Digital Detox: Raus aus der digitalen Tretmühle!
Mit der Digitalisierung fluten zusätzlich zur E-Mail weitere Kommunikations-Tools unseren Arbeitsalltag und verlangen Aufmerksamkeit – die wir ihnen meist bereitwillig schenken. Vielleicht sollten wir uns lieber auf unsere eigentlichen Aufgaben fokussieren und aufhören, von Pop-up-Meldungen herumkommandiert zu werden.
Es wird Zeit, den Arbeitstag anders zu gestalten als ihn sich von Alerts, Push-Nachrichten oder dem suchtartigen „Noch kurz die Mails checken“ zerhacken zu lassen. Die Angst, etwas zu verpassen, im Englischen unter dem Begriff „FOMO“ bekannt („fear of missing out“) bekannt, hat längst vom privaten Konsum diverser Social-Media-Plattformen auf den Arbeitsalltag übergegriffen und ist auf dem besten Weg, Mitarbeitern mehr Zeit zu stehlen als sie sich leisten können – obwohl jeder weiß, dass nicht alles, was so über den Tag auf dem Bildschirm aufploppt auch super wichtig ist. Wir arbeiten mehr, kriegen aber weniger geschafft. Weil es es kaum noch eine Zeit gibt, in der wir nicht unterbrochen werden. Was bedeutet der Drang, nach dem Mitarbeiter und Chefs „always on“ sein müssen, und wie lässt sich das ändern?
Wir müssen aufhören, Angst zu haben, etwas zu verpassen
Etwas auf später zu verschieben kostet Überwindung.
Was im Privaten vermeintlich leichter fällt, weil die digitale Abstinenz („Digital Detox“) in der Regel keine schwerwiegenden Konsequenzen hat, kostet im Beruflichen echte Überwindung. Was, wenn der Chef die Zahlen doch noch braucht? Was, wenn die Ergebnisse des Meetings auch mich betreffen und der Bericht heute schon rausgegangen ist?
Stattdessen: Tägliche Übersichten und eine klare Abgrenzung vom Workaholic
Machen wir uns nichts vor: Die meisten Infos, die über den Tag reinflattern, sind nicht entscheidend für den eigenen Arbeitstag innerhalb der nächsten acht Stunden. Statt jede halbe Stunde eine Meldung vom Projektmanagement-Tool zu erhalten, dass ein Kollege eine Hürde geschafft hat, genügen womöglich tägliche oder wöchentliche Zusammenfassungen, die alle wichtigen Neuheiten beinhalten. Das Minimalziel, nämlich das Team auf den neuesten Stand zu bringen, wird auch damit erreicht. Dringende Fragen müssen ohnehin gesondert angesprochen werden. Was dabei wohl mit am schwersten fällt: Es auszuhalten, auf Meldungen warten zu können.
Wer sich selbst diesbezüglich halbwegs im Griff hat, ist oftmals Kollegen oder Vorgesetzten ausgesetzt, die als Workaholic durchs Leben hasten. Wenn ein Vorgesetzter spätabends E-Mails schreibt, dann kann das zwei Gründe haben. Zum einen hat es sich wohl bereits so eingeschliffen, dass er erwarten kann, sofort auch eine Antwort zu bekommen. Weil der Mitarbeiter ihm nacheifert oder den Druck verspürt, ebenso außerhalb der vereinbarten Arbitszeiten tätig zu sein. Natürlich gibt es Ausnahmen, die im Vorfeld besprochen werden können. Doch statt selbst in den Workaholic-Modus zu verfallen, hilft in der Regel ein Gespräch über Erwartungen und Bereitschaften, die bestenfalls in einem Kompromiss münden. So hat es Michael Watkins, Professor an der Harvard Business School einmal formuliert. Wer es nicht lassen kann, der antwortet vielleicht mit einem kurzen: „Habe ich gesehen, mache ich morgen als erstes.“
Je nach dem Verhältnis, das man zum Vorgesetzten unterhält kann es auch sinnvoll sein, ihn auf sein Zeitmanagement anzusprechen. Dass dieses vielleicht nicht optimal ist, wenn er Aufgaben spätabends abarbeitet und damit auch Kollegen in die Nachtarbeit zwingt.
Wir müssen aufhören zu glauben, die Welt drehe sich nur weiter, wenn wir in Echtzeit reagieren
Jede Ablenkung wirkt sich auf die Produktivität aus.
Wir nehmen die Arbeit wie einen Live-Ticker wahr und reagieren auch so: Alles gleich abarbeiten und mitlesen und kommentieren. „Ach, was erzählen sich die Mitarbeiter über die neuen Geschäftspläne?“ Für einen Daumen nach unten reicht die Zeit locker. Oder: „Die Anfrage des Kollegen ist doch gleich erledigt!“ und schon ist der eigene Fokus weg. Unser Verhalten, immer und überall präsent zu sein oder zu glauben, die Kollegen entscheiden etwas an einem vorbei, hat Auswirkungen auf unsere eigene Produktivität, also das, was wir selbst wegschaffen müssten. Und es hat irgendwann Auswirkungen auf die Arbeitsmoral, nämlich dann, wenn es einem vorkommt, als sei alles zu viel.
Stattdessen: Selbst Prioritäten setzen. Die Unternehemenskultur verändern.
Auch die Mails, die mit „asap“ („as soon as possible“) enden, werden oft sofort beantwortet. Denn eigentlich ist es das, was der Absender erwartet und nicht „Sobald es Dir möglich ist“, was ja eigentlich sehr ok wäre. Lassen wir dem Kollegen doch die Freiheit es dann zu tun, wenn er Zeit hat. Das muss man erst lernen, denn nie war die Flut an Meldungen über den Tag so groß wie jetzt. Nie haben so viele Leute so viel von einem verlangt und nie hat man sich selbst mehr aufgeladen als heute. Ohne Struktur und Zeitmanagement kommt man mit den Stunden, die ein Tag bietet, nicht hin. Auch ohne, dass einer einem noch zusätzlich Arbeit anschafft.
Zu priorisieren bedeutet: Sich auf die Themen, die anstehen, zu konzentrieren. Das können eigene Aufgaben sein oder auch welche, die von außerhalb kommen. Jedenfalls solche, die keinen Aufschub dulden und wirklich als nächstes dran sind. Bis diese Arbeit beendet ist, sollte man sich so wenig wie möglich stören lassen. Wenn etwas wirklich Entscheidendes passiert, bekommt man es mit, sagen Jason Fried und David Heinemeier Hansson. Die beiden Buchautoren haben gerade ein Buch zum Thema geschrieben („It Doesn’t Have to Be Crazy at Work„). Darin heißt es sinngemäß: „Es ist Zeit, statt das Verrückte die Ruhe zu feiern“ („It’s time to stop celebrating Crazy, and start celebrating Calm“).
Wer das alleine durchzieht, wird wahrscheinlich schief angeschaut. Es ist, wie so häufig bei der digitalen Transformation, eine Frage der Unternehmenskultur und wie mit digitalen Kommunikations-Tools sowie der verfügbaren Zeit im Unternehmen umgegangen wird. Informationen zu bündeln und sie zur gegebenen Zeit zu teilen, kann Teil einer digitalen Leitlinie im Rahmen der internen Kultur sein.
Jeder für sich selbst kann dann mit einem stringenten Zeitmanagement dazu beitragen, effektiver zu sein. Darüber hinaus sendet das ein wichtiges Signal: Ich brauche nicht außerhalb der Arbeitszeit ran, ich schaffe das auch in der vereinbarten Zeit. Die Buchautoren gehen noch einen Schritt weiter und propagieren statt FOMO nun JOMO, „The joy of missing out“, zu deutsch: Die Freude, etwas zu verpassen. Statt dem digitalen Dauerfeuer ausgesetzt zu sein, können Unternehmen für sich die Informationsflut eindämmen und niemand wird mehr schief angeschaut wenn er sich, soweit möglich, dem nicht enden wollenden News-Feed entzieht.