Silent Meetings – Schweigeminuten für mehr Produktivität?

Amazon-Chef Jeff Bezos gilt als Erfinder der „stillen Meetings“, die inzwischen auch bei Firmen wie LinkedIn oder Square üblich sind. Der Mann ist äußerst erfolgreich, aber sind es seine Meeting-Methoden auch? Die Meinungen dazu gehen auseinander.

Jeff Bezos, Gründer und Chef bei Amazon, mag keine Powerpoint-Präsentationen. (Quelle: Amazon)

Bei Amazon in der Chefetage beginnen Meetings so: Die Teilnehmer bekommen ein Sitzungsmemo ausgehändigt. Das arbeiten sie die nächsten 30 Minuten durch, verschriftlichen ihre Ideen und bereiten sich so auf das Meeting vor. Für einige sei der Vorgang „ein bisschen komisch“, erklärte er bereits 2012 gegenüber dem Fortune-Magazin. Doch schon allein seine Gedanken in dem Memo niederzuschreiben zeige ihm, wie wichtig schriftliches Formulieren sei, um klar zu denken.

Andere Firmen verfahren ähnlich. So versammelt Square, ein US-Bezahldienstleister, Meeting-Teilnehmer sozusagen in einem Google-Dokument. Dort schreiben sie ihre Ideen, Kommentare und Fragen auf. Nach einer halben Stunde seien die drängendsten Punkte definiert und die Diskussion könne beginnen, heißt es in einem Blogbeitrag.

Und bei LinkedIn sind die ersten 5 bis 10 Minuten für eine stille Leserunde reserviert, in der die einen das Memo erstmals lesen, die anderen ihre Gedanken ordnen, die sie sich bereits dazu gemacht haben.

In klassischen Meetingsituationen wird erwartet, dass sich die Teilnehmer vorbereitet haben. Da das in der Praxis aber meistens anders ist, entwickelt sich die Bezos´sche Methode als beliebte Alternative.

Was für Silent Meetings spricht

Bezos argumentiert: „Wie Schulkinder, die vortäuschen, ihre Hausaufgaben gemacht zu haben, sitzen Manager im Meeting und tun so, als hätten sie das Memo vorher schon gelesen.“ Sie bluffen, und das bringt das Meeting kein Stück weiter. Das müsse nicht sein, sagt Bezos, wenn man ihnen die Gelegenheit gibt, sich unmittelbar vor dem Treffen vorzubereiten, als Zeit, die von vornherein einkalkuliert ist und die man sich nicht mitten in einem anderen Projekt aus den Rippen schneiden muss. Das nämlich verzögert das unterbrochene Projekt unnötig. Bis zu 23 Minuten dauert es, bis Beschäftigte sich wieder auf die eigentliche Arbeit konzentrieren können.

Sich kurz vor Meeting-Start einzulesen, hält die Gedanken beisammen.

Die kurze zeitliche Distanz von Vorbereitung und Meeting hat außerdem den Vorteil, dass man im Thema „drin“ ist. Wenn der Termin erst Tage später stattfindet, sind die eigenen Gedanken vielleicht schon wieder missverständlich oder unerklärlich.

Bei Square – CEO ist Jack Dorsey, der auch Twitter gegründet hat – dominiert etwas anderes. „Nicht die lauteste Stimme soll gehört werden, sondern die richtige“, sagt Alyssa Henry, Head of Seller & Developer Business Units & Infrastructure Engineering. Jeder, der am besagten Google-Dokument arbeitet, verbreitet seine Gedanken zunächst per Kommentar oder formuliert seine Fragen schriftlich. Auf diese Weise können sich auch die äußern, die von extern „zugeschaltet“ sind. Darüber hinaus sollen so auch die zu Wort kommen, die in einer Diskussion zurückhaltender sind. Deren Meinung werde nur zu gern überhört.

Die stille Methode eigne sich zudem, um Diskussionen abzukürzen, da für alle sichtbar sei, welche Kommentare bereits formuliert sind und wo Einigkeit herrscht. Und schließlich verfüge der Teilnehmerkreis im Anschluss über ein detailliertes Protokoll, so Henry, die früher bei Amazon tätig war.

Was gegen Silent Meetings spricht

Wenn Meetingleitungen, die nach der klassischen Methode vorgehen, vor ahnungslosen Teilnehmern sitzen, dann stimmt nicht nur mit der Meetingkultur etwas nicht. Entweder es sind die falschen Leute im Raum, oder die Mitarbeiterin oder der Mitarbeiter legt nicht genug Ernsthaftigkeit in den Job, weshalb über den Posten insgesamt zu sprechen sei. So lautete sinngemäß ein Kommentar auf LinkedIn zum Thema. Andere monieren die überflüssige Lesestunde während des Meetings. Das müsse vorher erledigt werden, damit man gleich zum Punkt kommen könne. So wie sich der Initiator Zeit für die Organisation des Meetings nehme, müssten es auch die Teilnehmer tun, sagen wieder andere.

Die individuelle Lesezeit und Auffassungsgabe werden nicht ausreichend berücksichtigt.

Kritik kommt auch im Zusammenhang mit der Auffassungsgabe der Teilnehmer. Die einen brauchen mehr Zeit zum Lesen, andere wollen keine Gedanken teilen, die sie selbst noch nicht überdacht haben. Wenn sie gezwungen sind, sich unmittelbar vor dem Meeting mit dem Thema zu beschäftigen fehlt ihnen das „Ich-muss-noch-drüber-schlafen“. Von ihrem Beitrag sind sie dann nicht überzeugt. Diejenigen, die den Vorlauf von Tagen aus welchen Gründen auch immer nutzen, sitzen dann in den stillen Minuten rum.

Kommentare zu teilen oder komplett stille Meetings, die ausschließlich via Chat geführt werden, kann zu Missverständnissen führen, sagt beispielsweise Martin Eppler, Kommunikationsprofessor an der Universität St. Gallen. Der Spruch „Der Ton macht die Musik“ hat ja durchaus seine Berechtigung, gerade wenn sich die Beteiligten nicht gut kennen, zum Beispiel bei einem Gespräch mit neuen Kollegen oder Kunden. Schnell fällt ein Projekt in Ungnade, weil sich Teilnehmer nur mutmaßlich uneinig sind.

Silent Meetings einfach mal ausprobieren

Die eigenen Gedanken, Fragen und Anregungen zu verschriftlichen hilft den einen, sich intensiv mit einem Thema zu beschäftigen, andere profitieren von einer mündlichen Erörterung. Square-Managerin Henry sagt selbst, dass sich stille Meetings nicht für alle Gesprächsrunden eignen. Feedbackrunden beispielsweise machten schriftlich wenig Sinn. Ihr Unternehmen nutzt die Methode etwa bei Meetings, in denen Entscheidungen getroffen werden sollen. Es spricht wenig dagegen, Silent Meetings einfach mal auszuprobieren. Ob es für das eigene Team was ist, wird der Praxistest zeigen.

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