Wie viele Jobs kostet die Digitalisierung wirklich?

Die deutsche Wirtschaft brummt und ist auf der Suche nach qualifizierten Mitarbeitern. Neue Technologien, selbstlernende Algorithmen und Roboter treten aber bereits in Konkurrenz mit Menschen um Arbeitsplätze und machen viele Tätigkeiten von heute überflüssig.

Das Saarland, Thüringen und Baden-Württemberg sind die Bundesländer, die am stärksten vom Jobabbau durch die Digitalisierung bedroht sind. (Quelle: IAB)
Das Saarland, Thüringen und Baden-Württemberg sind die Bundesländer, die am stärksten vom Jobabbau durch die Digitalisierung bedroht sind. (Quelle: IAB)

Rund jeder vierte Job in Deutschland kann durch Automatisierung und Robotisierung leicht ersetzt werden, sagt eine neue Untersuchung des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung. Dabei weist das IAB auf sehr starke regionale Unterschiede im Potenzial eines Jobabbaus hin. Während Bundesländer wie Baden-Württemberg, Thüringen und das Saarland am stärksten gefährdet zu sein scheinen, ist die Quote der leicht ersetzbaren Jobs in Berlin nur halb so hoch (siehe Grafik). 

Der Grund für die starken Unterschiede liegt einerseits an der Verbreitung des verarbeitenden Gewerbes in einem bestimmten Bundesland – je höher sie ist, desto höher das so genannte Substituierbarkeitspotenzial –, andererseits an den Berufen, die die Menschen dort ausüben. Jobs in der Produktion sind demnach stärker gefährdet als solche in der Forschung und Entwicklung. 

Welche Entwicklungen verursachen Stellenabbau?

Solche konkreten Zahlen inklusive einer gut nachvollziehbaren Begründung, wie sie das IAB liefert, sind in der Diskussion über die Gefährdung von Arbeitsplätzen durch die Digitalisierung allerdings eher selten. Die Prognosen über das erwartete Rationalisierungspotenzial variieren ebenso stark wie ihre Begründungen. Dennoch ist es sinnvoll, der Diskussion zu folgen, um ein möglichst umfassendes Bild über die Ursachen der Veränderungen zu bekommen, denn diese vermitteln ein besseres Gefühl dafür, wie sehr bestimmte Tätigkeiten und Branchen gefährdet sind und wovon genau. Außer den vom IAB errechneten strukturellen Veränderungen werden als Gründe für einen drohenden Stellenabbau diskutiert: der Fachkräftemangel und der zu langsame Umstieg auf digitale Geschäftsmodelle. Dadurch würden für die deutsche Industrie Nachteile im internationalen Wettbewerb entstehen.

So sieht beispielsweise der IT-Branchenverband Bitkom in den nächsten fünf Jahren etwa 3,4 Millionen Arbeitsplätze als gefährdet, das entspricht etwa jeder zehnten Stelle in Deutschland. Diese Zahl beruht auf eine Untersuchung des Verbands vom Ende letzten Jahres, nach der sich etwa ein Viertel der Unternehmen mit mehr als 20 Mitarbeitern in Deutschland durch die Digitalisierung existenziell bedroht sieht. Laut Bitkom sind das allerdings Stellen, die auch durch strukturelle Veränderungen im Jobangebot der Unternehmen und den Verdrängungswettbewerb der Unternehmen untereinander wegfallen könnten. Diese stünden vor allem auf der Kippe, wenn Deutschland die Chancen der neuen technologischen Entwicklungen verschläft.

Umschulungen sind dringend nötig

Das verarbeitende Gewerbe ist durch die Digitalisierung am meisten gefährdet, und dort vor allem die Jobs in der Produktion. (Quelle: IAB)

Das World Economic Forum hat Anfang des Jahres in einer zusammen mit der Boston Consulting Group erstellten Studie aufgezeigt, wie viele Stellen durch die Digitalisierung in den USA in den nächsten acht Jahren wegfallen werden. 1,4 Millionen Menschen sollen demnach in den USA ihren Job an Maschinen verlieren. 57 Prozent dieser Arbeitsplätze werden derzeit von Frauen ausgefüllt.

Doch für die Studienautoren ist diese Entwicklung vor allem eine Umschulungskrise. Die Experten glauben, dass 95 Prozent der Angestellten durch eine entsprechende Umschulung wieder neue und größtenteils besser bezahlte Stellen bekommen können. Ohne „Reskilling“ würden lediglich 2 Prozent von ihnen die Chance haben, einen neuen Job zu ergattern, 16 Prozent wären völlig chancenlos.

Bitkom-Chef Achim Berg sieht für Deutschland zusätzlich zum Qualifizierungs- und Umschulungsproblem noch ein weiteres: „Wir sind Weltmeister im analogen Geschäft. Das Business von morgen aber ist ausschließlich digital. Die aktuellen Auftragsberge sind so hoch, dass sie uns den Blick auf dieses digitale Geschäft von morgen verstellen“, kommentiert der Bitkom-Präsident. Doch diese digitalen Geschäftsmodelle müssten jetzt quer durch alle Branchen entwickelt werden. „Die digitalen Jobs gehen dorthin, wo jene Leute sind, die sie gut machen. Wir müssen dafür sorgen, dass diese Leute in Deutschland sind. Dann haben wir digitale Arbeit im Überfluss“, so Berg.

Digitales Powerhouse China

Wie Kai-Fu Lee, Gründer und CEO von Sinovation Ventures in einem Gastbeitrag für die MIT Technology Review fordert, sollte aber die IT-Branche endlich damit aufhören zu behaupten, dass künstliche Intelligenz keine Jobs vernichten wird. Folgt man Bergs Aussage, dass die Jobs dorthin gehen werden, wo sie gut gemacht werden, dann wird man sich in Deutschland möglicherweise von vielen Jobs verabschieden müssen.

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Der KI-Experte Lee hat gute Gründe zu glauben, dass China das Wettrennen um die Vorherrschaft in einer digitalen Welt für sich entscheiden wird. China habe die Phase des schlichten Kopierens von Funktionen längst hinter sich gelassen. Das Land verfüge inzwischen über eine Datenbasis, die deutlich größer ist als die der USA und natürlich auch deutlich als die von Deutschland oder Europa. Diese Datenbasis sei der Treibstoff für seine digitale Weiterentwicklung, insbesondere auf dem Feld der Künstlichen Intelligenz.

Schon heute gibt es in der Volksrepublik weltweit die meisten Mobiltelefone. Jeden Tag werden in China 50 Millionen Mal Fahrräder ausgeliehen. Dabei entstehen 30 Terabyte an Sensordaten, das sind 300 Mal mehr als in den USA. Die chinesische Regierung hat zudem ein Programm aufgesetzt, das zum Ziel hat, spätestens in zwei Jahren mit den USA bei künstlicher Intelligenz gleichzuziehen. 2030 soll China dann zu einer Art globalem Silicon Valley für Künstliche Intelligenz werden.

Hat jemand einen Plan?

In Deutschland hingegen ist auch nach der Bildung der neuen Bundesregierung nicht sicher, ob bis 2025 deutschlandweit ein glasfaserbasiertes schnelles Internet vorhanden sein sollte. „Bei einem schlichten Weiter-so darf es nicht bleiben“, warnte Achim Berg schon vor der Bildung den neuen Großen Koalition. „Wir brauchen eine echte Vision und einen Plan für das digitale Deutschland.“ Deutschland dürfe sich nicht auf den Erfolgen der vergangenen Jahre ausruhen und die Konkurrenz komme nicht nur aus China oder Übersee. Auch Frankreich schicke sich unter Emanuel Macron an, in neue Technologien und Geschäftsmodelle zu investieren.

Wie schnell eine technologische Entwicklung den Arbeitsmarkt verändern könne, zeige laut Berg das Beispiel der Kommunikationstechnik, in der es Mitte der Neunzigerjahre noch 200.000 Stellen gab. Diese sind durch die Digitalisierung innerhalb von 15 Jahren um fast 90 Prozent zurückgegangen. Eine ähnliche Entwicklung sieht Berg nun im Banken- und Versicherungswesen sowie in der Chemie- und Pharmabranche.

Innerhalb der nächsten 20 Jahre werden wohl 50 Prozent der heute existierenden Berufsbilder durch neue Technologien überflüssig, projiziert der Bitkom. So würden Steuerberater von Algorithmen abgelöst und Zahntechniker von 3D-Druckern. Natürlich entstünden durch die Digitalisierung auch neue Arbeitsplätze, doch wie viele das sein werden, lasse sich laut Bitkom derzeit noch nicht seriös voraussagen. Um soziale Notlagen zu vermeiden, kann sich Berg deshalb auch mit der Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens anfreunden.

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