Wie Künstliche Intelligenz den Arbeitsplatz 5.0 gestaltet

Künstliche Intelligenz am Arbeitsplatz ist schon lange Zukunftsmusik mehr. KI wird den Arbeitsplatz nachhaltiger verändern, als die einfache Digitalisierung es je könnte. Deswegen werden schon jetzt die Weichen gestellt, die ein harmonisches Miteinander von Mensch und Maschine gewährleisten sollen. 

„Technologie von morgen mit Arbeitsbedingungen von gestern hat keine Zukunft.“ Vanessa Barth, IG Metall

Während die Arbeitswelt 4.0 für die meisten Beschäftigten nur als Vision existiert, schickt sich der Direktor des arbeitgebernahen Instituts für angewandte Arbeitswissenschaft, ifaa, bereits von der Arbeitswelt 5.0 zu sprechen. „Künstliche Intelligenz entwickelt die Arbeitswelt 4.0 zur Arbeitswelt 5.0“, sagt Prof. Dr. Sascha Stowasser. „Steht die Arbeitswelt 4.0 im Fokus der vernetzten Digitalisierung und der Flexibilisierung von Arbeitsort, -zeit, -organisation sowie Handlungsfreiheit, so wird die Arbeitswelt 5.0 mit intelligenter Assistenz, lernenden Robotern und benutzeroptimierten Informationen bereichert.“ Für die Beschäftigten bedeute das vor allem die Abschaffung geistiger Routinetätigkeiten zugunsten anspruchsvollerer Jobs.

Es wird jetzt schon daran gearbeitet

Die Arbeitswelt 5.0 ist eigentlich nur eine logische Folge der jetzigen digitalen Transformation der Arbeit. An der Entwicklung von KI-gestützten Anwendungen wird bereits fieberhaft gearbeitet – nicht nur seitens der üblichen Verdächtigen wie Google, Amazon oder Microsoft. Laut einer neueren Studie zum Einsatz Künstlicher Intelligenz in Unternehmen (PDF) des Fraunhofer Instituts für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO haben 16 Prozent der Unternehmen in Deutschland mindestens eine konkrete KI-Anwendung im Einsatz, bei weiteren 14 Prozent ist die Einführung in Vorbereitung. 

Künstliche Intelligenz wird allgemein als eine Art Turbolader für die Unternehmensentwicklung anerkannt. Das durch KI freigesetzte Innovationspotenzial ist so hoch, dass es den Firmen sehr schnell Wettbewerbsvorteile beschaffen kann. Bereits vor zwei Jahren hat McKinsey beobachtet, dass Unternehmen, die sich intensiv mit KI beschäftigen, auch ihre eigene digitale Transformation viel besser meistern und wesentlich bessere Chance haben, zu den Überlebenden der Digitalisierung zu gehören. Unternehmen, die diese Erkenntnis verinnerlicht haben, investieren entsprechend viel in die KI-Entwicklung.

KI hat das Potenzial, die Weiterentwicklung von Unternehmen radikal zu beschleunigen. (Quelle: Fraunhofer IAO)
KI hat das Potenzial, die Weiterentwicklung von Unternehmen radikal zu beschleunigen. (Quelle: Fraunhofer IAO)

Einsatzgebiete für Künstliche Intelligenz in der Industrie gibt es reichlich. In den letzten Jahren hörte man vor allem vom KI-Einsatz im Technologie- und Finanzsektor, doch auch in der Autobranche, im Energiewesen und in der Logistik wurde abseits der großen Öffentlichkeit stark investiert. Was sich Firmen davon versprechen ist ein hoher Automatisierungsgrad der internen Prozesse, ein Innovationssprung bei der Entwicklung ihrer Produkte und Dienstleistungen sowie neue Wege bei der Interaktion mit ihren Kunden. Eine Studie (PDF) der Allianz Industrie 4.0 Baden Württemberg identifiziert aus der Sicht von produzierenden Unternehmen zahlreiche Bereiche, in welchen KI künftig eine wesentliche Rolle spielen wird, von der Logistik über die Produkt- und Prozessentwicklung bis hin zu Qualitätsmanagement und -kontrolle.

Es braucht neue Regeln für die Interaktion zwischen Mensch und Maschine 

All das wird auf die Arbeitswelt, so wie wir sie heute kennen, gravierende Auswirkungen haben. Schon heute schafft die Automatisierung viele Jobs ab, während sie gleichzeitig neue Jobprofile generiert. Das ist nicht nur in der Produktion der Fall, sondern auch in Bereichen wie Sachbearbeitung und Kundenkommunikation. So etwas wie Vollautomation, die menschliche Arbeit völlig überflüssig macht, wird es aber in absehbarer Zeit nicht geben. Eher die Entstehung viele neuer Jobprofile und das zunehmende Miteinander zwischen Mensch und Maschine.

Einsatzgebiete Künstlicher Intelligenz in der Produktion, bewertet nach Relevanz. (Quelle: Fraunhofer IPA/IAO)
Einsatzgebiete Künstlicher Intelligenz in der Produktion, bewertet nach Relevanz. (Quelle: Fraunhofer IPA/IAO)

Ein Whitepaper der Arbeitsgruppe Arbeit/Qualifikation, Mensch-Maschine-Interaktion sieht unterschiedliche Formen der Kollaboration zwischen Mensch und Technik entstehen: So sollen KI-Systeme etwa Beschäftigte von Routineaufgaben im Office entlasten, Entscheidungen in komplexen Fertigungsprozessen erleichtern oder Ärzte bei medizinischen Diagnosen unterstützen. Auch könnte KI die Abwicklung von Versicherungsfällen oder Teile der Kundenkommunikation übernehmen. 

Als daraus resultierende Herausforderungen sehen die Autoren die Verdrängung existierender Tätigkeitsprofile und die Definition neuer Formen der Arbeitsteilung zwischen Mensch und Technik. Entscheidend sei dabei, welche Rolle den Beschäftigten jeweils zukommen soll und ob KI-Systeme nur unterstützen oder gleich ganze Aufgabenbereiche übernehmen. Ist ersteres der Fall, müssten auch die Kriterien und Regeln für die Gestaltung der Interaktion zwischen Mensch und Machine entwickelt werden, damit auch „menschengerechte Arbeitsbedingungen geschaffen, Beschäftigung gesichert, Menschen befähigt und die Potenziale für Unternehmen in verschiedenen Branchen gehoben werden“. 

Bessere Chancen für Geringqualifizierte 

Als positives Beispiel nennt die Studie lernfähige Robotersysteme, die als Fähigkeitsverstärker in der Montage oder ähnlichen Bereichen zum Einsatz kommen und dabei die Qualität der Arbeit erhöhen. Diese Art von Zusammenspiel würde wiederum wettbewerbsfähige Arbeitsplätze schaffen und dazu beitragen, dass auch geringer qualifizierte Beschäftigte bessere Chancen haben, komplexere Arbeiten zu übernehmen. Auch Jobs für Personen mit gesundheitlichen Einschränkungen könnten dadurch entstehen.

KI ist heute schon ein Job-Motor in Ländern wie Indien, den Philippinen, Kenia oder Uganda.

Künstliche Intelligenz schafft andererseits schon heute komplett neue Tätigkeiten und Arbeitsplätze, teilweise an Orten, die man so gar nicht vermuten würde, wie beispielsweise in Indien, in den Philippinen, in Uganda oder in Kenia. Das hat damit zu tun, dass die Entwicklung von KI-Anwendungen heute sehr viel menschliche (Vor-)Arbeit erfordert.

Eine der größten Herausforderungen bei lernenden Systemen besteht beispielsweise darin, ihnen „das richtige Lernen“ beizubringen. Wie soll zum Beispiel ein selbstfahrendes Auto erkennen, ob ein Objekt am Wegrand ein Kind ist, das jeden Moment auf die Straße springen könnte, oder nur ein Hund, der an der Leine geführt wird? Die Antwort lautet: Man muss es ihm zeigen. Also sitzen Tausende Beschäftigte in besagten Ländern vor ihrem Monitor, lassen Videoaufzeichnungen von selbstfahrenden Autos ablaufen und kennzeichnen die darauf zu sehenden Objekte, um das System „zu trainieren“. Auf dieses „Labeling“ haben etablierte IT-Firmen wie Accenture oder Wipro ebenso wie Startups wie iMerit, Figure Eight oder Mighty AI spezialisiert und betreiben Labeling-Einheiten in Billiglohnländern, meist im Auftrag von Konzernen wie Google, Amazon, Facebook, aber auch für Daimler oder Volkswagen.

Die Ängste der Beschäftigten ernst nehmen

Für ein hoch industrialisiertes Land wie Deutschland zeigen Analysen des ifaa, dass sich rund 75 Prozent der Arbeitsplätze durch KI verändern werden. Da auch kleine Veränderungen an Jobprofilen und Tätigkeiten häufig für viel Unruhe im Betrieb sorgen, lässt sich erahnen, dass Unternehmen in den nächsten Jahren mit Turbulenzen im Bereich Arbeitsgestaltung und -verteilung rechnen müssen. Experten mahnen deshalb, sich am besten schon jetzt mit diesen Umwälzungen zu beschäftigen.

KI hat Auswirkungen auf praktisch alle Bereiche, die Arbeit betreffen. (Quelle: Fraunhofer IAO)
KI hat Auswirkungen auf praktisch alle Bereiche, die Arbeit betreffen. (Quelle: Fraunhofer IAO)

Das ifaa identifiziert vier Kernbefürchtungen seitens der Beschäftigten, mit welchen sich Unternehmen bei der Einführung von KI-Anwendungen auseinandersetzen sollten: 

  • Angst vor Missbrauch persönlicher Daten (Datenschutz, Durchsichtigkeit der Person),
  • Angst im Umgang mit KI (Scheitern, „nicht qualifiziert sein“), 
  • KI als undurchsichtige Black-Box sowie
  • Angst vor Jobverlust.

ifaa-Chef Sascha Stowasser mahnt deswegen, die Beschäftigten von Anfang an mitzunehmen. „Wir müssen zusammen überlegen, wie unsere neuen Arbeitswelten mit KI-Technologien aussehen sollen. Dafür ist eine Kultur der Veränderungen zu definieren und in den Unternehmen tagtäglich zu leben.“ Das ifaa empfiehlt hier einen mitarbeiterorientierten Einführungsprozess mit einer intensiven Diskussion zwischen Management und der Beschäftigten. Dabei müssten die Vorteile und der Nutzen von KI aufgezeigt, der Qualifizierungsbedarf der Mitarbeiter ermittelt und die neuen Arbeitssysteme gemeinsam gestaltet werden. Als hilfreich könnten sich auch Experimentierräume und Pilotprojekte erweisen, in welchen erste Erfahrungen mit der Technik gewonnen und die damit verbundene betriebliche Praxis erprobt werden könnte.

Neue ethisch/rechtliche Leitplanken nötig

Mit seinem kooperativen Ansatz rennt Stowasser bei Arbeitnehmerverbänden und Gewerkschaften offene Türen ein. „Eine progressive KI-Strategie beinhaltet integrierte Technik- und Arbeitsgestaltung mit Beteiligung der Erwerbstätigen“, sagt beispielsweise Nadine Müller, Referentin für Innovation bei ver.di. Eine humane Arbeitsgestaltung mit Zielen wie sozial abgesicherte Beschäftigung, Entlastung, Datenschutz und Autonomie sei bereits bei der Konzeption der KI-Einführung nötig. 

Deutschland könnte beim Einsatz von KI im Arbeitsumfeld eine Vorreiterrolle spielen.

Vanessa Barth, Digitalisierungsexpertin bei der IG Metall, warnt davor, sich US-Technologieunternehmen als Vorbilder zu nehmen: „Auf Plattformen wie YouTube oder Amazon bestimmt KI heute schon den Arbeitsalltag von Millionen Menschen. Intransparent, einseitig und oft fehlerhaft. Das ist Technologie von morgen kombiniert mit Arbeitsbedingungen von gestern und hat keine Zukunft. Wer KI intelligent einsetzen will, braucht dafür Mitbestimmung.“ 

Sowohl Arbeitgeber- als Arbeitnehmerverbände fordern darüber hinaus eine gesellschaftspolitische Debatte, um den ethisch/rechtlichen Rahmen für den Einsatz von KI zu setzen. ifaa-Chef Stowasser sieht darin eine Gelegenheit für Deutschland, einen internationalen Standard zu setzen. „Eine auf der sozialen Marktwirtschaft mit ethischen Grundwerten beruhende KI-Gesellschaft könnte internationaler Vorreiter des KI-Einsatzes werden und als deutsches Vorbild für andere Nationen für verantwortungsvollen Umgang mit KI gelten.“

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