Self-Service BI – Datenanalyse in Guerilla-Manier
Eine neue Generation von Analysewerkzeugen, mit denen Anwender in Fachabteilungen ohne viel Hilfe aus der IT sofort loslegen können, erobert derzeit Unternehmen aller Größen im Sturm. Was bringen sie wirklich?
„Land and expand“ lautet die Marketingstrategie von Tableau Software, zu Deutsch „landen und sich verbreiten“. Tableau verkauft seine Datenanalyse-Software am liebsten direkt an die Leute, die sie täglich nutzen sollen, also an Mitglieder und Leiter von Fachabteilungen. Hilfe von der IT braucht es zunächst nicht unbedingt. Die Software und der dazugehörige Online-Dienst gehört zur Gattung der „Self-Service Tools“ – leicht zu installieren und nach einer kurzen Schulung auch einfach zu benutzen.
Produkte wie die von Tableau oder seines Wettbewerbers Qlik schaffen es, Business-Nutzern die Beschäftigung mit Zahlen, Statistiken und Grafiken auf eine spielerische Weise schmackhaft zu machen. „Ich bin jetzt seit 21 Jahren in der IT und bin es gewohnt, dass Anwender die IT am liebsten von hinten sehen, nämlich wenn sie wieder geht“, sagt Alexander Beck, Kundenbetreuer beim IT-Dienstleister Insight Dimensions. „Mit Produkten wie Tableau mache ich eine völlig andere Erfahrung. Ich löse Begeisterung aus.“
Becks Arbeitgeber ist schon lange im Bereich Datenanalyse tätig, arbeitet herstellerunabhängig und implementiert BI-Lösungen (BI = Business Intelligence) bei Anwenderfirmen. Datenanalyse-Projekte, wenn sie umfassend aufgesetzt werden, kosten mittelständischen Firmen fünf- oder sechststellige Summen. Doch das Geschäft verändert sich gerade. Seit einiger Zeit ist Insight Dimensions auch beim kleineren Mittelstand unterwegs und schuld daran sind Self-Service Tools. Auch wenn die Aufträge zunächst nur aus ein paar Software-Lizenzen und einigen Tagen Schulung bestehen, sie lohnen sich weil die „land and expand“-Strategie offenbar funktioniert. „Das Geschäft wächst mit der Zeit weil immer mehr Leute in einem Unternehmen mit den Tools arbeiten wollen“, sagt Beck.
Datenanalyse für bessere Entscheidungen
Was motiviert Business-Nutzer, sich mit Zahlen zu beschäftigen? Zunächst einmal ist es die Verfügbarkeit von Zahlen. Dass Analysen noch bis vor kurzem der Chefetage und dem Controlling vorbehalten waren, mag mitunter daran gelegen haben, dass Daten im Unternehmen nicht so breit gestreut waren wie das heute der Fall ist. Aktuell haben Firmen eher das gegenteilige Problem. Die vielen Anwendungen in allen möglichen Abteilungen produzieren ständig irgendwelche Daten. Diese Daten wiederum wollen berücksichtigt werden, weil niemand es sich leisten kann, Entscheidungen wider besseren Wissens zu treffen – und das trifft sowohl für den Chef als auch für den einfachen Mitarbeiter zu.
Genau hier kommen die Self-Service-Tools ins Spiel. Praktisch jeder Mitarbeiter hat etliche Excel-Tabellen auf der Festplatte, die ihm vielleicht wertvolle Einsichten vermitteln könnten. Nur hat kaum jemand die Zeit, sich stundenlang damit zu beschäftigen. Mit Qlik, Tableau & Co. kann man Zahlen aus Excel-Tabellen schnell grafisch aufbereiten und sie mit Daten ins Verhältnis setzen, die direkt aus den Datenbanken anderer Anwendungen angezapft werden. Oft reicht dann ein einziger Blick auf ein Diagramm und man erkennt Zusammenhänge, die man vorher nicht mal ahnen konnte.
Da unternehmensweite Lösungen hohe Kosten und einen langen Vorlauf voraussetzen, haben Self-Service-Lösungen Hochkonjunktur. Leiter von Fachabteilungen können sie meistens locker aus dem eigenen Budget finanzieren und ihre Mitarbeiter danken es ihnen, wenn sie zumindest die Aussagekraft der eigenen Daten voll ausschöpfen können. Zudem bieten die Hersteller in der Regel auch Werkzeuge an, um Daten aus Datenbanken vieler anderer Anwendungen relativ unkompliziert zu importieren und in die Analyse mit einzubeziehen.
Mit Zahlen spielen macht süchtig
„Wir gehen gezielt Anwender in Fachbereichen wie Produktion, Supply Chain, Marketing, Vertrieb und anderen an“, sagt Lars Milde, Marketingleiter von Tableau im deutschsprachigen Raum. „Unser Versprechen lautet, ‚Wir können dir helfen, bessere Entscheidungen zu treffen und schneller Resultate zu zeigen‘. Darüber bilden wir Champions im Unternehmen, die das Tool weiterempfehlen.“ Hat ein solcher Champion erst Feuer gefangen, hat er viel Munition zur Verfügung, um sich in das Thema richtig reinzubeißen. Zusätzlich zu den vielen Video-Tutorials auf der Website und den Communities, in denen man sich gegenseitig Tipps gibt, bieten die Hersteller über ihren Support Hilfe an, wenn der Nutzer seine Charts und Dashboards noch aussagekräftiger gestalten will.
Man sollte dabei aber nicht den Eindruck bekommen, die Tools seien nur Spielerei. Anwendungsbeispiele gibt es reichlich. Die Roeser Medical Group beispielsweise analysiert mit QlikView ihre Kundenstruktur und vergleicht Vertriebsgebiete miteinander. Ihre 85 Außendienstmitarbeiter haben die Software auf ihren iPads installiert und können ihre Vertriebsaktivität danach ausrichten. Das Marktforschungsinstitut GfK behält mit Tableau die Zahlen ihrer Niederlassungen und Tochtergesellschaften im Auge. Und der Heizungshersteller Zehnder hat Qlik an sein SAP-System angeflanscht und analysiert damit Leistungsdaten aus fast allen Unternehmensbereichen. Auch Großunternehmen gehören mittlerweile zu ihren Kunden, zum Beispiel Vodafone (Qlik) oder der indische Autohersteller Ashok Leyland (Tableau).
Eher ist es so, dass die gelungenen Benutzeroberflächen dieser Produkte den Spieltrieb der Mitarbeiter nutzen, damit der Umgang mit Zahlen und Statistiken ein normaler Bestandteil ihres Jobs wird – und manchmal auch darüber hinaus. Wer den Spaß daran für sich privat entdeckt hat, kann sich beispielsweise auf Tableau Public austoben. Auf dem „YouTube der Daten“ kann jeder Charts zu einem beliebigen Thema erstellen und der breiten Öffentlichkeit zur Verfügung stellen. Von den besten Rock-Alben aller Zeiten bis zu einem weltweiten Hunger-Index gibt es dort viel zu entdecken.
Es gibt noch Widerstände
Oft müssen Fachabteilungen noch einige Widerstände überwinden, bis sie in Eigenregie Werkzeuge zur Datenanalyse in Betrieb nehmen dürfen. Die erste Hürde kann mangelnde Unterstützung seitens der IT-Abteilung sein. Die Gründe reichen von Überlastung des IT-Teams bis hin zum Widerwillen mancher IT-Chefs, Fachabteilungen „einfach machen zu lassen“. Damit provozieren sie aber nur die Einführung dieser Tools im Guerilla-Verfahren.
„Analytics ist heute für viele Fachabteilungen wie Marketing oder Sales eine Notwendigkeit und sie wird auch stark gefordert“, bestätigt Alexander Beck. „Wenn die IT-Abteilung nicht darauf reagiert, holen sich die Fachabteilungen die Budgets dafür direkt von der Geschäftsführung, nehmen einen Cloud-Dienst und die IT wird vor vollendete Tatsachen gestellt.“ In der Tat bieten Tableau, Qlik und viele andere Hersteller ihre Software auch als Online-Dienst an. Die Fachabteilungen müssen hierfür dann die Software nicht einmal im eigenen Rechner installieren, es reicht die Einrichtung eines Accounts.
Auch viele konservativ eingestellten Unternehmen sträuben sich gegen Analytics-Tools weil sie befürchten, dass ihre Mitarbeiter nur damit herumspielen werden und dabei Arbeitszeit verschwendet wird. „Sie verkennen aber, dass die Mitarbeiter beim ‚herumspielen‘ neue Einsichten gewinnen, die letztendlich dem Betrieb zu Gute kommen“, sagt Beck. Das trifft vor allem dann zu, wenn die Chefetage durch die Daten eine klarere Sicht der Dinge über mehrere Abteilungen hinweg bekommen kann. So kann sich zum Beispiel das Controlling die Zahlen der Marketingabteilung besser unter die Lupe nehmen und Fragen stellen, die es zuvor so nicht stellen konnte.
Langfristig denken
„Self-Service-Tools sind mit Sicherheit ein Weg, die Datenanalyse unternehmensweit voranzutreiben“, sagt Nicolai Andersen, Leiter Innovation beim Beratungsunternehmen Deloitte. „Sie schaffen es, Fachabteilungen schnell an das Thema heranzuführen und das Vorurteil abzubauen, dass Analytics viel zu komplex ist. Die Tools helfen, durch verhältnismäßig einfache Visualisierung und Analyse von Daten Zusammenhänge aufzuzeigen, die vorher nicht so klar waren.“
Doch Andersen mahnt, beim Thema Datenanalyse nicht zu klein und vor allem nicht zu kurzfristig zu denken. „Man sollte sich bewusst sein, dass die Self-Service-Tools zwar helfen können, ein anderes Denken im Unternehmen zu bewirken, aber in einer langfristigen Reporting-Roadmap nur ein Element sein sollten.“ Self-Service-Tools seien gut für die explorative Datenanalyse, wenn in der bestehenden Datenbasis nach Erkenntnissen gesucht wird. „Wenn man aber Zusammenhänge entdeckt hat, die man regelmäßig im laufenden Betrieb im Auge behalten will, dann sollte diese Aufgabe in das Standard-Reporting und die dafür besser geeigneten Tools überführt werden“, empfiehlt Andersen.
Beim Standard-Reporting wird auf die Daten großer Anwendungen wie SAP zugegriffen und es bietet sich an, sich zunächst die Datenanalyseprodukte der entsprechenden Hersteller näher anzuschauen. So gut wie alle Hersteller haben in den letzten Jahren in Datenanalyse investiert und haben inzwischen mächtige Produkte im Portfolio, bei SAP beispielsweise ist es Lumira, bei Salesforce ist es die Analytics Cloud.
„Wenn man an dem Punkt angelangt ist, wo die Self-Service-Tools für das Standard-Reporting eingesetzt werden sollen, stößt man meist an ihre Grenzen“, sagt Andersen. Entsprechend sollte es von Anfang an eine Roadmap für das Reporting geben, die auch Tools beinhaltet, die dem Unternehmen auch im Regelprozess stabil und effizient Berichte liefern. „Deswegen halte ich es für sehr sinnvoll, dass die IT-Abteilung schon sehr früh in diese Art von ‚Guerilla-Einführung‘ der Datenanalyse eingebunden wird.“
Ob die Entscheidung schließlich für die „großen“ Reporting-Tools fällt oder ob man lieber mit den Self-Service-Tools weitermacht, muss jedes Unternehmen und seine IT-Abteilung nach eigenen Gesichtspunkten beurteilen. Auch wenn die anwendungseigenen Reporting-Tools oft tiefer in die eigenen Daten graben können und deswegen in Sachen vorausschauende Analysen mehr herausholen können: Es gibt reichlich Beispiele dafür, dass an große Anwendungen angedockte Self-Service-Tools Resultate liefern, mit denen Unternehmen durchaus leben können.