Warum es sich rechnet, Teil eines Ökosystems zu sein – oder eins zu betreiben
Plattformen wie Amazon oder Ebay haben dem Einzelhandel neue Möglichkeiten verschafft, die App-Stores von Apple und Google die Software-Entwicklung revolutioniert. Plattformen und Ökosysteme machen aber auch für die restliche Industrie viel Sinn.
Alle erfolgreichen Internet-Unternehmen der letzten zwanzig Jahre, egal ob Google, Ebay, Amazon, Apple oder Facebook, haben eines gemeinsam: Sie alle betreiben eine digitale Plattform, über die sowohl sie selbst als auch ihre Partner und Kunden profitieren – bei Ebay und Amazon sind es die Händler, bei Google, Apple und Facebook sind es Smartphone-Hersteller, App-Entwickler, Werbetreibende und Anbieter von Inhalten. Jeder hat damit für sich ein eigenes Ökosystem aus Partnern und aufgebaut.
Je digitaler die Wirtschaft wird, desto mehr entwickelt sie sich zu einer „Plattformökonomie“ – das bestätigen nicht nur zahlreiche Studien, sondern auch alle Beteiligten und vor allem die Kunden, wie unter anderem auch eine Umfrage des Branchenverbands Bitkom zuletzt zeigte (siehe Grafik). Dennoch sind solche Plattformen und Ökosysteme außerhalb der Internet-Wirtschaft noch relativ selten. Nur wenige Unternehmen, die in der Produktion materieller Güter aktiv sind, haben sich bislang getraut, eine eigene offene Plattform und damit ein eigenes Ökosystem aufzubauen. Warum ist das so?
Durch die falsche Brille
„Industrieunternehmen tun sich schwer, den Wert eines eigenen Ökosystems zu beziffern, weil sie es zu sehr durch die Brille eines Geschäftsmodells betrachten“, sagt Gartner-Analyst Fabio Chesini. „Ein Ökosystem hat aber kein eigenes Geschäftsmodell. Es hat auch selbst keine eigenen Kunden. Es liefert vielmehr eine Reihe von Möglichkeiten, für die teilnehmenden Firmen Geschäftsmodelle darauf aufzusetzen, je nach dem, welche Rolle sie im jeweiligen Ökosystem spielen.“
Ein Blick auf Apple oder Google und deren App-Stores bestätigt Chesinis These. Der Betrieb der Plattformen war zunächst für beide erst einmal nur mit Aufwand und Kosten verbunden. Immerhin muss jede App und jedes Update einer App auf die Einhaltung von Sicherheit und der Richtlinien des Stores geprüft und Millionen Kunden zur Verfügung gestellt werden. Auch die Kosten für die Kaufabwicklung und die Abrechnung mit den Entwicklern sind nicht zu verachten. Die Vermittlungsgebühren (Entwickler müssen bei Apple beispielsweise 30 Prozent ihrer Verkaufserlöse als Provision abführen) mögen vielleicht inzwischen die Betriebskosten der App-Stores ausgleichen oder für einen leichten Gewinn sorgen, doch sie waren ursprünglich eine strategische Maßnahme. Sie sollten das Kerngeschäft der beiden Firmen stärken, also den Verkauf von Smartphones oder das Ausspielen von Google-Anzeigen auf den Smartphones ihrer Kunden. Sie profitieren also indirekt.
Es braucht Mut
Laut Chesini ist die Herangehensweise der meisten Unternehmen bei der Betrachtung des Werts eines Ökosystems von Grund auf falsch. „Sie stellen sich die Frage, ‚Wie kann ich mein Geschäftsmodell durch ein Ökosystem erweitern?‘. Besser wäre es, die Funktionsweise eines Ökosystems als Basis zu nehmen und daraufhin das eigene Geschäftsmodell aus der Perspektive der Möglichkeiten dieses Ökosystems anzusehen. Die richtige Frage wäre dann: ‚Was kann dieses Ökosystem für mein Kerngeschäft tun?‘ Erst dadurch werden sie in der Lage sein, die Netzwerkeffekte eines Ökosystems zu nutzen.“
Dass Industrieunternehmen dabei viel Mut beweisen müssen, um über den eigenen Schatten zu springen, zeigt das Beispiel von Klöckner. Der Stahlhändler betreibt schon seit Jahren einen eigenen Online-Shop für den Vertrieb von Stahlbauteilen. Der Wachstumspfad bestand jedoch nicht in der bloßen Erweiterung des eigenen Shops. Stattdessen hat Klöckner mit XOM Materials eine neue offene Plattform eingeführt, die außer Stahl auch Aluminiumteile und Kunststoffe anbietet. Das besondere dabei ist, dass sich daran auch Konkurrenten von Klöckner beteiligen und ihre Ware zu Preisen und Konditionen anbieten können, die möglicherweise besser sind als die von Klöckner.
„Klöckners Management musste dabei Widerstände aus zwei verschiedenen Bereichen überwinden“, erzählt Fabio Chesini. Zum einen empfanden die eigenen Verkäufer die Öffnung der Plattform für die Konkurrenz als Kontrollverlust über den eigenen Vertriebskanal. Zum anderen befürchtete das Top-Management Verluste im eigenen Kerngeschäft mit Stahlprodukten durch die Tatsache, dass XOM auch alternative Werkstoffe wie Aluminium und Kunststoffe im Angebot hatte.“
Mit IoT geht’s richtig los
Diese Bedenken wogen zum Schluss jedoch weniger als das ausgegebene Ziel, „der Online-Marktplatz und die Beschaffungsplattform für alle Produkte und Dienstleistungen rund um die Fertigungsindustrie, einschließlich Stahl, anderer Metalle und Kunststoffe, zu sein“, wie es auf der Website von XOM heißt. Durch das erweiterte Produkt- und Dienstleistungsangebot von XOM hat Klöckner nun die Gelegenheit, beispielsweise sein Finanzierungsgeschäft weiter auszubauen.
Die Netzwerkstruktur von Ökosystemen „eröffnet allen Teilnehmern eine größere Reichweite – auch durch Kooperationen und die Verknüpfung verschiedener Dienste“, glaubt auch der Bitkom. Insbesondere im Handel und im Versicherungsmarkt würden sich immer mehr neue Geschäftsmodelle herausbilden. Für zusätzlichen Auftrieb erwartet der Verband im Umfeld von Industrie 4.0, denn dort seien Plattformen quasi per Definition das zentrale Element. Schließlich sei die Vernetzung und Interaktion verschiedenster Maschinen, Geräte und Anwendungen auch die technische und betriebswirtschaftliche Basis bei fast jedem datenbasierten Geschäftsmodell.