Digitalisierung in Unternehmen: Lebenslanges Lernen darf keine Floskel bleiben
Beim Berliner Kongress ‚Ethik + Digitalisierung‘ wurde deutlich: Berufserfahrene, die sich nicht weiterbilden wollen oder können, werden mittelfristig genauso zurückfallen wie Unternehmer, die sich modernen Arbeitsmethoden verschließen und Fortbildungsangebote für Mitarbeiter nicht fördern.
Mehr denn je müssen Arbeitnehmer und Arbeitgeber ihre Aufgaben überdenken und sich besonders fragen, ob sie der unaufhaltsam in die Arbeitswelt eindringenden Digitalisierung gewachsen sind. Hochkonjunktur haben daher Diskussionen über digitale Kompetenzen, Bildungsteilzeit, Recht auf Weiterbildung und Corporate Digital Responsibility – neben den nicht weniger notwendigen Debattierfeldern wie Datenschutz, Datennutzung und Datenverfügbarkeit.
Digitale Kompetenz bedeutet zuerst: Nicht jeder muss ein Data Scientist werden. Aber es gilt, über die Existenz technologischer Möglichkeiten informiert zu sein, diese in den eigenen Arbeitskontext einordnen zu können, sie sich nutzbar zu machen und zwar mit allen Disziplinen, die jeder zum Arbeiten braucht, so genannten Soft Skills wie selbstständiges Arbeiten oder Kreativität. Es ist ein ewiger Prozess und damit lebenslanges Lernen. Doch wie können Arbeitgeber und Arbeitnehmer den Wandel der Arbeitswelt durch Robotik, Automatisierung und Digitalisierung gemeinsam gestalten?
Ethik und Digitalisierung – Ein Kongress ruft zur Debatte auf
Die Frage der gemeinsamen Gestaltung war ein Thema beim „1. Gesellschaftlichen Dialog Ethik & Digitalisierung“ am 17. April 2018 in Berlin. Der mit CTOs, CIOs und Geschäftsführern von Unternehmen wie IBM und Microsoft, Wirtschaftsverbänden wie dem eco oder Einrichtungen wie dem Hasso-Platter-Institut hochkarätig besetzte Kongress diskutierte über die der Digitalisierung geschuldeten Umwälzungen in allen Lebensfacetten – auch in der Arbeitswelt.
Gerade dort offenbaren sich die zwei Seiten der Digitalisierungsmedaille: riesige Chancen und enorme Risiken. Laut einer McKinsey-Studie kann 2030 ein Viertel der Arbeitszeit theoretisch automatisiert abgearbeitet werden. In bereits zwölf Jahren müssen sich neun Millionen Menschen in Deutschland neue oder zusätzliche Betätigungsfelder suchen. Das gilt nicht nur für die vielzitierten Fließbandjobs. Auch Steueranwälte oder Radiologen werden bis dahin einen Teil ihrer Arbeit an intelligente Assistenzsysteme abgegeben haben. Dass bis 2030 rund 400.000 neue Arbeitsplätze allein durch die Bildung neuer Jobprofile wie dem des Datenanalysetechnikers entstehen sollen, ist nur ein mäßiger Trost, denn das betrifft eher die nächste Generation.
„Mitarbeiter sollen ihre Zeit individuellen gestalten können“
Wer bereits im Berufsleben steht und die Konkurrenz digitaler Assistenten oder Robotern fürchtet, dem bleibt nur die Weiterbildung und die Aneignung digitaler Kompetenzen. Prof. Dr. Jörg Rocholl, Präsident der European School of Management and Technology (ESMT), plädierte während einer Podiumsdiskussion für eine Bildungsteilzeit. Berufsbegleitend oder sogar in Vollzeit sollen sich Berufstätige weiterbilden können, unterstützt vom Arbeitgeber und sozial abgesichert durch den Staat. „Wir werden alle älter und sollen länger arbeiten – da ist die Weiterbildung doch nur konsequent“, argumentierte Rocholl.
Auch die Gewerkschaft IG Metall unterstützt digitale Projekte in Unternehmen. „Arbeit und Innovation spielen für uns eine zentrale Rolle“, sagte Martin Ruess, Betriebsratsvorsitzender GE Energy Power Conversion. „Wir müssen dafür sorgen, dass Mitarbeiter, auch eigenverantwortlich, ihre Zeit individueller gestalten können, um sich weiterzubilden. Für die Wertschöpfung in Europa, und da besonders in der Autoindustrie, ist das enorm wichtig“, so Ruess weiter. Für ihn sitzen die Unternehmen noch nicht fest genug mit im Boot. „Ich würde mir mehr Support von den Arbeitgebern wünschen“, appellierte Ruess.
Arbeitgeber müssen ihre Corporate Digital Responsibility wahrnehmen
Doch was sagen Arbeitgeber dazu, wenn Mitarbeiter mit 45 noch einmal die Schulbank drücken wollen? „Wir könnten weiter sein“, gab Alexander Gunkel, Mitglied der Hauptgeschäftsführung der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände zu und meinte damit den Fortschritt in den Unternehmen selbst. Man müsse Mitarbeiter früher abholen und ihnen auch Ängste nehmen, statt sie nur mit negativen Szenarien wie Datenschutzrisiken und Jobverlust zu konfrontieren.
Wie Mitarbeiter müssten auch Unternehmen an ihren digitalen Kompetenzen arbeiten und eine digitale Unternehmenskultur vorleben und anbieten. „Es heißt immer, die einfachen Jobs fallen am ehesten weg. Aber stimmt das?“, fragte er in die Runde. Als Beispiel führte er die Logistikbranche an: Ein Lagerarbeiter, der in Zukunft mit einer VR/AR-Brille ausgestattet ist, um Waren und Regale zu identifizieren, brauche nicht viele zusätzliche Kenntnisse und könne dennoch seinen Job künftig schneller erledigen.
„Ordnungsrahmen für die digitale Welt“
Die Digitalisierung in den Arbeitsalltag zu integrieren, das sei Aufgabe der Unternehmen, so ein Fazit der vielen Diskussionen. Corporate Digital Responsibility lautet das Zauberwort. Diese Selbstverpflichtung, Unternehmen und deren Mitarbeiter fit für die digitale Zukunft zu machen, sprach auch die Bundesministerin der Justiz und für Verbraucherschutz, Katharina Barley, in ihrer Keynote an: “Wir müssen einen verlässlichen Ordnungsrahmen für die digitale Welt schaffen“, sagte Barley mit Blick auch auf ihr eigenes Haus, „Dazu gehört auch, Möglichkeiten für Unternehmen zu schaffen, ihre Corporate Responsibility wahrnehmen zu können.“
Der Kongress mit rund 300 Teilnehmerinnen und Teilnehmern wurde übrigens eröffnet und anmoderiert von Dr. Klaus von Dohnanyi, Jurist, Politiker und Vorsitzenden des Beirates der Wegweiser Media & Conferences GmbH, dem Veranstalter des Kongresses. Von Dohnanyi ist Jahrgang 1928. Mit seinen klugen Fragen hat man ihm sofort abgenommen, dass er mit dem Lernen noch längst nicht fertig ist.