Drei Auswege aus der Fachkräfte-Misere
Statt auf ein Wunder von außen zu warten, das gut ausgebildete Fachkräfte nach Deutschland zaubert, sollten Unternehmen lieber das Heft in die Hand nehmen, Mitarbeiter fortbilden und weiterentwickeln. Hier sind drei mögliche Maßnahmen dazu.
Es gibt keinen einfachen und keinen schnellen Weg aus dem Fachkräftemangel, so viel ist sicher. Bei dem Tempo, mit dem die Digitalisierung immer neue Fähigkeiten fordert, können Hochschulen und anderen Bildungseinrichtungen einfach nicht mithalten. Hinzu kommt, dass Deutschland nur ein Land unter vielen im weltweiten Wettbewerb um die Anwerbung von Programmierern Datenexperten und Robotik-Spezialisten ist.
Dennoch gibt es eine ganze Reihe von Unternehmen, die es in diesem schwierigen Umfeld immer schaffen, Talente anzulocken und die besten Experten langfristig in ihren Reihen zu halten. Die beiden Fortbildungsspezialisten Kelly Palmer und David Blake haben in den USA genau solche Unternehmen unter die Lupe genommen und ihre Erkenntnisse im Buch The Expertise Economy zusammengefasst, das vor einigen Wochen erschienen ist. Es sind vor allem drei Ratschläge, die sie Unternehmen damit weitergeben möchten.
1. Das Heft selbst in die Hand nehmen
In einer digitalisierten Arbeitswelt ist die Wahrscheinlichkeit, dass eine neue Arbeitskraft sofort loslegen kann, eher unwahrscheinlich. Meist muss sie erst in einer mehrmonatigen Einarbeitungsphase das Unternehmen, seine Produkte und die eigene Aufgabe richtig kennenlernen, bevor sie wirklich produktiv sein kann.
Palmer und Blake empfehlen, diesen Prozess zu methodisieren und, sofern die Unternehmensgröße es erlaubt, ihn richtig auszubauen. Statt Konsumenten der staatlichen Ausbildung zu sein, sollten sie selbst ihre Rolle als Bildungseinrichtung finden. Denn meist haben Unternehmen in vielen Bereichen über die Jahre eine Menge Expertenwissen angehäuft, das sie als Anbieter und ihre Produkte kennzeichnet. Und hier geht es nicht nur um Fachwissen, sondern auch um Methoden, Prozesse und Firmenkultur. Die Autoren sehen es als keinen Zufall, dass die besten Führungskräfte in den USA nicht von Harvard, sondern von Firmen wie General Electric oder McKinsey kommen.
2. Die Lernfähigkeit ist entscheidend, nicht die Vorbildung
Nachweise über eine Fachausbildung sagen relativ wenig über die tatsächlichen Fähigkeiten eines Bewerbers aus. Auch die vorherige Tätigkeit in einem renommierten Unternehmen und gute Zeugnisse sind keine Garantie dafür, dass er/sie sich in einem bestimmten Job zurechtzufinden und darin auch wirklich gut sein wird. Palmer und Blake stellen das Thema Lernfähigkeit auf eine höhere Prioritätsstufe und raten Personalverantwortlichen, beim Einstellungsprozess dasselbe zu tun. Nur so könnten sie halbwegs davon ausgehen, dass ein neuer Mitarbeiter die Entwicklung des Unternehmens mitgehen wird und nicht nach einigen Jahren ausgetauscht werden muss.
Gute Zeugnisse sind kein Garant für den Erfolg in einem bestimmten Job
Ein Fortbildungsanbieter, der den Einstellungsprozess in seine Fortbildungskurse integriert, ist Academic Work aus Schweden. Die soeben in München gestartete deutsche Tochter Academy bietet beispielsweise für einen ihrer Kunden, dem Münchener Systemhaus Microstaxx, die Einstellung von Fachkräften über eine Ausbildung zum IT-Consultant in nur 12 Wochen. Die Vorbildung der Bewerber ist dabei wenig relevant. Mithilfe ihrer „Accelerated Learning“-Methode identifiziert die Academy während des Kurses jene Kandidaten, außer der reinen Lernfähigkeit auch die Skills mitbringen, die für Microstaxx besonders wichtig sind, z.B. Belastbarkeit oder die Fähigkeit zur extremen Fokussierung.
3. Mitarbeiter aktiv weiterentwickeln
Die Digitalisierung fordert von Unternehmen eine schnelle und permanente Weiterentwicklung, von ihren Mitarbeitern ein lebenslanges Lernen. Doch wie können Unternehmen dafür sorgen, dass ihre Mitarbeiter sich tatsächlich permanent auf einer Lernkurve befinden statt auf dem aktuellen Status Quo ihrer Fachkenntnisse zu verharren?
Das Anbieten von Fortbildungsmöglichkeiten, die auf Eigeninitiative ihrer Mitarbeiter wahrgenommen werden können, reicht nach Ansicht von Palmer und Blake bei weitem nicht aus. Vielmehr müssten sie dafür sorgen, Positionen und Jobs so weiterzuentwickeln, dass die Beschäftigten ständig etwas neues dazulernen müssen.
70 Prozent der Mitarbeiter sollten sich immer in einer steilen Lernkurve befinden
Die Autoren empfehlen, die Methode der Management-Expertin Whitney Johnson anzuwenden. In ihrem Buch „Build an A Team“ vertritt sie die Ansicht, dass sich jeder in seiner aktuellen Position auf einer Lernkurve (auch S-Kurve genannt) befindet. Anfangs ist man unerfahren und im flachen Teil der Kurve, dann kommt der steile Teil des intensiven Lernens und zum Schluss das Plateau der Fachexpertise.
Als Arbeitgeber sollte man immer wissen, an welchem Punkt der Lernkurve jeder Mitarbeiter gerade steht und auf dieser Basis dessen Weiterentwicklung steuern. Der obere flache Teil der Lernkurve sollte vom Arbeitgeber als Startpunkt für die Lernkurve der nächsten Position gesehen werden. Wenn beispielsweise ein Ingenieur auf der Höhe seines Fachwissens und bereit ist, die Leitungsfunktion für ein Team zu übernehmen, ist er in Sachen Team-Management im unteren Teil der Lernkurve. Die Konsequenz für den Personalleiter ist dann, ihm Hilfe bei der Erlangung von Managementfähigkeiten zu bieten.
Hinsichtlich der allgemeinen Verteilung der Arbeitskräfte im Unternehmen auf dieser Lernkurve hält Johnson ein Verhältnis von 15-70-15 als erstrebenswert. In anderen Worten, 70 Prozent der Mitarbeiter sollten bei ihrem Job auf einer steileren Lernkurve sein als Anfänger oder Experten. Als besonders gefährlich sieht sie die Situation, wenn viele Mitarbeiter auf dem oberen Plateau der Fachkenntnis verharren – in doppelter Hinsicht: Einerseits könnten sie sich langweilen oder das Gefühl bekommen, dass sich ihre Karriere nicht weiterentwickelt, und außerhalb des Unternehmens neue Herausforderungen suchen. Andererseits könnten sie einfach zu bequem werden und mit der Zeit ihre Lernfähigkeit einbüßen.