Die digitale Arbeitswelt braucht mehr Mitarbeiterbeteiligungen
In der Arbeitswelt von morgen sollen die Menschen im Vordergrund stehen. Wenn Mitarbeiter*innen aber den wichtigsten Vermögenswert im Unternehmen darstellen, warum spiegelt sich das nicht in den Eigentumsverhältnissen wider?
Wir leben nach wie vor in einer Wirtschaftswelt der kapitalistischen Logik, nach der Unternehmen dazu da sind, ihren Eignern und Aktionären Profite einzubringen. Der Gewinn eines Unternehmens errechnet sich aus der Kalkulation Umsatz minus Kosten, wobei letztere sich in der Regel aus Material-/Produktionskosten, Betriebskosten und Lohnkosten zusammensetzen. Nach dieser Logik sind Mitarbeiter*innen ein Kostenfaktor, den es (wie auch alle anderen Kosten) möglichst niedrig zu halten gilt, um den Gewinn nicht zu schmälern.
In der betriebswirtschaftlichen Bilanz wiederum tauchen die Mitarbeiter überhaupt nicht auf, weder als Vermögenswert noch als Verbindlichkeit und erst recht nicht in der Spalte Eigenkapital, denn dort sind nur die Anteilseigner vertreten. Wie passt das zusammen mit dem Spruch „Unsere Mitarbeiter sind unser größtes Kapital!“, der inzwischen bei immer mehr Unternehmen zu hören ist?
Schiefes Bild
Warum soll der Gewinn der Kapitalgeber das Maß aller Dinge sein?
Dass diese Logik in einer Arbeitswelt, die Mitarbeiter*innen immer stärker in den Vordergrund stellt, etwas schief ist, hat die US-Autorin Marjorie Kelly in ihrem bereits 2001 erschienenen Buch The Divine Right of Capital („Das gottgegebene Recht des Kapitals“) festgestellt. Darin plädiert sie für einen Paradigmenwechsel und stellt die kapitalistische Betrachtungsweise, nach der die Kapitalerträge, also die Gewinne aus dem eingesetzten Kapital, das Maß aller Dinge sind, auf den Kopf. Aus der Gleichung
Kapitalerträge + Gewinnrücklagen = Umsatz – (Lohnkosten + Betriebskosten)
macht sie
Mitarbeitereinkommen + Gewinnrücklagen = Umsatz – (Kapitalerträge + Betriebskosten)
„Mit dieser Gewinn- und Verlustrechnung würde ein Unternehmen seinen Zweck – seinen Gewinn – als Maximierung der Erträge für die Mitarbeiter definieren“, argumentiert Kelly. Dies würde zum Teil dadurch geschehen, dass die Kapitalerträge so niedrig wie möglich gehalten werden. Sie seien nichts anderes als Kosten für die Geschäftstätigkeit, die zum Beispiel als Zinsen an Banken bezahlt werden müssen, seien aber fix. Die Kapitalgeber würden nicht am Gewinn beteiligt, die Mitarbeiter hingegen schon.
Im Namen von Demokratisierung und Nachhaltigkeit
In einer immer stärker digitalisierten Wirtschaft erscheint diese Haltung alles andere als abwegig, da die Mitarbeiter*innen immer stärker in den Mittelpunkt rücken. Während in der letzten Phase der Industrialisierung die Übertragung menschlicher Tätigkeiten an Maschinen im Vordergrund stand, kristallisieren sich in der digitalen Arbeitswelt immer mehr menschliche Intelligenz, Fachwissen und Mitarbeiterengagement als die bestimmenden Faktoren den Erfolg eines Unternehmens.
Höchste Zeit, diese Entwicklung entsprechend zu würdigen, argumentiert Kelly im letzten Jahr erschienenen The Making of a Democratic Economy, das international für Aufsehen gesorgt hat und als kompaktes Manifest für mehr Mitarbeiterbeteiligungen zu sehen ist. Letztere, plus die damit verbundene Demokratisierung der Wirtschaft, erweisen sich als die vernünftigere Alternative zur heutigen Wirtschaft des Großkapitals, vor allem unter dem Aspekt der Nachhaltigkeit
Marjorie Kelly hat Anfang der Nuller Jahre die Initiative Fifty By Fifty gegründet, die sich als Ziel gesetzt hat, bis zum Jahr 2050 etwa 50 Millionen Arbeitende in den USA an ihren jeweiligen Unternehmen zu beteiligen. Bis dahin dürfte es noch ein weiter Weg sein, auch wenn die bürokratischen Hürden, die steuerlichen Regelungen und die bisherige Praxis Mitarbeiterbeteiligungen in den USA viel stärker begünstigen als in Europa und speziell hierzulande.
Die Beteiligungswelle rollt, aber sehr langsam
Auch in Deutschland steht das Thema seit längerer Zeit auf der Agenda, insbesondere im Zusammenhang mit der Gründung von Startups, kommt aber nicht so recht vom Fleck. Schuld daran sind nicht nur die fehlende Tradition und die bürokratischen Hürden, es fehlen auch die wirtschaftlichen Anreize. Und das obwohl die Vorteile von Mitarbeiterbeteiligungen sowohl der Industrie als auch der Politik hinlänglich bekannt sind. In Zeiten des akuten Fachkräftemangels sind sie vor allem ein gutes Mittel, um qualifiziertes Personal zu gewinnen, zu motivieren und langfristig ans Unternehmen zu binden. Doch laut dem Digitalverband Bitkom ist im internationalen Vergleich der administrative Aufwand in Deutschland zu hoch und die steuerlichen Anreize zu gering.
Mitarbeiterbeteiligungen sind immerhin Teil des Koalitionsvertrags.
Immerhin ist in dieser Legislaturperiode etwas mehr Bewegung zu vernehmen, das Thema ist Teil des Koalitionsvertrags der aktuellen Regierung. Im Vorfeld der Koalitionsverhandlungen hatte der Bundesverband Mitarbeiterbeteiligung in seinem Berliner Appell, den 60 namhafte Unternehmen unterzeichnet hatten, eine Reihe von Maßnahmen gefordert, um Beteiligungen zu erleichtern. Dazu gehören die Anhebung des steuerlichen Freibetrags von 360 (inzwischen 720) Euro auf mindestens 3.000 Euro, den Abbau bürokratischer Hürden sowie eine Regelung auf europäischer Ebene. Auch ist das Thema letzten Monat im Bundesfinanzausschuss im Rahmen einer Anhörung besprochen worden und wird von den Wirtschaftsministerien verschiedener Bundesländer gepusht. Das Bundeswirtschaftsministerium hat außerdem eine Seite mit den wesentlichen Informationen zum Thema eingerichtet.
Auch Startups lassen zu wünschen übrig
Bis tatsächlich ein legislativer Ruck aus Berlin kommt, idealerweise verbunden mit einer Kampagne, die dem Thema etwas mehr öffentliche Aufmerksamkeit beschert, wird sich wohl an den derzeitigen Zahlen nicht viel verändern. Laut dem Deutschen Aktieninstitut sind etwa 1,1 Millionen Mitarbeiter derzeit als Belegschaftsaktionäre an ihrem Unternehmen beteiligt. Wobei es hier reichlich Luft nach oben gibt, denn nur etwa die Hälfte der DAX-Konzerne bieten ihren Mitarbeitern eine direkte Beteiligung an. Bei mittelständischen, nicht-börsennotierten Unternehmen dürfte die Zahl der beteiligten Mitarbeiter ähnlich hoch sein.
Auch bei Startups wird das Potenzial zur Mitarbeiterbeteiligung nicht wirklich ausgeschöpft. Im aktuellen Startup Report (PDF) des Bitkom meldeten nur 27 Prozent der 321 befragten Unternehmen, dass ihre Mitarbeiter am Unternehmen beteiligt sind. Als wichtige Gründe, Mitarbeiter zu beteiligen, nannten die Firmen vor allem die langfristige Bindung der ans Unternehmen sowie die bessere Motivation der Mitarbeiter. Die größte Hürde hingegen besteht im Desinteresse der Mitarbeiter selbst – jeder vierte zieht lieber ein reguläres Gehalt vor. Jeweils 17 Prozent der Unternehmen nannten außerdem die hohen administrativen Aufwand sowie das eigene Unwissen über das Thema als Hürde.
Ein schöner Gedanke und sicherlich erstrebenswert – solange alles rund läuft im Unternehmen. Aber beteiligen sich die Mitarbeiter dann auch am Verlust, wenn die Erträge nicht ausreichen? Denn das ist heute die Funktion der Kapitalgeber: Sie tragen das Risiko, auch bei einem Totalausfall. Sie finanzieren Mitarbeitergehälter, auch wenn (und bei Start-Ups so lange) das Unternehmen keine Kapitalerträge in ausreichendem Maße erwirtschaftet…
Ein gesunder Mix ist sicherlich sinnvoll und notwendig, ebenso wie eine Beteiligung der Mitarbeiter an den Gewinnen, aber das finanzielle Risiko bei der Finanzierung eines Unternehmens will eben höher vergütet werden als ein Immobilienkredit für einen Neubau.