Frauen, nutzt den digitalen Wandel in der Arbeitswelt!
Frauen haben heute einen besseren Stand auf dem Arbeitsmarkt als früher. Doch ihre oft hochqualifizierte Ausbildung nutzt ihnen nur bedingt durchzustarten, weil ungerechte Lohn- und Arbeitszeitmodelle sie ausbremsen. Die Digitalisierung der Arbeitswelt könnte das ändern.
Die digitale Transformation mit ihren technischen und kulturellen Umwälzungen hat bei Arbeitenden und Unternehmen derzeit größte Aufmerksamkeit. In die Debatte um Tools, Arbeitsweisen und Diversity sollten sich Frauen einschalten. Sie haben hier die große Chance, Ungerechtigkeiten und Diskriminierungen, die sie von gut bezahlten und zufriedenstellenden Jobs fernhalten, zu thematisieren. Und sie können sich Gehör verschaffen, denn: Der Frauenanteil bei den Erwerbstätigen hat sich zwischen 1973 und 2013 von rund 6 auf 12 Millionen verdoppelt (in Westdeutschland), so die Bertelsmann-Stiftung. Dabei gibt es immer mehr Akademikerinnen. Knapp 47 Prozent der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten, die 2018 über einen Fachhochschul- oder Hochschulabschluss verfügten, waren Frauen.
Für verantwortungsvolle Positionen erwartet man eine in Vollzeit beschäftigte Person. Viele Frauen können das als Haupterziehende nicht leisten.
Allerdings wird es auch anstrengend werden. In der Gruppe der Beschäftigten, die einer hochqualifizierten Tätigkeit nachgingen, waren Frauen mit einem Anteil von 40 Prozent unterrepräsentiert. Frauen holen auf und bleiben doch plötzlich wieder stecken. Viele sind zur Teilzeit verdammt, weil sie entweder alleine erziehen (2,2 Millionen Mütter und etwa 416.000 Väter in Deutschland laut Statistischem Bundesamt 2017) oder der Mann aufgrund der Einkommensungleichheit besser verdient und deshalb Vollzeit arbeitet. Frauen in verantwortungsvollen Positionen sind immer noch in der Minderheit. Solche Tätigkeiten werden mit einer mindestens 40-Stunden-Woche in Verbindung gebracht. Die Folge: Frauen sind oft überqualifiziert bei dem, was sie tun.
Auf die Digitalisierung zu schimpfen ist zu einfach – und falsch
Auf den ersten Blick sorgt die Technologisierung für ein weiteres Problem: Viele Routinejobs, die Frauen zumeist am Vormittag erledigen, zum Beispiel Bürotätigkeiten in Kanzleien oder beim Arzt, in mittelständischen Betrieben oder im Kundenservice, kann in Zukunft Automationssoftware übernehmen. Besonders zynisch: Jetzt sind Frauen schon hochqualifiziert und könnten dem Schicksal, das vielen Geringqualifizierten in Deutschland droht, durch Bildung entgehen – nur leider machen ihnen Teilzeit und Präsenzpflicht einen Strich durch die Rechnung. Und wo wir gerade bei der Abrechnung sind: Digitale Tools wie KI-gestützte Software im Personalwesen diskriminieren Frauen, indem sie sie für manche Berufe gar nicht erst vorschlagen.
Aber ist die Digitalisierungsschelte wirklich so universell angebracht? Die Veränderung der Arbeitswelt durch die digitale Transformation ist nicht ausschließlich negativ, im Gegenteil. Von den technischen Möglichkeiten bei der Produktivität und Arbeitseffizienz einmal abgesehen, hat das Sich-Beschäftigen mit dem digitalen Wandel auch dazu geführt: Personaler denken anders über das Recruiting nach und Unternehmenslenkern ist wichtig, dass eine gute Firmenkultur herrscht, Beschäftigte zufrieden sind sowie Wissen in Teams geteilt wird. Das alles kann Frauen zugute kommen:
Mobile Lösungen: Das Tor zu mehr Flexibilität
Laptop, Smartphone sowie die Cloud und das firmeneigene VPN (Virtual Private Network) ermöglichen eine standortunabhängige und mehr zeitsouverände Arbeit. Im Homeoffice oder während des Tennistrainings der Kleinen können Erziehende Arbeit erledigen. Das nimmt den Druck, zu einer bestimmten Zeit zuhause oder mit Aufgaben fertig zu sein. Auch wenn die Always-on-Option (ständige Erreichbarkeit) zu einer völlig verkorksten Work-Live-Balance führen kann, es gibt sie und nur so ist flexible Arbeit möglich.
Motivation statt Qualifikation: Das neue Recruiting
Kandidat*innen werden immer öfter nicht nur nach ihren Qualifikationen, sondern auch nach ihrer Motivation beurteilt. Auf den ersten Blick hilft das hochqualifizierten Frauen wenig. Allerdings denken Recruiter stärker darüber nach, wozu eine Bewerberin fähig wäre, und trauen ihr mehr zu als auf Abschlüssen und Zertifikaten steht. Noch dazu wissen sie: Frauen sind nach einer Pause (Elternzeit), hochmotiviert, wieder einzusteigen und auch Neues zu lernen, um nicht ewig in der Routine-Job-Falle hängenzubleiben.
Faire Vergütung: Transparenz legt Unfairness offen
Die Diskussion um gerechte Vergütung ist nicht neu, aber unter dem Stichwort „New Pay“ unter neuem Vorzeichen wieder im Gespräch. In Zukunft soll nicht ausschließlich nach Zeit und Position, sondern nach Engagement, Kreativität und tatsächlicher Leistung entlohnt werden. Ob jemand die Arbeit in 8 Stunden erledigt, nur 5 Stunden braucht oder sie auf 10 Stunden verteilt, ist kein alleiniges Kriterium mehr – solange die Arbeit gut ist und fertig wird. Für Frauen in Teilzeit ist diese Entwicklung wichtig, nicht nur im Zusammenhang mit der Lohnungerechtigkeit qua Geschlecht. Transparente Gehaltsmodelle, bei denen die Beschäftigten voneinander wissen, was sie verdienen und sogar mitbestimmen können, decken Unfairness bei der Entlohnung auf und schätzen die Arbeit wert, die gleistet wird, egal wann, wie und wo.
Jobsharing: Anti-Burnout und Pro Co-Leadership
Ebenfalls kein neues Phänomen und doch bildet sich erst langsam ein entsprechendes Mindset heraus. Job-Sharing ist angesichts wachsender Aufgaben in der Arbeitswelt und der Gefahr, bis zum Burnout gestresst zu sein, eine sehr überlegenswerte Option. Plattformen wie Tandemploy sind nicht umsonst erfolgreich. Das Unternehmen wird übrigens von zwei Frauen geführt, die sich die Aufgaben teilen. Deshalb bieten Unternehmen immer häufiger auch Führungspositionen im Jobsharing-Modell an. SAP gilt dabei als einer der Vorreiter. Für Elternzeit-Rückkehrerinnen sind solche Modelle unbedingt hilfreich, um wieder Fuß zu fassen, auch ohne Vollzeitstelle zu führen und ihre Qualifikationen einbringen zu können.
Soft Skills: Vermeintliche Klischees als Gebot der Stunde
Jetzt könnte man in Klischees ertrinken: Vernetzung und Kontaktpflege liegt Frauen im Blut. Oder: Soziale Kompetenzen wie Empathie, Wertschätzung, Teamfähigkeit, Toleranz oder Flexibilität gehören zur „weiblichen Note“. Und wenn schon solche Soft Skills einerseits als „typisch weiblich“ verschrieen sind, diese Fähigkeiten aber in Unternehmen unterrepräsentiert und dringend in Form von Personal mehr Bedeutung bekommen sollen, dann sollten Frauen das nutzen.
Dringend gesuchte Fachkräfte sind nicht ausschließlich männlich. Das sollten Unternehmen im Auge haben.
Frauen sind Teil der Fachkräftekrise-Lösung
Damit die Chancen für Frauen im Zuge der digitalisierten Arbeitswelt nicht nur Diskussionsgrundlage auf dem Papier bleiben, gibt es verschiedene Initiativen. Das Institut für Sozialwissenschaftliche Forschung e.V., ISF, in München etwa hat Ende 2018 das Projekt #WomenDigit ins Leben gerufen. Ausgelotet werden sollen Perspektiven und Interessen von Frauen im Transformationsprozess.
Dabei sind zum einen die Unternehmen in der Pflicht, die überlegen müssen, wie sie sich aufstellen müssen, um weiblichen Beschäftigten attraktive Entwicklungsmöglichkeiten zu bieten, sagt Anja Bultemeier, Wissenschaftlerin an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU). Denn eines ist klar: Fachkräfte sind nicht ausschließlich männlich. Auch kompetente Frauen suchen sich ihre Arbeitgeber aus – und gehen dorthin, wo sie die besten Bedingungen für ihre gegenwärtige Lebenssituation finden.
Die Ökonomen von der Universität Trier und der Bournemouth University kommen ferner zum Ergebnis, dass es gut ist, wenn sich Betriebsräte in die Diskussion um mehr Chancengerechtigkeit einmischen. Firmen werden frauenfreundlicher und Angebote wie flexible Arbeitszeitarrangements für Betreuungspflichtige wahrscheinlicher, wenn der Betriebsrat sie zuvor gefordert hat. Gleiches gilt für die Weiterbildung in Elternzeit.
Digitalisierung ist kein Geschenk an die Frauen
Entscheidend wird aber auch sein, inwieweit Frauen selbst die Gestaltung ihrer Arbeitswelt übernehmen. Statt im „Krabbenkorb“ hängenzubleiben („Wenn ich es nicht kriege, sollst du es auch nicht haben“), müssen sie sich stärker gegenseitig unterstützen, sich für Jobs empfehlen oder ins Team holen. Diejenigen, die es geschafft haben, müssen anderen den Weg ebnen. Wie etwa Janina Kugel. Als Siemens-Personalchefin hat sie den Kulturwandel im deutschen Konzern vorangetrieben. 2020 verlässt sie das Unternehmen, um ihre Erfahrungen als Beraterin weiterzugeben.