Deutschland braucht eine digitale Weiterbildungsoffensive

Ein Großteil der Arbeitskräfte in Deutschland ist noch nicht bereit für den digitalen Arbeitsmarkt. Versäumtes nachzuholen, wird für die Unternehmen ohne staatliche Hilfe allerdings schwierig. 

Die Corona-Krise hat die Notwendigkeit zur digitalen Transformation der Wirtschaft für alle nachvollziehbar gemacht und gleichzeitig beschleunigt. Unternehmen spüren nun den Druck, ihre Geschäftsmodelle und Produkte digital zu erweitern, noch etwas stärker. Bei guter Konjunktur und vollen Kassen hinderte sie in den letzten Jahren vor allem der Fachkräftemangel daran, in Sachen Digitalisierung mehr Gas zu geben. 

Arbeitgeber haben den Umfang der Umwälzungen im Bereich Arbeit nicht früh genug erkannt.

Zumindest einen Teil des fehlenden Fachkräftebedarfs über die Fortbildung des eigenen Personals abzudecken, gehörte schon vor Corona zu einer realistischen Option. Je größer das Unternehmen, desto umfassender auch die Ansätze. Volkswagen beispielsweise bildet seit letztem Jahr einen Teil seiner Software-Entwickler über eine eigene Akademie selbst aus. Trotzdem ist rückwirkend festzustellen, dass das Thema Weiterbildung von vielen Unternehmen nicht intensiv genug angepackt wurde. 

Mitarbeiter*innen unzufrieden mit ihren Arbeitgebern

Das bestätigt auch das aktuelle Arbeitsbarometer des Arbeitsvermittlers Randstad. Demnach fühlen sich 57 Prozent der deutschen Arbeitnehmer durch die Qualifizierungsmaßnahmen ihrer Arbeitgeber nicht auf die Zukunft vorbereitet. Ein Grund für die Misere mag mitunter darin liegen, dass die Arbeitgeber den Umfang der durch die Digitalisierung bedingten Umwälzungen im Bereich Arbeit nicht früh genug erkannt haben.

„Vielen Unternehmen ist bewusst, wie wichtig Weiterbildung ist”, sagt Christoph Kahlenberg, Leiter der Randstad Akademie. „Aber wie erkennen sie, welche Fähigkeiten nachhaltig relevant sind? Es benötigt eine genaue Vorstellung, wie sich Arbeitsplätze verändern.“ Die Corona-Pandemie habe nun deutlich gemacht, in welchen Bereichen es Nachholbedarf gibt und wo sich neue Chancen ergeben.

Auch der Vertrieb muss Technik lernen

„Die neuen digitalen Geschäftsmodelle und die damit verbundenen Digitalisierungsmaßnahmen verändern die Arbeit in den Unternehmen und führen zu neuen Kompetenzbedarfen“, sagt Nicole Ottersböck, wissenschaftliche Expertin am Institut für angewandte Arbeitswissenschaft (ifaa). „Der kontinuierliche Aufbau insbesondere von technischem Know-how sollte daher zukünftig an zentraler Stelle stehen.“

Das ifaa geht davon aus, dass insbesondere der Bedarf an technischen Kompetenzen wie Datenanalyse, Programmierung oder Aufbau von komplexen IT-Infrastrukturen sowie der Umgang mit transformativen Technologien zunehmen wird, wie im MINT-Frühjahrsreport 2020 (PDF) des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) deutlich wird.

Doch auch in den Vertriebsbereichen der Unternehmen würden steigende Kompetenzbedarfe und eine Zunahme der Komplexität erwartet, was zu Herausforderungen führen könne. Die Vertriebsmitarbeiter der digitalen Arbeitswelt müssen laut ifaa neben dem eigentlichen Produktverkauf auch den Mehrwert von Produktnutzungsdaten verkaufen. Das wiederum setze voraus, dass sie die Prozesse der Kunden sowie deren aktuelle Problemlagen verstehen und über umfassendere Beratungskompetenzen verfügen müssen.

Hilfe vom Staat in Sicht

Anforderungen wie diese machen deutlich, worin digitale Fortbildung zu einem wesentlichen Anteil tatsächlich besteht, nämlich ein Verständnis für die Möglichkeiten und Auswirkungen der Technik zu entwickeln. In diesem Sinne werden laut ifaa Vermittler oder Zuständige für die sogenannte „Tech-Translation“ in den Unternehmen gebraucht. Deren Kompetenz sollte darin liegen, technische Inhalte so einfach wie möglich in die nicht-technischen Unternehmensbereiche zu transferieren. Im konkreten Beispiel der Vertriebsmitarbeiter bedeutet das, dass sie auch Kenntnisse zu Datenschutz und -sicherheit haben müssen, um Fragen der Kunden diesbezüglich zu beantworten.

Es braucht Menschen, die Technik für Nicht-Techniker verständlich machen.

Angesichts der einsetzenden Rezession werden die Unternehmen allerdings diese Herausforderung kaum ohne staatliche Hilfe stemmen können. Die gute Nachricht ist, dass diese Hilfe bereits unterwegs ist. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) hat die Auswirkungen der Digitalisierung auf die Arbeitswelt schon länger auf dem Radar und hat Maßnahmen diesbezüglich in die nationale Weiterbildungsstrategie vom einfließen lassen, die letzten Sommer vorgestellt wurde. 

Als Antwort auf die Auswirkungen der Corona-Krise will die Bundesregierung nun die Strategie weiter ausbauen und hat letzten Monat das Bundesprogramm zum Aufbau von Weiterbildungsverbünden gestartet. Mit dem Förderprogramm sollen insbesondere Beschäftigte von kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) die Möglichkeit erhalten, häufiger an Weiterbildungen teilzunehmen. Mit Unterstützung regionaler Koordinierungsstellen sollen verbindliche Kooperations- und Vernetzungsstrukturen zwischen Unternehmen, Bildungs- und Beratungseinrichtungen sowie anderen Akteuren der Weiterbildungslandschaft aufgebaut werden.

Kostenlose Angebote von der IT-Industrie

Ihr Fachkräfteproblem will auch die IT-Industrie mithilfe von Weiterbildungsangeboten lindern. So haben zwei der bisherigen Gewinner der Corona-Krise, Google oder Microsoft, zügig neue Qualifizierungsprogramme gestartet. Google will 100.000 Kurse für die Zertifizierung zum „Google Professional“ finanzieren, wobei die Hälfte dieser Plätze für Menschen aus benachteiligten Gruppen mit Sprachbarrieren, Fürsorgepflichten oder finanziellen Schwierigkeiten reserviert ist.

Microsoft will für sein Programm LinkedIn-Daten auswerten, um die am stärksten nachgefragten Jobprofile und die dafür notwendigen Qualifikationen zu identifizieren. Jobsuchende oder von Arbeitslosigkeit bedrohte Berufstätige sollen daraufhin Zugang zu Lernprogrammen erhalten, um sich entsprechende Fähigkeiten anzueignen. Außerdem sollen offizielle Zertifikate vergünstigt erteilt und Tools zur Unterstützung bei der anschließenden Arbeitssuche kostenlos zur Verfügung gestellt werden.

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