Fachabteilungen emanzipieren sich von der Unternehmens-IT

Externe Cloud-Dienste wie Salesforce haben Fachabteilungen ein gutes Stück Autonomie gegenüber der hauseigenen IT gebracht. Inzwischen geben Fachabteilungen einen Großteil des IT-Budgets in Eigenregie aus. Die IT muss ihre Rolle neu definieren.

Sales-Leute von IBM machen schon seit Jahren keine Kundentermine mehr aus, bei denen ihnen nur IT-Mitarbeiter gegenüber sitzen. Es muss immer auch mindestens ein Vertreter des oberen Managements oder ein Line-of-Business Manager dabei sein, also der Leiter des Fachbereichs, der mit dem IBM-Produkt arbeiten soll. Für Anbieter von Cloud-Software wie Salesforce wiederum ist die IT als Ansprechpartner nur für technische Fragen relevant, die Kunden selbst kommen in der Regel von Sales und Marketing.

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Durchschnittlich 41 Prozent des IT-Budgets werden in Deutschland von den Fachabteilungen kontrolliert. (Quelle: CA/Vanson-Bourne)

„Derzeit findet eine dramatische Verschiebung von IT-Kaufkraft statt“, stellte neulich Peter Sondergaard fest, Global Research Director bei Gartner. Die Budgets würden weg von der IT und hin zu Geschäftsbereichen wandern, die näher am Kunden sind. Bis 2017 sollen Fachabteilungen rund die Hälfte des IT-Budgets kontrollieren. „In den Unternehmen sitzen immer mehr digitale Startups“, so Sondergaard weiter. Je mehr das Geschäft digitalisiert werde, desto mehr würden sich Marketing, Logistik, Verkauf oder gar Personalabteilungen wie eigenständige, dynamische Unternehmen verhalten.

Als potenzielle Kunden rücken in den Fokus der IT-Industrie immer mehr die einfachen Anwender und die Leiter von Geschäftsbereichen und Fachabteilungen. Das kommt nicht von ungefähr. Laut einer Studie von CA und Vanson Bourne kontrollieren Fachabteilungen weltweit im Schnitt 35 Prozent der IT-Budgets eines Unternehmens, in Deutschland sollen es sogar 41 Prozent sein.

Dass Fachabteilungen Teile des IT-Budgets für sich beanspruchen ist laut Georg Lauer, Vice President Presales bei CA, nicht unbedingt neu. „Was sich geändert hat ist, dass es durch Cloud-Dienste für Fachabteilungen einfacher geworden ist, IT-Dienste für sich aufzusetzen. Wenn beispielsweise eine Sales-Abteilung beschließt, künftig das CRM von Salesforce zu nutzen, kann sie das zunächst in Eigenregie in Betrieb nehmen, weil es ein Cloud-Service ist. Die IT muss sich vermeintlich nicht drum kümmern.“

Trotz aller Bedenken werden laut einer neueren Studie von Bitkom und KPMG inzwischen 24 Prozent der IT-Budgets in Deutschland für Cloud-Dienste ausgegeben, die Hälfte davon für Angebote aus der Public Cloud.

Auf dem Vormarsch: Cloud-Anwendungen werden trotz NSA-Skandal auch in Deutschland immer populärer. (Quelle: KPMG/Bitkom)
Auf dem Vormarsch: Cloud-Anwendungen werden trotz NSA-Skandal auch in Deutschland immer populärer. (Quelle: KPMG/Bitkom)

Das Geschäft wird hauptsächlich von Fachabteilungen angetrieben, wie auch Marko Cakalic, Deutschland-Chef von Projectplace bestätigen kann. Projectplace bietet seit 15 Jahren eine Cloud-Plattform an, über die Unternehmen Projekte koordinieren können. Die typische Herangehensweise, dass ein Tool seitens der IT ausgesucht und fürs gesamte Unternehmen implementiert wird, trifft bei Produkten wie Projectplace eher selten zu. „Projectplace wird in der Regel zunächst von Fachabteilungen eingekauft und dann Schritt für Schritt unternehmensweit eingeführt“, erklärt Cakalic.

Fachabteilungen bauen eine ‚Schatten-IT‘ auf

Die Tatsache, dass Cloud-Dienste ohne Hilfe der IT-Abteilung betrieben werden, und dass oft dies ohne deren Wissen und Zustimmung passiert, hat in der Vergangenheit für reichlich Verstimmung gesorgt. Spätestens seit dem Aufkommen von Dropbox & Co. ist gern von der „Schatten-IT“ die Rede, die Mitarbeiter in Form von Cloud-Services für sich und ihre Teams verwenden, und den Gefahren, die davon ausgehen.

Trotzdem hält Dr. Uwe Dumslaff, CTO bei Capgemini, die zunehmende Emanzipation der Fachabteilungen von der IT für sinnvoll. „Sie stehen im Wettbewerb, müssen agieren und brauchen dazu die IT-Abteilung nicht im selben Ausmaß wie früher. Sie haben heute technisch viel mehr Möglichkeiten schnell, einfach und mit relativ geringem Risiko eigene Vorhaben zum Fliegen zu bringen. Das ist auch noch lange keine Aktion gegen die eigene IT. Man ist eben oft gezwungen, andere Ressourcen zu nutzen, weil die eigene IT noch den Legacy-Ballast zu schultern hat.“

Besonders in der Industrie sind externe Cloud-Dienste bei den Fachabteilungen populär. (Quelle: Capgemini)
Besonders in der Industrie sind externe Cloud-Dienste bei den Fachabteilungen populär. (Quelle: Capgemini)

Dass es dabei Konfliktpotenzial gibt, will auch Dumslaff nicht bestreiten. Dennoch schätzt er das Potenzial für eine engere Zusammenarbeit zwischen IT und Business-Nutzern höher ein. „Auf beiden Seiten sitzen Profis, die für dieselbe Firma arbeiten“, sagt Dumslaff. „Man will ja keinen Schaden fürs Gesamtunternehmen anrichten und gegen den Wettbewerb schlecht dastehen. Konflikte entstehen vor allem dann, wenn Dinge allzu naiv angepackt werden, das ist aber nicht die Regel.“

Die Gelegenheit, beziehungsweise die Notwendigkeit zur Kooperation ergibt sich spätestens wenn ein Cloud-Dienst nicht mehr isoliert innerhalb einer Abteilung läuft sondern auf mehr Daten zugreifen soll. „Die IT-Abteilung kommt ins Spiel, wenn es um die Sicherheit geht oder wenn die Frage im Raum steht, wie man Projectplace im ganzen Unternehmen ausrollt“, sagt Marko Cakalic. „Irgendwann merken die Firmen, dass sie von dem Tool mehr Nutzen ziehen können, wenn sie es mit anderen Anwendungen integrieren, und IT-Verantwortliche haben kein Interesse, Daten doppelt zu führen und zu pflegen.“

Die Gelegenheit, beziehungsweise die Notwendigkeit zur Kooperation ergibt sich spätestens wenn ein Cloud-Dienst nicht mehr isoliert innerhalb einer Abteilung läuft, sondern auf mehr Daten zugreifen soll. „Die IT-Abteilung kommt ins Spiel, wenn es um die Sicherheit geht oder wenn die Frage im Raum steht, wie man Projectplace fürs ganze Unternehmen ausrollt“, sagt Marko Cakalic. „Irgendwann merken die Firmen, dass sie von dem Tool mehr Nutzen ziehen können, wenn sie es mit anderen Anwendungen integrieren, und IT-Verantwortliche haben kein Interesse, Daten doppelt zu führen und zu pflegen.“

Mark Hoenke, Salesforce: "CIO und CMO sollten sich öfter mal zu einem langen Abendessen treffen."
Mark Hoenke, Salesforce: „CIO und CMO sollten sich öfter mal zu einem langen Abendessen treffen.“

„Spätestens dann müssen auch wir als Anbieter mit der IT sprechen“, sagt Mark Hoenke, Marketing Manager EMEA bei Salesforce. „Die IT betreut die Legacy-Daten und durch eine Integration von Salesforce mit beispielsweise dem ERP-System erhöht sich der Wert der Anwendung. Mit Daten darüber, wer wann und warum ein bestimmtes Produkt gekauft hat, kann man die neuen Möglichkeiten im Marketing richtig nutzen, aber auch der Entwicklung und Produktion wertvolle Anstöße geben.“

Sowohl Hoenke als auch Cakalic bestätigen, dass in ihren Häusern die Produktion von APIs, von Schnittstellen zu anderen Programmen, deswegen auf Hochtouren läuft. Das muss sein, wenn die Produkte von Cloud-Anbietern wie Salesforce erfolgreich sein wollen. Beispiel Wave, die Analytics-Plattform von Salesforce, die dieses Jahr auf der Messe neu vorgestellt wurde: als „analytics platform for the rest of us“ wird sie von Salesforce gepriesen, als Analytics-Werkzeug für den einfachen Business-Nutzer statt für den Experten. Um das Versprechen einzuhalten, es Nutzern leicht zu machen, „Daten aus jeder möglichen Quelle“ zu durchsuchen, analysieren und visualisieren, muss natürlich zuerst beim Kunden einiges unter der Haube passieren. Also ruft Salesforce explizit IT, Admins und Entwickler zur Kooperation mit den „Business Leaders“ auf.

Eine neue Rolle für die IT 

Mitunter diese Entwicklung zwingt die IT, sich mit der Public Cloud auseinanderzusetzen. Das muss nicht von Nachteil sein, findet IDC-Berater Mark Schulte, denn die IT steht nach wie vor unter Kostendruck und immer mehr Unternehmen stellen fest, dass sie mit Cloud-Diensten Geld sparen können. Laut einer neueren Studie seines Hauses wird in den nächsten Jahren der Anteil interner Services im IT-Budget von durchschnittlich 50 auf 42 Prozent sinken, zugunsten von Cloud-Services aus der eigenen privaten Cloud und aus der Public Cloud.

Durch den Einsatz von Cloud-Diensten rutscht die IT immer mehr in die Rolle des Vermittlers. (Quelle: IDC)
Durch den Einsatz von Cloud-Diensten rutscht die IT immer mehr in die Rolle des Vermittlers.
(Quelle: IDC)

Laut IDC bringt das der IT künftig eine neue Rolle ein, die des Vermittlers von IT Services. „Das wird für viele IT-Organisationen ein Paradigmenwechsel werden, denn der Tätigkeitsschwerpunkt wird sich in Richtung Vermittlung von IT-Services verschieben“, sagt Schulte. „Das ist kein Big Bang sondern eher ein evolutionärer Prozess, bei dem IT-Abteilungen langsam in diese Rolle hineinwachsen. Und es wird Zeit brauchen, weil innerhalb der der IT-Abteilungen Kompetenzen verschoben und neue definiert und aufgebaut werden müssen.“

In ihre neue Rolle hineinwachsen kann die IT gewissermaßen durch das Tagesgeschäft in Form der Integration von Cloud-Diensten. „Nicht nur die Fachabteilungen bringen Cloud-Dienste ins Haus, auch die IT tut es“, sagt Georg Lauer von CA. In vielen Diensten, die sie bereitstellt, seien Cloud-Komponenten versteckt. Die IT steht vor der Herausforderung, die Kommunikation zwischen den internen und externen Anwendungen sicherzustellen, und muss deswegen für entsprechende Schnittstellen sorgen.

Wunsch und Wirklichkeit: Die Beziehung zu vielen Fachbereichsleitern sind dem CIO zwar wichtig, aber nicht so eng wie sie sein sollten. (Quelle: Deloitte)
Wunsch und Wirklichkeit: Die Beziehung zu vielen Fachbereichsleitern sind dem CIO zwar wichtig, aber nicht so eng wie sie sein sollten. (Quelle: Deloitte)

Der IT wird es in diesem Prozess kaum erspart bleiben, den Dialog mit den Fachabteilungen von sich aus zu forcieren – zum Wohle beider Parteien. „Fachabteilungen merken immer mehr, dass die IT essentiell fürs eigene Business ist“, sagt Lauer. Zwar seien ihre Ansprüche gegenüber der IT gestiegen und die IT sei gut beraten, möglichst darauf einzugehen. „Aber beiden wird auch klar, welche Rolle die IT in Zukunft spielen muss, nämlich nicht die des notwendigen Übels, sondern die des Ermöglichers und Antreibers. Klar ist auch, dass es dafür einer intensiveren Kommunikation und Zusammenarbeit bedarf.“

Bei dieser Aufgabe werden sich IT-Leiter auch an neue Ansprechpartner gewöhnen müssen. Durch die zunehmende Digitalisierung des Geschäfts entstehen in den Fachbereichen immer mehr neue Positionen wie Chief Digital (CDO) oder Chief Marketing Officers (CMO), die viel digitale Kompetenz beinhalten, aber nicht unbedingt an den IT-Leiter oder CIO berichten. Diese neuen Funktionen sind in Deutschland vorerst eher in Großunternehmen verbreitet, doch sie halten zunehmend Einzug auch im Mittelstand.

„CIO und CMO sollten sich öfter mal zu einem langen Abendessen treffen“, empfiehlt Mark Hoenke von Salesforce. Das scheint nötig zu sein, denn laut einer Studie von Deloitte pflegen mehr als 40 Prozent der CIOs gute Beziehungen zur Geschäftsleitung, jedoch viel seltener zu den CDOs und CMOs, und nur knapp die Hälfte der CIOs sieht sich selbst als effektiven, strategischen Business-Partner. Ein neues Verständnis für die CIO-Rolle sei hier unumgänglich. „CIOs müssen sich entscheiden, ob sie Seelsorger für die Unternehmens-IT bleiben oder Triebfeder kommenden Wachstums durch technologische Innovation werden wollen“, sagt Peter Ratzer, Leiter Technology bei Deloitte.

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