Wie Technologie den Fachkräftemangel überwinden kann

Mit dem Fachkräftemangel haben Industrienationen wie Deutschland ein Problem, um das sie viele andere Länder beneiden würden. Zumal es eigentlich lösbar ist, wenn die verfügbaren politischen und technischen Mittel wahrgenommen werden. 

„Fakt ist: Deutschland gehen die Arbeitskräfte aus.“ Wenn man das aus dem Mund desjenigen hört, der dafür sorgen soll, dass das Land über einen gesunden Arbeitsmarkt verfügt, dann schwant einem nichts Gutes. Im August gab Detlef Scheele, Vorstandsvorsitzender der Bundesagentur für Arbeit, diese deutliche Einschätzung unseres Arbeitsmarkts ab. Allein bis Ende dieses Jahres werde die Zahl der Arbeitskräfte im typischen Berufsalter um fast 150.000 abnehmen, und das Land brauche „400.000 Zuwanderer pro Jahr. Also deutlich mehr als in den vergangenen Jahren.“ 

Der Fachkräftemangel trifft kleinere Firmen viel härter.

Wie es der Zufall will, jährt sich ausgerechnet dieses Jahr zum 60. Mal der Abschluss eines Anwerbeabkommens, in dessen Folge Tausende von Gastarbeitern aus der Türkei ins Land kamen. Heute leben in Deutschland fast drei Millionen Menschen, deren Familiengeschichte mit diesem Abkommen verknüpft ist. Im vergangenen Jahr meldete das Statistische Bundesamt allerdings, dass die Bevölkerungszahl in Deutschland erstmals seit fast einem Jahrzehnt stagniert und die Nettozuwanderung auf 209.000 gesunken ist. 

Die Zahl der Erwerbstätigen in Deutschland steigt wieder an – und damit auch die Zahl der nichtbesetzten Stellen, für die dringend Fachkräfte benötigt werden (Quelle: Destatis)
Die Zahl der Erwerbstätigen in Deutschland steigt wieder an – und damit auch die Zahl der nichtbesetzten Stellen, für die dringend Fachkräfte benötigt werden (Quelle: Destatis)

Schon vor der Pandemie herrschte in weiten Bereichen Fachkräftemangel, und trotz einer gewissen Erholung zeigen die jüngsten Statistiken, dass die Zahl der Erwerbstätigen immer noch deutlich unter dem Niveau vor der Corona-Krise liegt. All diese Faktoren verheißen für Arbeitgeber wenig Gutes – insbesondere in Branchen, die auf qualifizierte Zuwanderer angewiesen sind.

Welche Auswirkungen hat dies aber nun auf die Produktivität und auf den Arbeitsmarkt im Land? Was wird getan, um das Problem zu lösen? Warum wirken die ergriffenen Maßnahmen nicht? Und die wichtigste Frage: Was lässt sich tun, um den Arbeitskräftemangel zu beheben und den deutschen Unternehmen eine erfolgreiche Zukunft zu sichern?

Wo sind all die Arbeitskräfte?

Nach Erkenntnissen der Förderbank KfW meldeten im April dieses Jahres 23,7 Prozent der deutschen Unternehmen einen Mangel an qualifiziertem Personal. Fast ein Viertel aller Unternehmen sind also nicht in der Lage, alle Anforderungen der Kunden oder Verbraucher zu erfüllen, optimale Betriebsabläufe aufrecht zu halten, die Einhaltung von Produktivitätszielen zu gewährleisten und so weiter. In vielen Fällen dürfte der Arbeitskräftemangel auch zur Verschlechterung der Arbeitsbedingungen für die vorhandenen Beschäftigten führen, die möglicherweise zusätzliche Arbeit übernehmen oder Überstunden machen müssen.

Die Auswirkungen beschränken sich aber nicht nur auf das Hier und Jetzt. Wenn ein Unternehmen Bedürfnisse nicht erfüllen kann und ständig Aufwand betreiben und investieren muss, um Mitarbeiter zu finden und zu halten, werden seine Wachstumsambitionen zunichte gemacht. Ist ein Arbeitgeber mit akutem Fachkräftemangel konfrontiert, steht die Ausweitung seiner nationalen oder internationalen Präsenz auf seiner To-do-Liste zweifellos ganz weit unten.

Der Fachkräftemangel macht Wachstumsambitionen zunichte.

Ein Viertel der Unternehmen ist schon eine erhebliche Zahl, doch in bestimmten Märkten ist der Mangel noch größer. Am stärksten betroffen sind der Landverkehr, Architektur- und Ingenieurbüros, Anwaltskanzleien, Steuerberatungen und IT-Dienstleistungen. Etwa 30 bis 44 Prozent der Unternehmen in diesen Sektoren gaben im vergangenen Jahr an, dass der Mangel an Fachkräften ihre Geschäftstätigkeit beeinträchtigt.

Der Fachkräftemangel betrifft Unternehmen jeder Größe, doch die Untersuchung der KfW zeigt, dass kleine und mittlere Unternehmen eher betroffen sind als große. Langfristig könnte es zu einem Wettbewerbsrückgang und sinkender Innovationskraft kommen, wenn es kleineren Unternehmen nicht mehr gelingt, hochqualifizierte Arbeitskräfte zu finden, und sie deshalb in Bereichen wie Forschung und Entwicklung Abstriche machen müssen. 

Was nicht funktioniert

Der Fachkräftemangel in Deutschland ist kein neues Phänomen. So räumten schon 2007 zwei Drittel der deutschen Technologieunternehmen ein, dass ihre Geschäftstätigkeit durch einen Mangel an IT-Experten beeinträchtigt werde – der größte wahrgenommene Fachkräftemangel in sechs Jahren. Warum also wurden keine Maßnahmen ergriffen, um die Situation zu verbessern?

Covid-19 hätten wir nicht vorhersehen und einplanen können, doch andere Faktoren, die sich auf die Arbeitsmarktsituation auswirken, sind seit langem bekannt. So ist beispielsweise die Geburtenrate in Deutschland seit den 1970er-Jahren drastisch zurückgegangen, während gleichzeitig die durchschnittliche Lebenserwartung gestiegen ist. Auch die Zuwanderung ist seit Jahren ein politisches Thema in unserem Land.

Mehr als 50.000 Ausbildungsplätze blieben 2019 unbesetzt.

Es hat einige Versuche gegeben, dieses Problem anzugehen. So trat am 1. März 2020 das Fachkräfteeinwanderungsgesetz in Kraft, mit dem 25.000 zusätzliche Fachkräfte und Spezialisten angeworben werden sollten. Die ersten Auswirkungen waren positiv: Durch das Gesetz wurde der Fachkräftemangel im zweiten Quartal 2020 erfolgreich verringert. Seither hat er sich jedoch wieder vergrößert. Auch das deutsche duale Ausbildungssystem mit seinen zwei Lernorten – Betrieb und Berufsschule – wurde in einigen Fällen für Personen aus Nicht-EU-Ländern geöffnet, um die Zahl unbesetzter Ausbildungsplätze zu reduzieren, die sich 2019 auf 53.137 belief.

Kann das neue Einwanderungsgesetz den Fachkräftemangel lindern?
Mehr zum Thema: Kann das neue Einwanderungsgesetz den Fachkräftemangel lindern?

Unternehmen haben außerdem Strategien entwickelt, um dem Mangel an Fachkräften auf der Mikroebene entgegenzusteuern und neue Mitarbeiter zu gewinnen. Dabei handelt es sich in der Regel um langfristige Pläne, die innerbetriebliche Schulungen am Arbeitsplatz beinhalten. Bei diesem Ansatz bilden die Unternehmen Mitarbeiter für Stellen weiter, für die sie vielleicht nicht berücksichtigt worden wären, wenn das Angebot an Bewerbern größer wäre. Personalbeschaffung ist teuer, Weiterbildung ebenso. Wenn ein Mitarbeiter nach Abschluss einer Weiterbildung dem Unternehmen den Rücken kehrt, muss der Investitionszyklus von vorne beginnen.

Die herkömmlichen Strategien – sowohl auf der Makro- als auch auf der Mikroebene – verfehlen eindeutig ihre Wirkung. Nicht nur, dass es nicht gelingt, den Arbeitskräftemangel zu beheben und genügend ausländische Fachkräfte anzuziehen – die Umsetzung kostspieliger Personalbeschaffungs- und Weiterbildungsstrategien hindert deutsche Unternehmen auch an der Expansion. 

Warum nicht „Vorsprung durch Technik“?

Wir brauchen also einen neuen Ansatz, und wie bei der Lösung vieler Probleme unserer Zeit gründet auch der auf Technologie. Covid-19 hat uns unsere Abhängigkeit von Technologien und digitalen Diensten deutlich vor Augen geführt, aber auch das enorme Spektrum an Möglichkeiten aufgezeigt, das uns die Technologie eröffnet. Telearbeit, die Zusammenarbeit und Kommunikation mit Kunden und Kollegen auf der ganzen Welt, flexibles Arbeiten, der Start in die Selbstständigkeit – all das ist für Berufstätige durch Technologien möglich oder einfacher geworden.

Gleichermaßen können Arbeitgeber Technologien nutzen, um dem Mangel an Fachkräften entgegenzuwirken und fundiertere Entscheidungen für das langfristige Wachstum ihres Unternehmens zu treffen. Telearbeit und hybrides Arbeiten haben im Zuge der Pandemie an Popularität gewonnen. Das eröffnet Unternehmen nie dagewesene Möglichkeiten, ausländisches Personal einzustellen oder digitale Nomaden zu beschäftigen. Unternehmen sollten sich deshalb bei der Einstellung neuer Mitarbeiter nicht von geografischen Grenzen zurückhalten lassen.

Technologie macht es möglich, ausländische Fachkräfte in ihren eigenen Ländern zu beschäftigen.

Traditionelle Hindernisse, die diesem Ansatz entgegenstehen, können mit HR-Technologien überwunden werden. Jedes Land hat seine eigenen Regeln und Vorschriften, und um Konformität mit dem jeweiligen regionalen Arbeitsrecht zu gewährleisten, bedarf es einer hervorragenden Infrastruktur und exzellenter Kenntnis der veränderlichen lokalen Beschäftigungs-, Rechts- und Steuerlandschaften. Das ist für viele Unternehmen eine hohe Hürde – vor allem für kleinere Firmen, die oft nur über minimale oder gar keine HR-Ressourcen verfügen. Es gibt jedoch „Employer of Record“-Dienste, die Arbeitgebern diese Last abnehmen, indem sie alle Verwaltungsangelegenheiten von der Einstellung bis zur Gehaltsabrechnung übernehmen und dafür sorgen, dass die Vorschriften des jeweiligen Landes eingehalten werden. So können sich die Geschäftsinhaber und HR-Teams auf den Betrieb und das Wachstum ihres Unternehmens konzentrieren.

Und schließlich kann die Technologie auch die Kosten für die Einstellung und Mitarbeiterbindung verringern. Gewiss verursacht jede neue Lösung oder Software Einstiegskosten – doch wenn sie Ihnen hilft, aus einem weltweiten Bewerberpool zu schöpfen und dort die qualifiziertesten und für Ihr Unternehmen am besten geeigneten Mitarbeiter zu finden, ohne sich mit bürokratischen Hürden herumschlagen zu müssen, dann ist die Rendite enorm. Vorsprung durch Technik – es ist an der Zeit, dass Deutschland diesem bekannten Slogan folgt.


Über den Autor

Über den Autor

Vincent Hennequin ist Director of Business Development beim internationalen Personaldienstleister Elements Global Services.

 

Das könnte Sie auch interessieren

Was meinen Sie dazu?

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Back to top button