Cultural Fit: Kuscheln oder Kontern?
Die Unternehmenskultur ist ein wichtiger Bestandteil für den Erfolg eines Betriebs. Deswegen sollen künftige Beschäftigte bestmöglich dazu passen. Wann genau es sich bei Bewerbern um einen „Cultural Fit“, einen Treffer im Sinne der Firmenkultur handelt, wird aber kontrovers diskutiert.
Eine Firma kann nur dann neue Tools und Arbeitsweisen wie Collaboration oder agile Teams einführen, wenn Führungskräfte, Abteilungen, die Teams und jeder Einzelne mitziehen. Denn sie alle müssen anstrengende Veränderungen mittragen, Einschnitte hinnehmen und Herausforderungen bewältigen. Wer gemeinsam etwas schafft, ein Produkt, eine Dienstleistung, die digitale Umwälzung (oder alles gleichzeitig), ist engagiert. Wer jetzt allerdings keine Lust hat oder sich nicht mit dem Unternehmen identifizieren kann oder will, passt nicht zum Betrieb. Schlechte Stimmung will niemand. Die ist auch nach außen gefährlich, da sie das Firmenimage ankratzt und sogar Fachkräfte abschreckt.
Den „Professional Fit“ kennt jeder Personaler. Den „Cultural Fit“ inzwischen auch. Zumindest theoretisch.
Deshalb setzen Personalabteilungen viel daran, die „richtigen“ Mitarbeiter*innen einzustellen. Doch wann ist jemand richtig? Mit Kriterien wie Qualifikation und den typischen Anforderungen für die Stelle, dem „Professional Fit“ also, ist es heute nicht mehr getan. Ergänzend werden weiche Faktoren wie kollektiv gelebte Werte, bestimmte Verhaltensweisen wie Wertschätzung, Teamarbeit oder besondere Kommunikation gefordert – der „Cultural Fit“.
Wann Bewerber ein Professional Fit sind, ist relativ einfach herauszufiltern. Beim Cultural Fit wird es komplizierter. Zwar geben 69,1 Prozent der Personaler bei einer Studie der meta HR Unternehmensberatung und der Ausbildungsplattform Employour GmbH (inzwischen Teil von Territory) an, mit dem Konzept des „Cultural Fit“ vertraut zu sein. Der Begriff bleibt aber bei aller Definition von der Übereinstimmung zwischen Bewerber und Unternehmen dehnbar.
Cultural Fit sieht zunächst nach Schwarz-Weiß-Modell aus
Wer sich mit dem Thema Cultural Fit befasst, wird erst einmal auf diese Reise geschickt: Einen „kulturellen Treffer“ landet die Personalabteilung dann, wenn eine Kandidatin oder ein Kandidat „ähnlich tickt“ wie die bestehende Belegschaft oder das zukünftige Team. Geht man von dieser Definition aus, sprechen für die Einstellung Kriterien, die auf eine eher geradlinige Anpassung abzielen. Das bedeutet, wer in bestimmten Situationen so handelt, wie es das Unternehmen und die Beschäftigten erwarten, passt zur Kultur. So verstanden spricht für den Cultural Fit:
- Stabilität: Weniger Unruhe unter der Belegschaft. Wenn sich Mitarbeiter mit Entscheidungen identifizieren, sind sie zufriedener in ihrem Job. Laut einer Stepstone-Studie gibt es einen Zusammenhang zwischen Jobzufriedenheit und Identifizierung mit der Unternehmenskultur. Auch die weiteren Argumente stammen aus dem Bericht.
- Weniger Fluktuation: „Neue Mitarbeiter, die Schwierigkeiten mit der Kultur eines Unternehmens haben und keinen Willen zeigen, sich daran anzupassen, sind meist diejenigen, die ein Unternehmen auch als erste wieder verlassen.
- Team-Player: Ähnliche Meinungen führen zu mehr Zusammenarbeit und guter, wertschätzender Kommunikation. Man ist der bessere Team-Player.
- Kostenersparnis: Fehlbesetzungen, die Kosten durch weitere Bewerbungsprozesse verursachen, werden verringert.
- Diversität: Der Blick auf die Persönlichkeit macht Belegschaften diverser.
„Die Definition von Verrücktheit ist, immer dasselbe zu tun, aber ein anderes Ergebnis zu erwarten“. Albert Einstein
Die Gegenfraktion hält Cultural Fit dann für einen großen Fehler, wenn man ihn mit „Gleichschaltung“ gleichsetzt, und hält es mit Albert Einstein, dem das Zitat zugesprochen wird: „Die Definition von Verrücktheit ist, immer dasselbe zu tun, aber ein anderes Ergebnis zu erwarten“. Sie würden eher Leute einstellen, die genau das nicht tun – und gerade deshalb zur Kultur passen. Deshalb sehen sie in Cultural Fit, so wie es oben beschrieben ist, mehrere Defizite:
- Monokultur: Veränderung, Innovation und Agilität, braucht „andere“ Beschäftigte als die, die man schon hat.
- Fehlende Kreativität: Querdenker, die Gewohnheiten hinterfragen und neu denken, haben in Cultural-Fit-Unternehmen keine Chance.
- Keine Diversität: Wer Menschen einstellt, die ähnlich denken und die gleichen Hobbies haben, stellt keine diverse Belegschaft zusammen.
- Trägheit: Mitarbeiter*innen arbeiten einfach nur ihr Tagesgeschäft ab, wenn sie längere Zeit schon Beschäftigte sind. Neue Impulse kommen selten auf.
„Cultural Add“ statt „Cultural Fit“
Ob jemand „zum Unternehmen passt“ wird, sehr unterschiedlich ausgelegt. Simma Lieberman dürfte manchen bekannt sein als “The Inclusionist,” die Inklusionistin, weil sie sich zur Aufgabe gemacht hat, Arbeits- und Kundenumgebungen zu schaffen, die Arbeitende und Kunden bestens „stehen“. Sie sieht es so: Wenn Unternehmenskultur meint, alle sind und denken gleich, dann ist auch die Vorstellung von Cultural Fit genauso: gleich. Lässt die Unternehmenskultur ungleiches zu, verändert sich auch die Definition von Cultural Fit.
„Je mehr Ungleichheit die Unternehmenskultur zulässt desto diverser der Cultural Fit.“
Diese Unterscheidung scheint in der Diskussion angekommen zu sein – und eine diverse Wahrnehmung des Cultural Fit gleich mit. Statements wie dieses in einem Xing-Beitrag zum Thema umrahmen die kleinen, aber feinen Unterschiede: „Cultural Fit muss keineswegs das immer gleiche oder gar dasselbe Mindset bedeuten. Im Grunde geht es „nur“ darum auszuloten, wie breit der gemeinsame Werte-Korridor sein muss und wie viel Spannung man (er)tragen kann beziehungsweise braucht, um gemeinsam konstruktiv und produktiv zu sein.“
Der Begriff „Cultural Add“ wird unter Experten und Interessierten so ausgelegt, dass „gleich“ nicht unbedingt „einheitlich“ heißen muss, sondern Spielräume auf einer gemeinsamen Basis zulässt. Personaler sagen dann: Passt zu uns, weil sie oder er Werte ergänzt, die wir noch nicht haben – ein schmaler Grat. Einerseits brauchen Unternehmen für die Zukunft diesen einen Gedanken, der alles umkrempelt, auch wenn es weh tut. Allzu sehr dürfen Neue aber auch nicht ausscheren. „Revoluzzer“, so toll die Ideen sein mögen, werden beispielsweise in einem traditionellen Familienbetrieb nicht gut ankommen. In einem Kommentar zum erwähnten Xing-Beitrag hieß es, dass viele „kreative Querköpfe“ um des Betriebsfriedens und der Unternehmensziele willen gebremst werden müssten. Bei einem Start-up kann ganz anders aussehen.
Die Chemie muss stimmen – sofern man Zutaten und Verbindung kennt
Der 90%-plus-Match ist nicht immer zu empfehlen.
Der Spruch „Die Chemie muss stimmen“ ist in diesem Zusammenhang nicht so schlecht. Ein unübersichtliches Gemisch aus Chemikalien explodiert früher oder später. Mit der richtigen Mischung kann eine neue Verbindung entstehen. Ein Unternehmen muss seine Belegschaft mit Bedacht zusammenstellen, vorausgesetzt man kennt die eigene Kultur. Beim Autobauer Porsche etwa hat man sich dafür ein neues Leitbild gegeben, das in alle Sparten hineinstrahlt. Auf dem „Porsche Code“, der neuen Unternehmens-DNA, soll in Zukunft alles basieren, was mit Recruiting, Weiterbildung, Arbeits- und Bürowelt zu tun hat. Ob Bewerber das gleiche denken oder neue Ideen im Gepäck haben – beides kann zur Kultur passen.
Zu wissen, was man will, sei der fundamentale Gedanke bei der Firmenkultur und der darauf aufbauenden Bewerberauswahl, lautet auch das Ergebnis der meta HR Studie. Die Autoren raten dazu, die eigene Kultur kennenzulernen und gelebte wie gewünschte Leitwerte zu skizzieren. Die können anschließend in digitale Tools einfließen, die Personaler wiederum für das Recruiting nutzen können.
Erst mit einer Cultural-Fit-Strategie sollten Bewerber nach diesem Parameter geprüft werden. Interessant dieser Rat der Studie: Der 90%-plus-Match ist nicht immer zu empfehlen. Wer kulturellen Wandel im Unternehmen fördern möchte, sollte eher auf eine mittlere Passung der Bewerber setzen, dafür aber gezielt Personen rekrutieren, die jene Werte teilen, die für Ihr Unternehmen in der Zukunft wichtiger werden.