Digitaler Burnout: Wenn jede neue Mitteilung weh tut
Die ständige Erreichbarkeit und eine nicht enden wollende Informationsflut aus verschiedenen digitalen Kanälen führen zu emotionaler Erschöpfung. Nicht nur Arbeitende sollten rechtzeitig gegensteuern, sondern auch Unternehmen.
Gibt man den Begriff „Digitaler Burnout“ in eine Suchmaschine ein, geht es meistens um den übermäßigen Gebrauch von Handys durch Kinder und Jugendliche. Doch wenn eine medizinisch anerkannte Krankheit (Burnout) mit dem Wandel zu einer Digitalisierung der Gesellschaft in Zusammenhang gebracht wird, müssen auch Erwachsene aufhorchen. Deren Arbeitsplätze sind zunehmend gespickt mit digitalen Tools und Kommunikationsmitteln. 26 Prozent der Beschäftigten fühlen sich unter anderem durch den Einsatz digitaler Technologien am Arbeitsplatz nervös oder gestresst, so eine Studie zur Digitalisierung der Arbeitswelt, die die Barmer Krankenkasse zusammen mit der Universität St. Gallen durchgeführt 2018 hat.
Digital ausgebrannt im Job – Wie kann es so weit kommen?
Hier eine Mail, da eine Terminerinnerung, hier der neueste Beitrag aus der Community im Intranet, jetzt die Mitteilung des Projektmanagement-Systems über einen abgeschlossenen Arbeitsschritt und schließlich die WhatsApp vom Chef, dass das mit dem Homeoffice morgen klar geht. Sehr viele Berufstätige sind mehr oder weniger zwangsläufig Always-on, schreiben und erwarten Antworten, Lösungen oder ein Like zur Bestätigung. Das schlaucht.
Jeder Signalton ist ein Fluch
Da wenig Zeit für die einzelnen Aufgaben bleibe, habe die digitale Transformation den Arbeitsalltag schneller gemacht, sagen rund 20 Prozent der jüngeren Beschäftigten (unter 40 Jahre) in der Barmer/St.Gallen-Studie. Bei älteren Erwerbstätigen (über 40 Jahre) waren es etwa 10 Prozent. Multitasking ist gefragt – aus neurologischer Sicht aber ein Irrglaube und nicht effektiv. „Menschen, die viele digitale Medien gleichzeitig bedienen, sind zwar besser trainiert, viele Informationen aufzunehmen, aber weniger in der Lage, wichtige von unwichtigen Informationen zu trennen“, heißt es in einer Stressstudie der Techniker Krankenkasse.
Ständig aufploppende Informationen haben Konsequenzen: Sie unterbrechen den eigenen Arbeitsfluss allein schon weil man sie ankommen sieht, und sie fordern vom Adressaten eine Priorisierung, was zusätzlich Zeit und Aufmerksamkeit kostet. Bis zu 23 Minuten kann es dauern, bis sich Arbeitende nach einer Ablenkung wieder auf ihre Aufgabe konzentrieren können. Jeder Signalton ist ein Fluch, denn der Mensch lässt sich gern ablenken. Dafür verantwortlich ist das „sprunghafte“ Gehirn, das neue Richtungen gern annimmt. „Ablenkungen sind verführerisch“, sagt der Neurowissenschaftler Henning Beck.
Offline-Ablenkung und neue Technologien geben uns den Rest
Die tägliche digitale Dosis driftet über den Tag langsam in den roten Bereich , die To-Do-Liste abzuarbeiten ist mühsam. Das Ablenkungsproblem wird noch verstärkt durch die, nennen wir es Offline-Ablenkungsreize. Die Tastatur beim Kollegen links nebenan klackert ohne Pause, die Kaffeemaschine zischt und bei der Kollegin rechts nebenan hat sich gerade das Team zu einem spontanen Meeting zusammengefunden. Mangelnde Konzentration und Zeitdruck erzeugen Stress, der erwiesenermaßen krank macht. In Großraumbüros steigt die Krankenrate im Vergleich zu Einzelbüros proportional zu den Mitarbeitern im Raum.
Neue Technologien bedeuten darüber hinaus mehr Aufwand für den Einzelnen. Die Umstellung auf, die Annäherung an und Nutzungskompetenz für neue Technologien müssen erst erlernt werden. Manchen Arbeitenden fällt es leicht, andere fühlen sich angesichts der vielen Tools überfordert und bemängeln, dass sie neben der Arbeit auch noch Digitalisierung lernen sollen. Daran vorbei kommen sie nicht, denn entweder werden sie abgehängt (und entlassen), weil sie nicht zu den digitalen Zukunftsplänen des Unternehmens passen. Oder der Betrieb selbst krankt aufgrund digitaler Nachlässigkeit in der Wertschöpfungskette und der Job ist irgendwann auch weg. Der Druck, mithalten zu müssen, kann den Stress- und Erschöpfungspegel zusätzlich erhöhen.
Bei all den Vorteilen, die Smartphone, Laptop neue Vernetzungsmöglichkeiten und Homeoffice ermöglichen, gibt es eine Kehrseite: Berufstätige, die sich den Arbeitsalltag eigentlich einteilen und ihrem Rhythmus zu Hause anpassen wollen, sind immer erreichbar – und erledigen auch dann nebenbei Aufgaben, wenn sie eigentlich gerade auf dem Schul-Sommerfest sind. Wieder soll alles irgendwie parallel laufen, auch, um das schlechte Gewissen, nicht wie die anderen im Büro zu sein, zu beruhigen. Mit Work-Life-Balance dank Homeoffice hat das nichts zu tun.
Wann Beschäftigte merken, dass es zu viel wird
Wenn die To-Do-Liste länger, nicht kürzer wird, ist etwas faul. Je mehr digitale und pausenlos Kommunikations-Tools und -kanäle die tägliche Arbeit begleiten, desto öfter klingelt es, summt es, werden Berufstätige auf Dinge aufmerksam gemacht, die zu erledigen sind.
Das stresst, Unzufriedenheit schleicht sich an und mündet oftmals darin, am nächsten Tag unmotiviert am Arbeitsplatz zu sitzen. Spätestens jetzt beginnt eine Abwärtsspirale, die klassische Burnout-Symptome mitbringt: Erschöpfung, Kopfschmerzen, Verspanntheit, Rücken- und Kopfschmerzen, um nur einige zu nennen. Hinzu kommt: Je weniger eine Kollegin oder ein Kollege auf die Reihe bringt, desto mehr müssen andere übernehmen. Im schlimmsten Fall wird sie oder er im eigenen Team ausgegrenzt, weil Burnout nicht das erste ist, woran das Team denkt, sondern eher: keine Lust oder keine Ahnung.
Unternehmen können dem digitalen Burnout vorbeugen
Laut der Barmer-Studie ist die emotionale Erschöpfung im Job zu etwa 20 Prozent auf digitale Überlastung zurückzuführen. Für Unternehmen bedeutet das: An der Digitalisierung kommen sie nicht vorbei, also sollten sie die Belastung reduzieren. Ein probates Mittel ist wie in so vielen Dingen: Miteinander reden sowie Regeln und Rahmenbedingungen definieren:
Auf flexible Arbeitsmodelle folgt die ständige Erreichbarkeit.
- Kontinuierliches Feedback und Mitarbeiterbefragungen zur Arbeitsbelastung
- Kommunikationsvereinbarungen bezüglich Erreichbarkeit außerhalb der Arbeitszeit, Reaktionszeiten auf Anfragen (Beispiel Mail)
- Sinnvolle Begegnungen schaffen, die digitale Pausen ermöglichen (Beispiel: feste Meetingzeiten)
- Flexible Arbeitszeitgestaltung als Teil einer modernen Unternehmenskultur, die Arbeit und bewusst Erholungsphasen definiert
- Einsatz und Erlaubnis von Zeitmanagement- und Selbstorganisationstools, die in Teilen für andere einsehbar sind und die signalisieren, wann jemand ungestört arbeiten will
Diese Transparenz und Offenheit gilt im Übrigen auch für Führungskräfte. Sie stehen ebenfalls unter dem Dauerfeuer der digitalen Kommunikation. Darüber hinaus haben sie eine Vorbildfunktion. Für Beschäftigte ist es schwer abzuschalten, wenn der Vorgesetzte Mails um 22 Uhr verschickt und eine Antwort erwartet oder der Adressat zumindest davon ausgeht. Die Unternehmensführung hat hier die Aufgabe, die Firmenkultur entsprechend in die richtigen Bahnen zu lenken.
Bei der Digitalisierung streiten sich Teufel und Engel: Das ist sehr anstrengend
Nicht erst seit der Digitalisierung sollten sich Unternehmen mit der Arbeitsbelastung der Belegschaft auseinandersetzen. Burnout-Syndrome hat es schon vorher gegeben. Jetzt ist aber ein weiterer Faktor hinzugekommen, bei dem es zudem schwierig ist, den Ausgleich zwischen Segen und Fluch zu finden. Digitale Technologien bringen Teams an unterschiedlichen Standorten zusammen, sorgen für mehr Effizienz und höhere Produktivität und bieten neue unternehmerische Möglichkeiten. Gleichzeitig rauben sie den Beschäftigten wichtige Zeit, um kreativ zu sein und drängen sie zu ewiger und erschöpfender Kommunikation mit der Folge: Digitaler Burnout.
Am Ende landet man doch vielleicht bei den „Smombies“ genannten Jugendlichen, die das Smartphone immer in der Hand halten und wie Zombies durch den Alltag schlurfen. Die kriegen gesagt: Leg das Ding doch endlich mal weg!