Künstliche Intelligenz in der Industrie – Große Zukunft, große Fragezeichen
Alles, was man so unter dem Sammelbegriff „Künstliche Intelligenz“ zusammenfasst, klingt für viele Unternehmenslenker nach großem Kino. Aber die meisten wissen nicht einmal, welcher Film laufen soll.
Ein Trend, dem alle hinterher eifern, von dem aber die wenigsten verstehen, was dahintersteckt und wie er für das eigene Unternehmen sinnvoll eingesetzt werden kann – so ließe sich der Status Quo des derzeitigen KI-Hypes zusammenfassen. Die Erwartungen an das „nächste große Ding“ sind dennoch hoch. 98 Prozent der Unternehmensführer und IT-Entscheider in Deutschland sehen laut einer von Avanade, einem Anbieter digitaler Services und Cloud-Lösungen, beauftragten Studie „Künstliche Intelligenz“ als ein „Resultat des Zeitgeists“. Gleichzeitig, so die Studienautoren, wissen die Wenigsten etwas damit anzufangen.
Es fehlt an flächendeckenden Einsatzszenarien ebenso wie an ethischen Rahmenbedingungen.
Unter dem Begriff „Künstliche Intelligenz“ fasst die Studie mehrere Aspekte und Einsatzfelder zusammen. Dazu gehören die Automatisierung von Aufgaben und Unternehmensprozessen, die Erweiterung neuer Interaktionsformen wie das Erkennen natürlicher Sprache, sowie fortgeschrittene Analysemethoden, die eine umfassende Datennutzung und auch Vorhersagen zulassen. Hinzu kommen Technologien wie maschinelles Lernen, wobei durch selbstlernende Systeme die Fähigkeiten von Mitarbeitern erweitert werden können.
Der Technologische Aspekt erscheint zweitrangig
Über die Herausforderungen im Umgang mit KI scheinen sich die meisten Manager bewusst zu sein: 85 Prozent der weltweit Befragten meinen, dass KI-Implementierungen in Unternehmen scheitern, solange ineffektives Kultur- und Change-Management vorherrschen oder das Management von Mensch und Maschine zu wünschen lässt. Dieser Wert liegt in Deutschland mit 94 Prozent nochmals deutlich höher – und über den Zahlen aller anderen Länder (USA, Australien, Kanada, Frankreich, Japan und UK), in denen Entscheider befragt wurden. Relativ gesehen sind hier Teilnehmer aus Japan mit 72 Prozent am positivsten eingestellt. Hier dürfte die langjährige Erfahrung und Offenheit des Landes im Umgang mit Robotik-Technologie zum Tragen kommen.
Frappierender Weise bringen aber die meisten Befragten Künstliche Intelligenz nicht mit offensichtlichen Einsatzgebieten zusammen: Nur 17 Prozent der Befragten gehen davon aus, dass KI-Technologien im Bereich der automatisierten Produktion hilfreich sein können. Immerhin ein Drittel sieht das größte Potenzial von KI im Bereich der Datenanalyse.
Rein aus den Zahlen kann man schließen: Unternehmen in Deutschland sind zunächst Debatten über das Verhältnis Mensch-Maschine und ein Überdenken der Firmenkultur wichtiger. Was nicht unbedingt schlecht ist. Erst wenn das geklärt sei, könne KI erfolgreich eingesetzt werden, gaben nahezu alle Befragten (94 Prozent) an. Im Vergleich zu den Ländern USA, Australien, Kanada, Frankreich, Japan und dem Vereinigten Königreich liegt Deutschland mit dieser Einschätzung an der Spitze.
Man wird dennoch den Eindruck nicht los, dass in den unterschiedlichen Branchen so etwas wie eine gewisse Ratlosigkeit über den genauen Nutzen der Künstlichen Intelligenz herrscht, vor allem, wenn Experten wie Jeanne Ross, Prinicipal Research Scientist beim Massachusetts Institute of Technology (MIT) sagen: „Unternehmen, die intelligente Maschinen nur als Mittel sehen, um die Kosten zu senken, werden sie mit hoher Wahrscheinlichkeit an den falschen Stellen und auf die falsche Art und Weise einsetzen und den Geschäftswertbeitrag nur unvollständig betrachten“.
Wer nur auf wirtschaftliche Aspekte achtet, wird keinen Erfolg haben
Es kommt also auf die Gesamtbetrachtung an. Wie Unternehmen dabei am besten vorgehen sollten, erklärt Robert Gögele, Geschäftsführer Avanade Deutschland: „Wichtige Schritte bei der Implementierung von KI sind die Erhebung, Auswertung und Nutzung von unternehmensrelevanten Daten. Privatsphäre und Sicherheit haben Priorität, dabei ist die Einrichtung eines Gremiums für digitale Ethik empfehlenswert.“ Dabei sollte ein solches Gremium unterstützend und nicht verhindernd wirken. „Unternehmen müssen zudem die Expertise der Mitarbeiter zum Umgang mit Daten schaffen und erweitern. Grundsätzlich ist eine Mischung aus langfristiger Strategie und schnellen Etappenimplementierungen hilfreich, um den digitalen/KI-Anschluss nicht zu verpassen.“
In Deutschland gilt: Erst die Regeln für den Umgang mit KI setzen, dann den Mehrwert realisieren.
Es fehlen bislang für den Einsatz von Künstlicher Intelligenz bislang nicht nur flächendeckende Einsatzszenarien, sondern meist auch rechtliche und ethische Rahmenbedingungen. Unternehmen müssen dabei zunächst selbst aktiv werden und daher einen groben Rahmen in der eigenen Unternehmenspolicy festgeschrieben werden.
Ein erster Schritt in diese Richtung ist beispielsweise durch die Einführung ethischer Richtlinien bei der Erstellung eigener Software. Die Offensive Mittelstand, ein vom Bundesforschungsministerium geförderter Verbund verschiedener Institute rund um das Thema Arbeit, hat bereits einige Leitfäden diesbezüglich herausgebracht (PDF-Dokumente hier und hier). „Algorithmen bzw. Kriterien, nach denen die Software in den Betrieben Entscheidungen trifft und Prozesse steuert, bestimmen, in wie weit sich der Mensch den Systemen anpassen muss bzw. das System im Sinne der Bedürfnisse des Menschen ‚handelt’“, sagt Dr. Martina Frost, wissenschaftliche Expertin des Instituts für angewandte Arbeitswissenschaft (ifaa), einer der angeschlossenen Organisationen.
Für die Avanade-Studie befragte Wakefield Research in Deutschland 30 C-Level Executives und 70 IT-Leiter von Firmen mit mindestens 1.000 Mitarbeitern. In USA, UK, Japan, Australien und Frankreich wurden die gleichen Befragungen mit jeweils gleich vielen Personen durchgeführt.