Low-Code-Plattformen legen Business-Software in die Hände der Anwender
Unternehmenssoftware ist ebenso mächtig wie starr – ein krasser Widerspruch zum Geist der Digitalisierung, der Flexibilität und Agilität verlangt. Low Code-Plattformen können dieses Dilemma auflösen weil sie Anwendern eine Möglichkeit geben, die in der Business-Software abgebildeten Geschäftsprozesse selbst zu verändern – ohne Programmierung.
1972 wurde in Deutschland ein Unternehmen gegründet, das den ersten disruptiven Wandel in der Geschichte der Unternehmenssoftware einleitete – die SAP. Die Idee bei der Entwicklung der Standardsoftware war, eine einheitliche Geschäftslogik zu definieren, die ohne größere Anpassungen auf die Anforderungen möglichst vieler Unternehmen passt. Des weiteren kamen die SAP-Gründer auf die Idee, nicht einzelne, unabhängige Softwaresysteme zu entwerfen, sondern ein einheitliches, funktionsübergreifendes und integriertes Anwendungssystem. Der Begriff ERP (Enterprise Resource Planning) war geboren.
„Jedes Unternehmen wird ein Software-Unternehmen“ – das ist leichter gesagt als getan.
Der Siegeszug kann beginnen
Mit der Client-Server-basierten ERP-Software begann dann der Siegeszug der Unternehmens(standard)software überhaupt. In den Neunzigern und Nuller Jahren konnten die meisten Unternehmen durch ERP-Systeme ihre Prozesse beschleunigen, Daten integrieren und generell effizienter und produktiver arbeiten, als das vor der Einführung der Fall war, insbesondere in den Bereichen Rechnungswesen und Controlling.
Die Einführung des Internets und das damit verbundene Cloud Computing hat dann den nächsten Technologie- und Architekturwechsel in der Unternehmenssoftware eingeleitet, der bis heute wirkt. Insbesondere der Internetbrowser als neues Front-End ist hier zu nennen. Neben dem Technologie- und Architekturwechsel hat die Cloud aber auch zu neuen Konsum-, Bezahl- und Nutzungsmodellen von Unternehmenssoftware geführt. Beim Cloud Computing wird die Software nicht mehr als „Softwarelizenz mit Wartung“ gekauft, sondern als „Cloud Service“ (Public oder Private). Man kauft also keine Software mehr, sondern man mietet einen Service. Doch auch wenn das Internet hier zu wesentlichen Veränderungen in der Architektur, Bereitstellung und Bezahlung von Unternehmenssoftware geführt hat, so ist die Grundidee der vom Hersteller (fest) vordefinierten Geschäftslogik immer noch die gleiche und unverändert geblieben.
Mit der Digitalisierung um das Jahr 2012 kommt dann die Megadisruption schlechthin. Das Motto lautet: „Software is eating the world“. Dabei geht es im Wesentlichen darum, auf Basis innovativer (digitaler) Softwarelösungen neue Geschäftsmodelle zu entwickeln oder bestehende Geschäftsmodelle anzupassen oder zu erweitern. Digitalisierung bedeutet übersetzt nichts anderes als Innovation durch Software. Der Focus liegt hierbei auf dem, was man heute als „Experience“ bezeichnet. Es geht darum, das Erlebnis des Kunden sowohl im Umgang mit den Produkten oder Services als auch im Umgang mit dem Unternehmen selbst massiv zu verbessern. Die technologische Basis für diese digitalen Veränderungsprozesse stellt die Unternehmenssoftware dar, nach dem Motto: „Business applications run the digital business“.
„Digitalisierung“ und „Standard“ passen nicht zusammen
Bei der Digitalisierung stoßen die traditionell als Standardsoftware entwickelten ERP-Systeme (ob in der Cloud oder nicht ist dabei völlig egal) aber nun an ihre konzeptionellen und technologischen Grenzen. Wie bereits zuvor erläutert, basiert die Idee der Standardsoftware darauf, dass die in ihr abgebildete Geschäftslogik vom Hersteller vorgedacht und entsprechend „hart“ codiert wurde. Wie der Name schon sagt, geht es um Standarisierung und Harmonisierung. Die „Power of Innovation“ liegt damit beim Softwarehersteller und nicht beim Kunden.
Standardsoftware ist alles andere als überflüssig. Aber sie sollte einer guten Customer Experience nicht im Weg stehen.
Dies steht aber nun im krassen Widerspruch zu dem, was das Wesen der Digitalisierung ausmacht: Differenzierung, Flexibilität und kurze Innovationszyklen. Die Digitalisierung erfordert eine hohe Innovationsgeschwindigkeit an neue Geschäftsanforderungen und hohe Flexibilität und Agilität bei der Bereitstellung neuer Softwarelösungen für das Business. Die klassische Standardsoftware kann diese Anforderungen nicht erfüllen. Sie wurde dafür auch nicht gebaut.
Das heißt aber nicht, dass diese Softwaresysteme im Zeitalter der Digitalisierung nicht mehr benötigt werden. Ganz im Gegenteil, sie sind der Hüter wichtiger Daten und Prozesse, die auch im Zeitalter der Digitalisierung noch von großer Bedeutung sind. Aber sie sind nicht mehr das Fundament für die neuen, differenzierenden und innovativen Geschäftslösungen im Bereich Customer Experience.
Jedes Unternehmen muss seine eigene Software schreiben können
Wenn die klassische Unternehmenssoftware nachweislich nicht in der Lage ist, den Anforderungen der Digitalisierung gerecht zu werden, was ist es dann? Die Antwort zu dieser Frage lautet: Technologieplattformen. Nach dem Motto: „Platform beats product all the time“. Die „Power of Innovation“ muss wieder vom Hersteller zurück zum Kunden. Dorthin, wo das Wissen über Daten und Geschäftsprozesse zu Hause ist. Die Unternehmen müssen sich wieder in die Lage versetzen, innovative und differenzierende Geschäftsapplikationen selbst oder mit Partnern zu entwickeln.
Die Innovationskraft muss wieder dorthin zurück, wo die Geschäftsprozesse zuhause sind – zum Anwenderunternehmen.
Das bedeutet, die Unternehmen sind aufgefordert, sich wieder die Fähigkeit der Softwareentwicklung anzueignen. Eine Fähigkeit, die durch die fast ausschließliche Konzentration auf Standardsoftware in den letzten 25 Jahre fast völlig verloren ging. Ziel muss sein: „Every company becomes a software company“. Und das ist einfacher gesagt, als getan. Die Entwicklung hochqualitativer und hochinnovativer Softwaresysteme ist eine komplexe und hochkreative Aufgabe zugleich. Das lernt man nicht über Nacht. Viele, insbesondere kleinere und mittelständische Unternehmen werden diesen „Sprung“ deshalb nicht alleine schaffen.
Hier geht es dann darum, sich zusammenzuschließen und mit strategischen Partnern zu arbeiten. Weil Innovationen immer und überall auf Softwaresystemen beruhen, gibt es dazu jedoch keinerlei Alternativen. Nur so kann es den Unternehmen gelingen, schnell und flexibel zu agieren. Nichts zu tun, wäre fahrlässig. Nicht umsonst stellen viele große und mittlere Unternehmen vermehrt Softwareentwickler ein. Die Volkswagen AG hat sogar ein komplett neues Vorstandsressort für Software definiert. Andere werden folgen.
Gibt es einen Weg am Software-Entwickler vorbei?
Warum sind nun diese zuvor genannten Technologieplattformen von so hoher Bedeutung für die Digitalisierung? Diese Plattformen, wenn sie als Cloud Service angeboten werden häufig auch als PaaS (Platform as a Service) bezeichnet, unterstützen den kompletten Softwareentwicklungsprozess. Design, Development, Testing, Deployment, Execution, Monitoring und Administration von Geschäftsapplikationen sind die wesentlichen Aufgaben dieser Plattformen. Sie ermöglichen es Unternehmen, neue, innovative Geschäftslogik schnell und agil zu entwickeln und bereitzustellen.
Flexibilität heißt, für das Unbekannte gut vorbereitet zu sein.
Gerade der Aspekt der Geschwindigkeit spielt hier eine entscheidende Rolle. Im Zeitalter der Digitalisierung ist Geschwindigkeit das höchste Gut. Ein weiterer Aspekt, der in diesem Zusammenhang eine gewichtige Rolle spielt, ist die Unsicherheit oder Unvorhersehbarkeit zukünftiger Entwicklungen im Bereich der Digitalisierung. Viele Unternehmen wissen zum heutigen Zeitpunkt nicht, wie in 5 oder 7 Jahren ihre Produkte, Services oder Geschäftsprozesse aussehen werden. In dieser Situation, wo es darum geht, auf das „Unbekannte“ vorbereitet zu sein, sind Flexibilität und Reaktionsgeschwindigkeit unverzichtbare Unternehmensfähigkeiten – nicht Standardisierung und Harmonisierung.
Bei diesen Plattformen zeichnet sich nun ein wegweisender Trend ab, der sogenannte Low-Code-Ansatz. Wie bereits ausgeführt, ist Softwareentwicklung kein trivialer Vorgang. Bei dem Einsatz traditioneller Tools braucht man auch das entsprechende Fachwissen, also in der Regel professionelle Softwareentwickler. Aufgrund der Tatsache, dass die Nachfrage nach diesen Fähigkeiten derzeit sehr hoch ist, das Angebot aber eher gering ausfällt, läuft man zwangsläufig in eine Skill-Problematik.
Citizen Developer programmieren, ohne Code zu schreiben
Hier kommen nun die Low-Code-Plattformen ins Spiel. Sie erheben den Anspruch, die Entwicklung von digitalen Geschäftsapplikationen massiv zu vereinfachen und zu beschleunigen. Das erreichen diese Plattformen im wesentlichen dadurch, dass das Design der Geschäftslogik (Benutzeroberflächen, Geschäftsprozesse, Daten, etc.) nicht mittels klassischer Programmiersprachen erfolgt (Codierung), sondern auf der Basis von grafischen Benutzeroberflächen (Drag and Drop). Aus diesen grafisch erstellten Modellen (Meta Daten) wird dann im Hintergrund automatisch der entsprechende Programmcode generiert. Ziel ist es, auch solche Mitarbeiter im Unternehmen mit der Fähigkeit zur Softwareentwicklung zu betrauen, die nicht Teil der zentralen IT sind und somit keine Experten in Sachen Softwareentwicklung, sondern um Technik-affine Mitarbeiter aus den Fachbereichen, sogenannte Citizen Developer.
Es ist davon auszugehen, das die Zentrale IT in den Unternehmen zukünftig nicht mehr in der Lage sein wird, den Bedarf an Geschäftsapplikationen im Unternehmen mit eigenen Ressourcen zu befriedigen. Es muss ein Weg gefunden werden, die Entwicklungskapazitäten zu erweitern. Low Code ist der Ansatz genau dafür. Das heißt aber nicht, dass diese Low-Code-Plattformen nicht auch von der Zentralen IT eingesetzt werden können. Das Gegenteil ist der Fall. Auch obliegt der Zentralen IT die Hoheit über den Plattformen.