Digitalisierung von Verträgen: Ein Schatz, der noch zu heben ist
Verträge gehören zu der Art von Dokumenten, die nicht sehr einfach digital abzubilden sind. In deren Digitalisierung steckt jedoch mehr Potenzial, als sich die meisten Firmen vorstellen können.
Der Lockdown im Frühjahr dieses Jahres hat Firmen vor Augen geführt, wie viel die Digitalisierung von Prozessen tatsächlich wert ist und wie sehr auf papierbasierte Abläufe in einer solchen Situation im Weg stehen können. Interne Genehmigungsprozesse und Vertragsabschlüsse gehörten dabei zu den offensichtlichsten Beispielen. Das Abzeichnen von Papierformularen und das Unterschreiben von Verträgen war auf dem üblichen Dienstweg nicht möglich, weil die Büros geschlossen waren und die Beschäftigten im Homeoffice arbeiteten. Ohne digitale Signatur blieb einem nur noch der Postweg.
Entsprechend wurden Anbieter von E-Signaturverfahren wie Adobe Sign oder DocuSign während und nach der Corona-Krise mit Anfragen überrannt. „Der Lockdown hat Unternehmen wachgerüttelt und klar gemacht, wie schnell man sich manchmal aufgrund äußerer Umstände umstellen muss“, sagt Daniela Becker, Area Vice President für Großkunden in Europa bei DocuSign. Die Probleme in diesem Bereich seien schon immer da, nur habe man sie einfach nicht wahrnehmen wollen, weil die bisherigen Prozesse noch liefen – plötzlich aber nicht mehr.
Die Probleme gab es schon länger
Der Run auf die Plattformen für digitale Signatur wird nun viele Unternehmen auf das Potenzial aufmerksam machen, das in der Digitalisierung von Verträgen generell steckt. Die E-Signatur ist eine gute Möglichkeit, einen ersten kleinen Schritt in Richtung Digitalisierung von Verträgen zu machen, ohne große Risiken einzugehen, Riesensummen zu investieren oder Prozesse radikal zu verändern. Doch die Vorteile fürs Unternehmen sind sehr groß.
Der Bedarf nach digitalen Lösungen für die Vertragsunterzeichnung hatte sich schon zuvor abgezeichnet. Laut einer neueren weltweisen Studie von Forrester Consulting unter knapp 1.000 Führungskräften gaben 98 Prozent der Befragten an, dass es in ihrem Arbeitsalltag Probleme mit dem Management von Verträgen gibt. Zu den häufigsten gehören die Überarbeitung der Verträge aufgrund von Fehlern durch die manuelle Übertragung von Daten (61 Prozent), fehlende Einblicke in den Status des jeweiligen Vertrags (56 Prozent) sowie die fehlende Möglichkeit, Vertragstexte elektronisch zu durchsuchen (51 Prozent).
Reichlich Vorteile für Unternehmen
So wichtig die Unterzeichnung eines Vertrages ist: Gemessen an dessen Gesamtlebenszyklus ist es nur ein relativ kleiner Akt. Entsprechend ist auch die Einführung der digitalen Signatur nur ein kleiner Teil der Vertragsdigitalisierung und des digitalen Vertragsmanagements. „Jeder Vertrag, der unterschrieben wird, muss zuvor verhandelt, entworfen, vereinbart und unterschrieben werden. Außerdem müssen womöglich über die gesamte Laufzeit Zahlungen und Leistungen angestoßen und geleistet werden“, sagt Daniela Becker.
Die digitale Abbildung und Verwaltung dieses Zyklus nennt sich Contract Lifecycle Management (CLM) und mauserte sich in den letzten Jahren zu einem stark wachsenden Marktsegment. Die Gründe dafür liegen in einer Reihe von Vorteilen für Unternehmen, die Forrester wie folgt aufzählt:
→ Schaffung eines zentralen Vertragsdepots zur Speicherung und Bereitstellung aller Verträge eines Unternehmens.
→ Berichte und Analysen über das gesamte Vertragsportfolio.
→ Digitale Betreuung der Verhandlungsprozesse neuer Verträge.
→ Digitale Verwaltung von Prozessen, bei denen Verkauf und Lieferung von Dienstleistungen vertraglich festgelegt ist.
→ Integration von Vertragsdaten in Einkaufs-, Auftragsverwaltungs- und Rechnungsstellungssysteme.
→ Die Verknüpfung von Verträgen mit Erkenntnissen, die zur Verbesserung der Vertragstexte und der Verhandlungsprozesse führen können.
Es tut sich was im Markt
Zu den etablierten Playern in diesem Bereich zählte Forrester in seinem CLM-Report vom letzten Jahr Firmen wie Icertis, Apttus, Conga, Oracle oder SpringCM, das vor zwei Jahren von DocuSign übernommen wurde. Angesichts des erwarteten Wachstums tut sich auf Seiten der Anbieter derzeit eine ganze Menge. So machen zum Beispiel seit einiger Zeit Consulting-Schwergewichte wie KPMG auf ein eigenes CLM-Portfolio aufmerksam. Zudem haben Apttus und Conga vor zwei Monaten ihre Fusion angekündigt.
Wie umfassend die Produktpalette im Digitalen Vertragsmanagement ist, kann man am Beispiel DocuSign gut nachvollziehen. Der Anbieter arbeitet daran, durch Zukäufe den gesamten Bereich durch eigene Produkte abbilden zu können. So lieferte die Software für die Verwaltung von Vertragsverhandlungs- und Unterzeichnungsprozessen von SpringCM die Basis für DocuSign CLM. Dieses ist wiederum ein wesentlicher Bestandteil der letzten Herbst vorgestellten Agreement Cloud, über die Firmen ihren gesamten Vertragsbestand verwalten können.
Hinzugekommen ist dieses Jahr außerdem die Übernahme Seal Software und deren Plattform für KI-basierte Vertragsanalyse, sowie erst letzte Woche LiveOak. Letztere betreibt eine Plattform der höchsten Sicherheitsstufe, über die virtuelle Vertragsverhandlungen inklusive notarieller Beglaubigung von Verträgen möglich sind. „Wir möchten Unternehmen die Möglichkeit bieten, den gesamten Verhandlungsprozess und den Lebenszyklus auf einer homogenen Plattform zu betreuen“, bestätigt Daniela Becker.
Künstliche Intelligenz soll den großen Mehrwert liefern
Die Verknüpfung von Vertragsklauseln und deren Erfüllung mit großen Unternehmensanwendungen wie Warenwirtschaftssystemen (ERP), dem Kundenmanagement (CRM) oder der Personalverwaltung hat das Potenzial, Geschäftsprozesse viel mehr als bisher zu automatisieren. Vor allem aber dem Bereich Vertragsanalyse mittels Künstlicher Intelligenz wird große Bedeutung beigemessen. Diese soll die Ermittlung von Abhängigkeiten und Widersprüchen zwischen den Verträgen eines Unternehmens vereinfachen, die Konsequenzen von Gesetzesänderungen transparenter machen und Vertragsverhandlungen vereinfachen.
„In einem typischen Vertrag wird in etwa 10 Prozent des Textes beschrieben, was innerhalb einer Geschäftsbeziehung passieren soll, und in 90 Prozent der Textes werden Verantwortlichkeiten zugewiesen für den Fall, dass etwas schief geht“, sagt Forrester. Das bedeutet, dass in jedem Vertragsportfolio der größte Teil der Texte sich auf die Risiken, Verpflichtungen und Chancen beziehen, die mit der Geschäftsbeziehung zusammenhängen. KI-Tools, die dank Künstlicher Intelligenz Rechtstexte semantisch analysieren können, sind in der Lage, Inkonsistenzen, nachteilige Klauseln oder versteckte Risiken im Vertragstext aufspüren – was im Klartext bedeutet, dass die Arbeit echter (menschlicher) Juristen rationalisiert und beschleunigt werden kann.
Ich habe nach weiteren Informationen zu Digitalisierung von Verträgen gesucht. Ich bin stecken geblieben und habe nicht verstanden, wie und was. Aber jetzt verstehe ich alles besser.
Ich frage mich, wie üblich es geworden ist, einen Vertrag für Geschäftsführer digital erstellen zu lassen? Dass es sowas wie Contract Lifecycle Management gibt, wusste ich gar nicht. Der Vorteil von digitalen Verträgen sollte doch den Nachteilen überwiegen, oder?