Das Großraumbüro hat keine Zukunft

Eine Harvard-Studie im Sommer dieses Jahres gilt als der finale Beweis, dass Großraumbüros anders auf Mitarbeiter wirken als erhofft. Statt produktivem Teamwork dominieren Stress und Misstrauen. Die attraktivste Alternative: das Homeoffice.

Jeder, der schon einmal in einem Großraumbüro gearbeitet hat, kann das bestätigen: Es ist laut, unruhig und Privatsphäre gibt es nicht. Eine im Juli dieses Jahres erschienene Studie zweier Harvard-Wissenschaftler zu den Collaboration-Effekten in Großraumbüros (definiert als Büros mit mehr als 400 Quadratmetern) belegte einige negative Auswirkungen und ist seither für viele der entscheidende Sargnagel für das offene Bürokonzept.

Dennoch hält sich die Großraumstruktur hartnäckig. Sie gilt als günstiger und die Idee der besseren Zusammenarbeit dominiert bei Unternehmen und Architekten nach wie vor. Zusammen mit früheren Umfragen und Studien kommt die Harvard-Erhebung aber zu ganz anderen Ergebnissen.

Es kann 23 Minuten dauern bis man sich nach einer Ablenkung wieder auf die Arbeit konzentriert.

Ablenkung statt Produktivität. Weil die Kollegen gleich nebenan sind und Aufgaben auf dem `kleinen Dienstweg` bearbeitet werden können, sei das Großraumbüro ein optimales Umfeld für mehr Collaboration. Das hat sich nicht bestätigt. Im Großraumbüro unterbrechen eine laute Geräuschkulisse oder Kollegengespräche die Arbeit immer wieder. Bis zu 23 Minuten kann es dauern, bis ein Mitarbeiter nach einer Ablenkung wieder konzentriert arbeiten kann.

Stress statt Konzentration. Ablenkung führt dazu, dass die Arbeit nicht fertig wird, die Folge ist Stress. Das wiederum mündet in Motivationslosigkeit und geringere Produktivität. Selbst Multitasker, die in der Lage sind, mehrere Dinge parallel zu tun, stoßen an ihre Grenzen: Je mehr sie gleichzeitig machen, umso schwieriger ist es, Ablenkungen zu blockieren.

In Großraumbüros sind Mitarbeiter doppelt so oft krank.

Krankenstand statt Ergebnisse. Mangelnde Konzentration und Zeitdruck erzeugt Stress, der bekanntermaßen krank macht. Tatsächlich steigt die Krankenrate in Großraumbüros im Vergleich zu Einzelbüros proportional zu den Mitarbeitern im Raum. In Großraumbüros müssen Unternehmen mit 62 Prozent mehr Krankentagen rechnen.

Misstrauen statt Zusammenarbeit. In offenen Büroumgebungen wird besonders die fehlende Privatsphäre bemängelt. Da ist immer das Gefühl, beobachtet zu werden. Und wenn Teamkollegen etwas besprechen, hört jeder zu. Das hat unter anderem dazu geführt, dass in Großraumbüros viel mehr E-Mails und Chats geschrieben werden, mit Kollegen im selben Raum wohlgemerkt. Face-to-Face-Collaboration? Fehlanzeige.

Teuer statt günstig. Großraumbüros sind dazu da, viele Beschäftigte kostengünstig auf kleiner Fläche unterzubringen. Das Konzept hat sich in weiten Teilen durch die oben genannten Argumente selbst ad absurdum geführt. Denn wenn die Produktivität sinkt und die Mitarbeiter öfter krank sind, kommt das dem Arbeitgeber letzten Endes teurer.

Das iPhone wurde schließlich auch auf kleinem Raum erfunden.

Wie groß die Rebellion gegen offene Büros sein kann, haben Apple-Mitarbeiter gezeigt: Sie weigerten sich, 2017 in den neuen Apple-Hauptsitz einzuziehen. Das „Spaceship“ genannte Gebäude setzt auf ein offenes Bürokonzept, was vielen Beschäftigten missfiel. Sie wollten im alten Apple-Hauptquartier bleiben, dem 1992 bezogenen „Infinite Loop“ mit Einzelbüros und Rückzugsräumen, eine damals bewusst getroffene Entscheidung. In einem Artikel des US-Magazins Wired wird auch eine Begründung mitgeliefert: Schließlich sei hier das iPhone entwickelt worden, eine der bahnbrechendsten Technologien überhaupt, und zwar, weil Entwickler die Möglichkeit hatten, sich zurückzuziehen.

Die Bürozukunft: Kleiner und flexibel

Freiberufler ohne festes Büro füllen die Lücken in offenen Büroumgebungen – damit es voller aussieht.

Die Ablehnung eines Großraumbüros bedeutet nicht die Abkehr der Büroumgebung allgemein. Zwar sinkt die Beliebtheit traditioneller, fester Schreibtischarbeitsplätze, aber bislang nicht des Büros an sich. Vielmehr kommt es auf die Gestaltung an und gefragt sind Flexibilität sowie Abwechslung in einer Corporate-Identity-Umgebung, die viele nur in einem Firmensitz gewährleistet sehen. Doch auch diese Annahme bröckelt. In den USA schießen Coworking Spaces wie Pilze aus dem Boden. Und Unternehmen engagieren Agenturen, die Freiberufler nicht etwa als Fachkräfte, sondern als Lückenfüller für zu große leerstehende Bürogebäude vermitteln.

Wenn also das Großraumbüro nicht den gewünschten Erfolg bringt, wird es Zeit für seine Alternativen. Die gibt es, je nach den eigenen Ansprüchen, Arbeitsweisen und Projektmanagement-Konzepten.

Bewegung zwischen eigenem und Team-Raum ist gut fürs Hirn.

Kleinere Büros. Früher war nicht alles besser, aber auch nicht alles schlecht. Bislang hat sich nicht bestätigt, dass Kollegen weniger miteinander reden, wenn sie in in unterschiedlichen Räumen oder gar an verschiedenen Standorten arbeiten, was durch den Einsatz digitaler Tools möglich geworden ist. Der Gang zum Kollegen am anderen Ende des Flurs hat sogar positive Effekte: Der Mitarbeiter kommt mit einer konkreten Aufgabe, nutzt gleichzeitig die Wegzeit, um über das Thema nachzudenken und entgeht dank des zeitweisen Wechsels des Arbeitsumfeldes einem Lagerkoller.

Homeoffice. Noch beliebter unter Beschäftigten (und immer mehr Arbeitgebern) wird das Homeoffice. Digitale Tools, vom Laptop über Dokumenten-Clouds bis hin zur Echtzeit-Kommunikation via Internet, ermöglichen Teamwork auch über geografische Grenzen hinweg und fegen die Kritik, man sitze isoliert daheim, recht schnell beiseite. Ist doch einmal ein Meeting nötig oder möchten Kollegen ein Projekt Face-to-Face voranbringen, haben sich Coworking Spaces auch hierzulande etabliert.

Bei Apple laufen sie gegen gläserne Trennwände.

Auch für Unternehmen hat das Arbeitsmodell Vorteile: Die Büromiete fällt geringer aus, wenn mehr Kollegen von zu Hause arbeiten (auch ein Argument, wenn die Firma expandiert, aber kein Budget für eine höhere Miete hat), die Mitarbeiter sind dank eigener Arbeitseinteilung produktiver. Und sogar Fachkräfte kann man locken mit der Aussicht, dort wohnen zu bleiben wo sie möchten und trotzdem für das Unternehmen erreichbar zu sein.

Unternehmen, die offene Büros anbieten, davon aber langfristig weg möchten, können übergangsweise Rückzug und Team-Räume im Großraumkonzept durch Trenn- und Schallschutzwände schaffen. Doch bitte nicht so wie in Apples Spaceship. Dort trennen säuberlichst geputzte Glaswände die großen Räume von kleineren Arbeitsumgebungen. Da viele Apple-Mitarbeiter mit den Augen auf das Smartphone gerichtet durch die Hallen laufen, übersehen sie die gläsernen Wände. Einige haben sich bereits verletzt. Die Idee, die Glaswände mit Post-it-Zetteln sichtbar zu machen, wurde von den Architekten aus Designgründen abgelehnt.

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4 Kommentare

  1. Ich stimme 100% zu dieser Studie zu. Ich habe in 20 Jahre Berufsleben sowohl in Großräume als auch in 3er Büros gearbeitet.
    Großräume sich total schlecht.

  2. Ich wusste noch gar nicht, dass es in Großraumbüros eine höhere Krankenzahl gibt. Ich denke da sollte man beim Bau von Gewerbegebäuden beachten. Krankheitstage haben einen Einfluss auf die Produktivität einer Firma.

  3. Ich halte Pauschalisierrungen für schwierig. Ich arbeite seit 15 Jahren bei unterschiedlichen Unternehmen, vor allem Startups, in Großaraumbüros und möchte nie wieder „in kleinen Zellen“ arbeiten. Das Tempo der Informationsverarbeitung nimmt halt zu…

  4. Pauschalisierung ist schwierig, ja. Und man muss auch stark zwischen den Aufgabenbereichen unterscheiden. In meinem Fall hat das Unternehmen über die „eigenen Köpfe“ hinweg entschieden und das Großraumbüro im Industrial-Look durchgezogen. Bestimmte Bereiche (vornehmlich Marketing und unteres Management) profitieren vom Flurfunk-Turbo. Der Rest verflucht das Büro. Vor der Pandemie wurde mit Teppichen und schallschluckenden Materialien geflickschustert und die Quote an Noise-Cancelling Kopfhörern blieb bei 95%. Nach der Pandemie bekommen sie nun die Quittung – wer schon mal 5 Tage lang 8-10h täglich Kopfhörer tragen musste versteht wieso. Auf einigen Etagen sind an Nicht-Meetingtagen kaum mehr als 4-5 Personen, wo früher 20-30 Mitarbeitende saßen. Der Flurfunk liegt dann nahe Null und Team-Events leiden an Teilnehmermangel.

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