce in Sydney. (Bild: ©Salesforce)

Die Auswirkungen hybrider Arbeitsmodelle und neue Wege der Zusammenarbeit in einer digitalisierten Arbeitswelt stehen im Mittelpunkt der Forschungsaktivitäten des Fraunhofer IAO. In deren Rahmen soll in naher Zukunft auch jene Messgröße definiert werden, die Josephine Hofmann „Präsenzrendite“ nennt. Zu verstehen ist darunter „der nachweisbare Gesamteffekt einer guten Mischung aus ortspräsenter und ortsmobiler Arbeit, die die Stärken der gemeinsamen Präsenz vor Ort gezielt nutzt und in den Gesprächen zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite als belastbare Argumentationsgrundlage herangezogen werden kann.“

Das könnte Sie auch interessieren

Was meinen Sie dazu?

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Back to top button