Menschliche Fähigkeiten, die am digitalen Arbeitsplatz wichtig sind
Die Digitalisierung verändert heutige Tätigkeiten grundlegend und verlangt nach immer neuem Fachwissen. Doch es gibt auch Fähigkeiten, die immer hoch im Kurs stehen, ganz egal welche technischen Skills gerade gefragt sind. Die gute Nachricht dabei: jeder kann sie sich aneignen.
Maschinen und Software sind aus Sicht eines Unternehmens günstiger als Arbeitskräfte aus Fleisch und Blut, wenn sie dasselbe leisten können. Nach dieser Logik und angesichts der ständig wachsenden Möglichkeiten der Technik steht der Arbeitswelt eine beispiellose Automatisierungswelle bevor. Neben manuellen Tätigkeiten sind es zunehmend Verwaltungs- und Sachbearbeiterjobs, die von automatisieren Prozessen und Künstlicher Intelligenz übernommen werden.
Dennoch wird genug Arbeit für Menschen übrig bleiben und Experten rechnen sogar damit, dass die Digitalisierung am Ende mehr Jobs erschaffen als abschaffen wird. Was aber müssen die Arbeitnehmer*innen von morgen – abgesehen vom richtigen Fachwissen – mitbringen, um nicht einfach durch Automaten und Software wegrationalisiert zu werden?
Menschliche Skills sind gefragt
Stellenanzeigen liefern einige interessante Einblicke hierfür bereits heute. Die Business-Plattform LinkedIn beispielsweise ermittelt in ihrer jährlichen Stellenanzeigen-Auswertung die jeweils gefragtesten Hard- und Soft Skills des abgelaufenen Jahres. Die begehrtesten Soft Skills für 2018 waren demnach:
→ Kreativität,
→ Überzeugungskraft,
→ Teamfähigkeit,
→ Anpassungsfähigkeit und
→ gutes Zeitmanagement.
Interessanter Weise sind unter den Top 5 Hard Skills, die sich in der Regel auf Fachkenntnisse beziehen, zwei, die nicht viel mit Fachwissen zu tun haben: Analytisches Denken (Platz 3) und Menschenführung (Platz 4). Selbst das auf Platz 5 rangierende User Experience Design (UX) hat sehr viel mit Menschen zu tun.
Die Aufstellung von LinkedIn deutet an, wohin die Reise geht. Maschinen können auf verschiedenen Ebenen anpacken, erledigen, berechnen, analysieren und sogar sich selbst neues Wissen und Fähigkeiten beibringen. Was sie aber nicht leisten können, ist, sich wie ein Mensch zu verhalten. Umso mehr sind jetzt menschliche Skills gefragt, vor allem von Führungskräften.
Laut dem Psychologen Stephen Kosslyn gibt es bei nicht-routinemäßigen Tätigkeiten vor allem zwei Eigenschaften, die sich nicht automatisieren oder digitalisieren lassen. Zum einen handelt es sich um den Umgang mit Emotionen. Während Künstliche Intelligenz beispielsweise viel besser im Analysieren von Röntgenbildern ist und deswegen genauere Diagnosen als ein menschlicher Radiologe liefern kann, brauche es laut Kosslyn die Feinfühligkeit eines Arztes, der sich mit dem Patienten zusammensetzt, ihm eine problematische Diagnose näherbringt und mit ihm mögliche Therapien bespricht.
Mit dem digitalen Arbeitsplatz klarkommen
Die zweite Eigenschaft ist laut Kosslyn der Kontext. Letzterer sei besonders interessant, weil er per Definition offen ist. Der Kontext eines Sachverhalts oder einer Aufgabe erfordert eine breite Kenntnis von Zusammenhängen rund um dieses Thema. Dieser Kontext kann sich jedesmal ändern, wenn es eine kleine Veränderung gibt – und dazu reicht manchmal eine neue Information oder eine Nachricht. „Menschen können den Kontext leicht berücksichtigen, wenn sie Entscheidungen treffen oder mit anderen interagieren“, schreibt Kosslyn in einem Beitrag für die Harvard Business Review. Maschinelles Lernen hingegen funktioniere immer nur innerhalb eines zuvor festgelegten Kontexts.
Stephen Kosslyn hat seine Einsichten dazu genutzt, ein eigenes Fortbildungsunternehmen namens Foundry College zu gründen. In Online-Kursen vermitteln er und sein Team dort „zukunftssichere Skills“ in Kursen mit Titeln wie „Klare Kommunikation“, „Kritische Analyse“, „Praktische Problemlösung“ oder „Bei der Arbeit lernen“. Hinzu kommen Kurse wie „Analyse und Weitergabe von Informationen“ oder „Denken mit Software“, die helfen sollen, sich in einer digitalisierten Arbeitsumgebung zurechtzufinden.
Mit letzterem Thema hat sich ein weiterer Experte auf diesem Gebiet, Paul Miller von der britischen Digital Workplace Group, ausführlicher beschäftigt. Miller sieht die große Herausforderung für den Arbeitenden in der virtuellen Natur des digitalen Arbeitsplatzes. „Wir bewegen uns ständig zwischen Welten, die wir „real“, und solchen, die wir „digital“ nennen, und die Linien zwischen den beiden verschwimmen. Unser Hirn hat schwer zu kämpfen, die Unterschiede zu erkennen.“
Ein Spaziergang im virtuellen Garten
Miller hat einige Fähigkeiten identifiziert, die wir uns aneignen sollten, um mit dem digitalen Arbeitsplatz gut klarzukommen und ihn produktiv nutzen zu können.
1Sich in einer virtuellen Arbeitsumgebung wohl fühlen, als wäre sie real. Miller hat an einer Seite seines Gartens einen riesengroßen Spiegel angebracht. Schaut man von einer bestimmten Stelle darauf, ist das Spiegelbild kaum vom echten Garten zu unterscheiden. Miller nutzt das als Allegorie für den digitalen Arbeitsplatz. Letzterer sollte sich nach einiger Zeit genauso selbstverständlich und natürlich anfühlen wie ein Spaziergang durch einen echten Garten – auch wenn man weiß, dass er völlig virtuell ist.
2Eine gewisse Vertrautheit bei der digitalen Kommunikation entwickeln. Millers eigenes Unternehmen hat seine physischen Büros längst aufgegeben, die Mitarbeiter*innen kommunizieren überwiegend digital. Auch im Bewusstsein, dass die Bedürfnisse einer Unternehmensberatung, deren Mitarbeiter*innen meist bei ihren Kunden anzutreffen sind, nicht dieselben sind wie die eines Unternehmens wie Ikea, das Millers Firma berät: Digitale Kommunikationsformen wie Videokonferenzen können ein valider Ersatz für Face-to-Face-Kommunikation werden, wenn die Mitglieder eines Teams zuvor die Gelegenheit hatten, sich gegenseitig richtig kennenzulernen, glaubt Miller. Dann nämlich übertrage sich diese Vertrautheit auch in die digitale Kommunikation.
3Lernen, „im Freien“ zu arbeiten. Digitale Arbeit verlangt Transparenz und offene Kommunikation, weswegen auch Konzepte wie Working Out Loud so erfolgreich sind. Natürlich muss alles öffentlich sein, doch digitale Arbeit involviert meistens Teamwork und innerhalb eines Teams sollten Informationen proaktiv geteilt werden, um Missverständnisse, Redundanz und doppelte Arbeit zu vermeiden.
4„Digitale Robustheit“ in unserer Arbeitsweise entwickeln. Mit dem digitalen Arbeitsplatz einfach nur gut umgehen zu können, wird auf Dauer nicht ausreichen. Um dessen Potenzial auszuschöpfen, sollten einerseits seine Möglichkeiten ausgereizt werden, andererseits die Arbeitsmethoden angepasst und die Haltung zur Arbeit überholt werden. Dazu braucht es wiederum das vielzitierte Digital Mindset, das eine Haltung beschreibt, die für Offenheit, Neugier und Risikobereitschaft steht sowie für den Freiraum, sich Fehler leisten zu können und daraus zu lernen.