Vom Facharbeiter bis zum Juristen: Wo KI besser arbeitet als der Mensch
Warum übernimmt Künstliche Intelligenz Tätigkeiten, die bisher der Mensch ausgeführt hat? Weil es Aufgaben gibt, die KI-Anwendungen schneller, präziser und besser abwickeln können – und dabei menschlichen Angestellten Freiräume verschaffen, ihre eigenen Stärken auszuspielen.
Der Digitalgipfel der Bundesregierung wird zur Eröffnung von einem süßen Roboter co-moderiert. Und Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier will, wenn er in Rente ist, den Personal Butler zum Bier holen in die Küche schicken. In beiden Fällen wird Künstliche Intelligenz als rührseliges Stück Zukunft präsentiert, selbst für jene, die sich ihre Arbeit künftig zumindest teilweise mit KI-Lösungen teilen (müssen). KI einerseits als Spielerei mit dem Ziel, Menschen mit einer Technologie vertraut zu machen, an der sie zukünftig nicht vorbei kommen werden – weil umgekehrt KI den menschlichen Mitarbeiter in einigen Bereichen überholt.
Datenanalyse, Fehlervermeidung, Effizienz – KI, übernehmen Sie.
Andererseits reden Experten derart visionär über KI, dass sie für Normalsterbliche mindestens so unvorstellbar ist wie die Größe des Weltalls. Tatsächlich ist die Technologie so vielfältig, dass es keine Standard-Definition gibt und sie kaum jemand greifen kann. Und doch ist KI längst in unserem Arbeitsalltag angekommen. Sie verändert schon heute die tägliche Arbeit vieler Berufsgruppen, von Sachbearbeitern und Fabrikarbeiter über Mediziner bis Juristen.
Die Möglichkeiten, die zuletzt auch das Fraunhofer IAO auf der Arbeitsforschungstagung skizziert hat, reichen von Beschaffung und Logistik über Produktion und Forschung bis zu hin zum Personalwesen. Hier dominiert nicht die (durchaus berechtigte) Sorge um den Arbeitsplatz, sondern die Entlastung, Fehlervermeidung und Effizienz durch Automation und Datenanalyse. Ganz praktische Beispiele aus dem Arbeitsalltag vermitteln ein Verständnis davon, wie KI auf die Arbeitswelt derzeit einwirkt und wo sie ihren Platz aktuell einnimmt.
KI im Kontext mit Kunden
Sprachassistenten, ob Siri (Apple), Alexa (Amazon) oder Cortana (Microsoft), und Chatbots dürften die derzeit bekanntesten Einsatzgebiete von intelligenten Systemen auch im Arbeitsumfeld sein. Fast jeder, der auf einer Firmen-Webseite zum Chat aufgefordert wird, kann davon ausgehen, dass dahinter ein KI-System steckt. Mitarbeiter entledigen sich auf diese Weise einer zeitintensiven Arbeit, die vor allem aus der Beantwortung von Standardfragen besteht.
Der Deutsche Paketdienst dpd nutzt demnächst Mailbots, um eingehende E-Mails von Paketempfängern automatisch zu kategorisieren und selbstständig zu bearbeiten. IBMs Watson-System wird heute unter anderem für die Kundenbetreuung eingesetzt und ist die Basis für den Chatbot einer Kanzlei, der bei Verkehrsdelikten über Strafen informiert und die weitere Vorgehensweise vorschlägt.
KI in der Juristerei
Apropos Kanzlei: Wasserdichte Verträge aufzusetzen ist eine Herausforderung für Juristen. Jede noch so kleine Lücke wird vom gegnerischen Anwalt gegebenenfalls ausgenutzt. Ob Schwachstellen von einem KI-System besser identifiziert werden können als von erfahrenen Juristen, sollte ein Experiment herausfinden.
Tatsächlich ist es so ausgegangen: Eine KI-Lösung hat juristische Risiken in Vertraulichkeitsklauseln zu 94 Prozent aufgedeckt, die ebenfalls darauf angesetzten Rechtsanwälte zu 85 Prozent. Dazu war das System wesentlich schneller. Die Juristen benötigten für die Aufgaben im Schnitt 92 Minuten, die Software 26 Sekunden. Der experimentelle Showdown zeigt vor allem: die Zweifel, KI sei bei traditionellen Tätigkeiten kein Ersatz für den Menschen, kann nicht ohne weiteres unterschrieben werden.
KI im Finanzwesen
Künstliche Intelligenz im Finanzwesen klingt nach einer heiklen Angelegenheit. Die Automation von Standardprozessen im Finanz-und Rechnungswesen ist aber auch hier möglich und eine Unterstützung für Finanzexperten. Die sollen künftig mehr beraterische Tätigkeiten übernehmen und müssen die Zeit dafür irgendwo hernehmen.
Heute existierende smarte Automationslösungen wie die Financial Management Lösung von Workday automatisieren ressourcenintensive, sich wiederholende Tätigkeiten in der Transaktionsverarbeitung, bei Audit und Compliance oder im Reporting und der Analyse. Automatische Belegerkennung und ein automatisierter Zahlungsverkehr sind weitere Einsatzgebiete, die heute laut Fraunhofer IAO schon im Unternehmenskontext möglich sind und dem Mitarbeiter repetitive, fehleranfällige Arbeiten abnehmen.
KI in der Medizin
KI-Systeme könnten sogar dem Fachkräftemangel entgegentreten.
Der Kostendruck in Krankenhäusern wächst. Mediziner haben immer weniger Zeit für ihre Patienten sowie für die Diagnose. Deshalb werten KI-Syteme heute Röntgenbilder aus, nicht nur, weil sie dem Arzt Arbeit abnehmen. Das Ärzteblatt berichtet von einem KI-gestützten System, das auf Basis einer Datenbank mit mehr als 30.000 endozytoskopischen Bildern als Referenzdaten erfolgreich Vorhersagen zur Bösartigkeit von Koloskopiebefunden in weniger als einer Sekunde gemacht hat. Aus Sicht des Mediziners und Informatikers Klaus Juffernbruch können KI-gestützte Systeme sogar die drohende Versorgungslücke durch den Fachkräftemangel abmildern. Denn heute bereits zugelassene Algorithmen können bei Herzuntersuchungen mit bildgebenden Verfahren sogar den Kardiologen bei der Diagnose ersetzen.
KI in der Produktion und Industrie 4.0
Das Siemens-Elektronikwerk in Amberg beispielsweise vernetzt sämtliche Maschinen und Produkte in der Fabrik, alle Prozesse sind IT-optimiert und -gesteuert. Die gewonnenen Daten bilden die Grundlage etwa für die Erstellung von Modellen zur Erkennung von Schwachstellen und Optimierungspotenzialen oder für Simulationen und Prognosen. In einer solchen Smart-Factory-Umgebung ist neben Machine Learning auch Big Data einer der Schlüsselbegriffe. Denn zuvor war es nicht möglich, Daten so zusammenzuführen, dass sich daraus Echzeit-Erkenntnisse für Fabrik-Prozesse ziehen ließen. Für die Mitarbeiter bedeutet dieser Fortschritt unter anderem konstantere Arbeitsprozesse, die nicht oder seltener durch Ausfallzeiten von Maschinen gebremst werden.
Besser wir diskutieren über KI statt nur Horrorszenarien zu skizzieren.
Es gibt unzählige weitere Einsatzgebiete für KI-Systeme, die Tätigkeiten im Arbeitsalltag schneller und effektiver oder auch analytischer abwickeln. KI steht noch am Anfang und aktuell sind es hauptsächlich Standardprozesse, die automatisiert werden und die Entlastung bringen, um sich auf strategische Aufgaben zu konzentrieren. In nicht allzu ferner Zukunft werden immer intelligentere Maschinen auch strategische Prozesse übernehmen und je weiter Machine Learning in menschliche Kerndisziplinen wie Emotionalität und Empathie vordringt, um so besser ist es auch, darüber zu diskutieren statt alleine Horrorszenarien aufzuzeichnen.
Die Möglichkeiten von KI fordern den Menschen auf ganz andere Weise heraus. Nämlich, sich das Können der Maschinen zunutze zu machen, um Probleme anzugehen, für die es bisher keine Lösung gab. Oder um neue Ideen und Berufsbilder zu kreieren, die dem Menschen wiederum zugute kommen können. So argumentieren zumindest die KI-Fans. Und dieser Gedanke hat genauso viel Aufmerksamkeit verdient wie die Sorge um die Arbeitsplätze.