Wie viel Emotionen verträgt der Arbeitsalltag?
Emotionen im Job gelten heute als Treiber für Kreativität, Selbstreflexion und Team-Skill. Die moderne Firmenkultur fördert diese Emotionalität. Doch erst im Arbeitsalltag zeigt sich, ob die Belegschaft den neuen Gefühlsfreiraum richtig verstanden hat.
„Emotionen sind Gemütsbewegungen im Sinne eines Affekts. Sie werden ausgelöst durch eine bestimmte Wahrnehmung oder Situation und führen zu einem bestimmten Verhalten“, lautet die Kurzdefinition. Wir reden über Emotionen in der Arbeitswelt, weil das alte Verständnis vom Menschen als arbeitende Ressource, die funktioniert und beherrscht ist, bröckelt. Empathie und Emotionalität prägen eine neue Unternehmenskultur und Art der Zusammenarbeit (New Work). Gerade hat Magdalena Rogl, Head of Digital Channels bei Microsoft, in einem LinkedIn-Beitrag gefordert: „Wir brauchen mehr Emotionen im Beruf“. Rogls Appell ist richtig, wird mancherorts aber missverstanden. Die hier gemeinten Emotionen sind nicht dazu da, in Lobgesäusel oder Gejammer abzudriften.
Meetings sind gute Testgebiete für den Umgang mit Emotionen
Emotionen sind im Berufsleben allgegenwärtig. Meetings etwa scheitern nicht nur am unklaren Thema oder den falschen Teilnehmern. Wenn die Mitglieder Dinge aus Rücksicht auf die Gefühlswelt der anderen nicht ansprechen oder Kollegen als Choleriker oder Selbstzweifler daherkommen, bleibt kein Platz für konstruktive Diskussionen. Die Folge ist ein suboptimales Ergebnis und verschwendete Zeit. Wenn gekünstelte Harmonie wichtiger ist als die Problemlösung und mutlose Kollegen jedes Meeting zur Therapiesitzung machen, wird der Sinn von Besprechungen in Frage gestellt.
Gekünstelte Harmonie ist keine brauchbare Emotion.
In beiden Fällen wird die Idee einer neuen Unternehmenskultur zur Falle. Die immer Netten verwechseln Feedback und Wertschätzung, zwei Kernelemente der modernen Arbeitskultur, mit watteweicher Kommunikation, die kein kritisches Wort verträgt. Die anderen nehmen das mit der offenen Kultur sehr wörtlich und schütten im geschlossenen Umfeld eines Meetingraumes den Kollegen, in der Annahme, alle seien beste Freunde, ihr Herz und ihr Leid in der Firma aus. Der Umgang mit Emotionen im Meeting-Biotop überträgt sich nicht selten auf den gesamten Betrieb.
Zu nett macht konstruktive Emotion unmöglich
In „netten“ Unternehmen messen Kollegen ihre Karrierechancen daran, wie gut sie mit anderen auskommen statt daran, was sie tatsächlich leisten, beschreibt Jonah Sachs in seinem Buch „Unsafe Thinking: How to be nimble and bold when you need it most“. Er beruft sich außerdem auf Studienergebnisse, wonach sich eine Gruppe von Menschen wohler fühlt, wenn Informationen diskutiert werden, die jeder schon kennt. Bekannte Dinge zu wiederholen macht das Gegenüber sympathischer als ein Gegenargument.
Wenn ein Kollege etwa im Meeting falsche Schlüsse zieht und niemand etwas dagegen sagt, um die Stimmung nicht zu trüben, dann ist das nett, aber nicht hilfreich. Gleiches gilt wenn unter den Teilnehmern kritische Informationen lieber zurückgehalten werden, weil sonst Stress droht. Wo es ausschließlich nett zugeht, sich Beschäftigte verstellen und ihre Emotionen unterdrücken, werden falsche Entscheidungen provoziert, weil Informationen fehlen und die Kreativität leidet, sagt Sachs.
Mehr Leidenschaft in den Diskussionen hat auch etwas mit Respekt zu tun.
Eine offene Teamkultur, die kreativ, fehlertolerant und experimentierfreudig ist, sieht anders aus. Gerade diese Eigenschaften machen aber die moderne Arbeitswelt aus. Hinzukommt Respekt füreinander. Achtung vor Kollegen zeigt sich gerade dann, wenn eine andere Meinung oder schräge Ideen zugelassen werden. Die passen vielleicht nicht zum eigenen Empfinden und zwingen das Team aus der Komfortzone, aber so können neue Perspektiven entstehen. Statt sicher und komfortabel sollte es „intelligent und offen zugehen – selbst wenn eine Gruppe dadurch weniger happy ist“, sagt Sachs.
Dennoch könnten auch kritische Situationen harmonisch bleiben, so Sachs. Für Meetings schlägt er vor, dass vor Beginn jeder Teilnehmer eine Information notiert, die er oder sie teilen will, egal, ob es den anderen gefällt oder nicht. So werde verhindert, dass zusätzlicher Input im Allgemeingesäusel untergehe. Die Meetingleitung solle zuletzt sprechen und andere mit neuen Informationen ermutigen, zuerst das Wort zu ergreifen. Vor dem Ende sollte in die Runde gefragt werden, ob alle wirklich gesagt haben, was sie wollten.
Toxische Emotionen: Ewige Selbstzweifler, Choleriker und Fieslinge
In genau die andere Richtung driften die toxischen Kollegen, die es schaffen, mit ihren ambivalenten Gefühlen Meetings und das ganze Betriebsklima zu befallen. Hier ist nicht die Rede von denjenigen, die auch mal schlechte Laune haben. Es geht um diejenigen, die etwa überall jammern oder auch die, die von Haus aus alles negativ sehen, gegen andere wettern und das auch jedem erzählen müssen.
Firmenkultur ist kein Aufruf zur Cliquenbildung, in denen man frei ablästern kann.
Sie haben das mit dem emotionalen Freiraum falsch verstanden. Firmenkultur ist kein Aufruf zur Cliquenbildung und Meetings sind nicht der Freundeskreis, in dem man alles rauslassen kann, könnte man die Empfehlung der Beraterin und Co-Autorin des Buches „Working with difficult people“, Amy Cooper Hakim, deuten. Sie sagt: Kollegen sollten keine Freunde sein“. Vor allem Kollegen, die sich das alles anhören müssen, sollten jetzt ihre Emotionen rausnehmen und den anderen professionell in die Schranken weisen, beispielsweise mit: „Wir haben einen engen Zeitplan. Lass uns bitte weitermachen.“ Auch hier ist im Übrigen wie oben erwähnt kein Patz für Nettigkeiten. Jens Weidner, Aggressionsexperte und Managementtrainer, ruft dagegen zu Emotionen auf und rät beispielsweise in seinem Buch „Hart, aber unfair“, ruhig mal „aggro“ zu sein und den Kollegen deutlich zurückzuweisen.
Mit Emotionen im Job muss man umgehen lernen
Die eigenen Emotionen zu verstehen, zu beherrschen und an den richtigen Stellen in Energie umzuwandeln ist im Beruf nicht leicht und braucht Übung. Für die Microsoft-Führungskraft Rogl sind Emotionen dennoch ein großes Plus, sei es in der Unternehmenskommunikation, als Führungsqualität oder für das eigene Fortkommen. „Wenn wir unsere Emotionen reflektieren und analysieren, weil wir sie nicht als lästig, sondern als hilfreich sehen, dann können sie wichtige Wegweiser für unsere Passion und Antrieb für unsere Ziele sein.“ Das gilt auch im Verhältnis zu den Kollegen. Geht es nach Rogl ist „Du bist emotional“ bald keine Schwäche mehr, sondern ein Kompliment.