So klappt der Durchbruch zur betrieblichen Digitalisierung
Experimentierfreudigkeit, Innovationskultur, offene Kommunikation und Veränderungsbereitschaft auf der Führungsebene sind die entscheidenden Voraussetzungen für die erfolgreiche digitale Transformation sagt eine neue Studie der Bertelsmann-Stiftung und des Fraunhofer IAO.
Spätestens seit Corona wissen wir, dass die Sache mit der digitalen Transformation ernst gemeint war. Und viele Unternehmen, die sich bis dahin wenig Gedanken um das Thema gemacht hatten, haben gemerkt, dass die Digitalisierung nur zum Teil eine technische Aufgabe ist. Sie umfasst alle Ebenen des Unternehmens und bestimmt unsere Arbeitsweise neu.
Genau das bestätigt jetzt auch eine gemeinsame Studie des Fraunhofer-Instituts für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO) und der Bertelsmann Stiftung. Grundlage sind Interviews mit Führungskräften und Mitarbeitenden von 15 Unternehmen unterschiedlicher Größeund Branche, von IT- und Softwareunternehmen über Banken und Versicherungen bis hin zu Baufirmen und Druckfarbenproduzenten. Die beiden Institute wollten von den Managern wissen, wie die Digitalisierung in ihren Betrieben voranschreitet und welche Voraussetzungen dabei hilfreich sind.
Die Transformation ist ein Kreislauf
Die Studienautoren verstehen den Prozess der digitalen Transformation als Kreislauf (siehe Grafik oben), dessen fünf Stufen sich über die folgenden Fragen definieren:
→ „Wo fangen wir an?“,
→ „Wie treiben wir die Transformation voran?“,
→ „Welche Auswirkungen gibt es?“,
→ „Welche Triebkräfte und Hindernisse gibt es?“ und
→ „Wie machen wir weiter?“
Die Technik ist weniger das Problem, so viel steht zumindest fest. „Die größte Herausforderung besteht darin, das Denken von Führungskräften und Beschäftigten im Betrieb zu verändern“, sagt Birgit Riess, Direktorin der Bertelsmann-Stiftung. Es sei schwierig, vertraute Routinen und Rituale über Bord zu werfen und Jahre der betrieblichen Sozialisation hinter sich zu lassen.
Neues Denken in der Führungsetage
Es ist deshalb kaum überraschend, dass er entscheidende Impuls“von oben“ kommen muss, und das ist laut Studie in acht von zehn Unternehmen der Fall. Das ist denn auch die erste Schlüsselerkenntnis der Studie, nämlich dass die Geschäftsführung muss mit gutem Beispiel vorangehen muss. „Das heißt nicht, dass diese Ebene die Transformation alleine „über die Bühne bekommen“ muss, aber sie kann durch ihre Einstellung die richtigen Weichen stellen oder den richtigen Rahmen dafür setzen, dass die Mitarbeitenden ausprobieren, tüfteln und sich erproben können“, so die Studie. Dabei gehe es weniger um „klare Ansagen“, sondern vielmehr darum, die Veränderungen der digitalen Arbeitskultur vorzuleben.
Überhaupt habe die Führungsebene bei der Digitalisierung nicht nur sehr viel zu lernen, sondern müsse auch stark an sich selbst arbeiten. „Wir brauchen mehr Führung, aber weniger Führer“, sagt Sven Rimmelspacher, geschäftsführender Gesellschafter von Pickert & Partner, eines der befragten Unternehmen. Der etwa 40 Mitarbeiter starke Software-Hersteller hat bei sich die Abteilungen aufgelöst und sie durch cross-funktionale Teams ersetzt. Als kleiner Mittelständler konnte er sich zudem leisten, die disziplinarische Führungsebene der Abteilungsleiter abzuschaffen.
Die Führungsrollen verändern sich
„Die eigentliche Führung findet in der täglichen Arbeit statt, und das ist die fachliche Führung“, sagt Rimmelspacher. Außerdem habe man erkannt, dass die fachliche Führung situativ sein muss und nicht dauerhaft an bestimmte Personen geknüpft sein sollte. „In jedem Projekt, das in einem solchen Team umgesetzt wird, gibt es immer jemanden, der die beste fachliche Expertise hat und deshalb von der anderen als Führender akzeptiert wird. Das kann aber im nächsten Projekt jemand anderes sein. Damit haben wir sehr gute Erfahrungen gemacht, weil die Fachkompetenz in einer solchen Situation viel mehr wiegt“, so Rimmelspacher.
Das deckt sich mit einer weiteren Schlüsselerkenntnis der Studie, dass sich nämlich Führungsrollen durch die Digitalisierung verändern. Die Mitarbeitenden bekommen demnach mehr Eigenverantwortung und Entscheidungsfreiraum. Das muss aber nicht zwingend heißen, dass die ganze Hierarchie mit allen Führungskräften abgeschafft wird. „Das beobachtete Selbstverständnis der Führungskräfte hat uns gezeigt, dass hier ein großes Handlungspotenzial für die Zukunft besteht“, sagen die Studienautoren. Zugleich weisen sie darauf hin, dass man bei diesem Prozess langfristig nicht ohne eine Neuausgestaltung der Gehaltsstruktur auskommen werde.
Eine weitere Erkenntnis besteht darin, dass die Unternehmensführung Räume für Innovationen und Lernen schaffen muss. Wenn sich Firmen auf die digitale Reise machen, dann meist aus der Notwendigkeit heraus, neue Marktchancen wahrzunehmen und neue Geschäftsmodelle zu entwickeln, um die Zukunft des Unternehmens zu sichern. Da die digitale Wirtschaft ein Bereich ist, der sich gerade erst entwickelt, gibt es viel zu lernen. Entsprechend gilt die Bereitschaft zum lebenslangen Lernen auf allen Ebenen als wichtigste Kompetenz, um am Ball bleiben zu können. Nur müsse diese Tatsache auch von den Unternehmenslenkern erkannt, priorisiert und mit entsprechenden Maßnahmen gefördert werden, so die Studie.
Technik ist Mittel zum Zweck
Ähnliches gilt für die technische Ausstattung der Mitarbeiter und des Unternehmens als Ganzes. Allzu restriktive Richtlinien und Einschränkungen seitens der IT-Administration sind nicht gerade förderlich, wenn die Mitarbeitenden eine selbstverständlichere Beziehung zur Technik gewinnen und die Scheu vor neuen Tools und Arbeitsmethoden ablegen sollen.
Die oben erwähnte Eigenverantwortung kann hier helfen. Bei Pickert & Partner zum Beispiel können die Mitarbeitenden selbst entscheiden, welche Geräte und Anwendungen sie für sich beschaffen lassen. Da die Zahlen im Team jedoch transparent sind, müssen sie gegenüber den anderen Teammitgliedern ihre Entscheidung auch begründen und vertreten können. In den Unternehmen etablieren sich langsam neue Beschaffungsrichtlinien, IT-Nutzungsvereinbarungen und Betriebsvereinbarungen, um eine möglichst bedarfsgerechte Ausstattung aller Mitarbeitenden zu gewährleisten, bestätigt die Studie.
Ist diese Schwelle einmal überschritten, gewinnen Unternehmen eine entspanntere Beziehung zu Technik und sie wird einfach als Mittel zum Zweck betrachtet. „Es geht darum, Daten, Menschen und Wissen miteinander zu verbinden“, sagt Andreas Kämmer, Geschäftsführer von Comspace, eines weiteren Unternehmens, das an der Studie teilgenommen hat. Die Nutzung von Technologie sei bei Comspace inzwischen so selbstverständlich wie der Griff zum Telefon.
Wissbegierige Mitarbeitende, eigenverantwortliche Teams, eine gute technische Basis und Entscheidungsfreiräume bei der Lösung von Problemen bilden die wesentlichen Voraussetzungen für das anfangs geforderte neue Denken, den digital Mindset. Darüber lasse sich laut Studie auch eines der größten Hindernisse der Transformation überwinden, die Verweigerung der Veränderung aus Karrieregründen.
„Als wichtigstes Erfolgsrezept für die Umsetzung gilt: ausprobieren, ausprobieren, ausprobieren“, so die Studie. „Wer sich an neue Umstände anpassen möchte, muss ins Machen kommen. Das erfordere einen Spagat zwischen der Unsicherheit, sich auf neues Terrain zu bewegen, und dem Mut, Altes hinter sich zu lassen, die Mitarbeitenden zum Aufbruch zu bewegen – und mit Widerstand offen umzugehen. Hierfür müsse aber Mut auch belohnt werden.