Digitalisierung in Deutschland: Stand der Dinge
Gemessen am Anspruch eines hoch industrialisierten Exportweltmeisters fällt die Bilanz für 2018 eher durchwachsen aus. Verschiedene Studien liefern Hinweise dafür, wie weit die Unternehmen letztes Jahr mit der Digitalisierung gekommen sind.
Die gute Nachricht zuerst: Im Vergleich zu den Jahren davor hat die Digitalisierung in Deutschland an Tempo zugelegt. Die digitale Transformation ist endgültig in den Chefetagen angekommen und die Budgets steigen, insbesondere für Investitionen in neue IT-Infrastruktur und Anwendungen sowie für die Einstellung neuer Fachkräfte. Auch Geschäftsprozesse werden mit Hochdruck digitalisiert und intern werden neue Strukturen gezogen.
Doch das Resultat dieser Anstrengungen ist den digitalen Antreibern nicht gut genug. Die Befragten der 108 Firmen aus dem deutschsprachigen Raum in einer aktuellen Studie des IT-Dienstleisters Capgemini schätzen den bisherigen Erfolg als mittelmäßig ein. Vermutlich weil gerade die in der Digitalisierung fortgeschrittenen Großunternehmen wissen, dass hier Gefahr im Verzug ist. „Diese Unternehmen müssen sich mit Konkurrenten weltweit messen und stehen nicht selten im Wettbewerb mit branchenfremden Technologiekonzernen“, sagen die Autoren der Capgemini-Studie. Sie erwarten, dass „sich der internationale Wettbewerb durch den Einsatz intelligenter Technologien in den nächsten drei Jahren erheblich verschärfen wird“.
Digitalisierung fängt beim Mitarbeiter an
Bei den bisherigen Aktivitäten dominierten die Veränderungen in den internen Strukturen, die Digitalisierung und Automatisierung von Geschäftsprozessen, die Einstellung neuer Fachkräfte sowie die Weiterentwicklung der eigenen Mitarbeiter. Als wichtigste Maßnahme nannten die Teilnehmer der Capgemini-Studie den Aufbau interdisziplinärer Teams, bestehend aus Mitarbeitern der IT und anderen Fachabteilungen. IT-Know-how wird auf diese Weise in die Fachabteilungen transferiert. Das ist zugleich die Maßnahme, die laut Capgemini-Studie bislang die positivsten Effekte hervorgebracht hat (siehe Grafik).
Auch eine Studie des ERP-Anbieters Step Ahead bestätigt die Wirksamkeit eines integrativen Ansatzes. Die IT ist zwar nach wie vor die treibende Kraft in den Unternehmen, doch die Digitalisierung ist kein ein reines IT-Thema. „Die Transformation betrifft die gesamte Kundeninteraktion, jeden Unternehmensprozess, jeden Mitarbeiter und jedes Geschäftsmodell“, sagt Wolfgang Reichenbach, Vorstand der Step Ahead AG.
Die auf mittelständische Unternehmen fokussierte Studie von Step Ahead hat ihre Ergebnisse nach Branchen aufgeschlüsselt und sieht in allen Disziplinen die IT-Branche vorn, insbesondere aber bei der Veränderung der Firmenkultur und der Mitarbeiterentwicklung. Etwa 84 Prozent der vom Hersteller befragten IT-Firmen gaben an, ihre Belegschaft gut bzw. eher gut für ihre Digitalisierungsstrategie qualifiziert und gezielt weitergebildet zu haben. Beim Technischen Handel bzw. Maschinenhandel konnte nur knapp die Hälfte der Firmen diese Aussage treffen, in der Fertigungsbranche nur ein Drittel.
Automatisierte Prozesse und Outsourcing machen Ressourcen frei
Bei der Digitalisierung interner Prozesse haben die IT-Abteilungen die Nase vorn. Die steigende Komplexität der IT-Landschaft zwingt förmlich drei Viertel der Unternehmen dazu, auf höhere Automatisierung zu setzen. Die Befragten der Capgemini-Studie bestätigten steigende IT-Budgets. Knapp die Hälfte der Befragten nutzen das Geld, um neue Mitarbeiter einzustellen, Externe zu verpflichten oder Teile der IT auszulagern.
Seine IT vollständig outgesourct hat allerdings laut Step Ahead nur jedes zehnte Unternehmen. Die Autoren der Studie sehen darin eine vertane Chance, denn das zwinge die IT-Fachkräfte, zu viel Zeit mit Administration und Aufrechterhaltung des eigenen IT-Betriebs verbringen. „Heute kommt es eher darauf an, strategisch zu denken und die IT als Wettbewerbsfaktor und Enabler für neue Business-Chancen zu sehen“, sagt Step-Ahead-Vorstand Wolfgang Reichenbach.
Collaboration- und Workflow-Lösungen sind beliebt
Auch eine Studie der Hochschule der Medien Stuttgart (HdM) und dem Fachportal SharePoint360.de sieht die IT als Pionier in Sachen Prozessautomatisierung mit einer Nutzungsquote von 74 Prozent, wobei andere Geschäftsbereiche stark aufholen. Demnach steigt der Einsatz von Automatisierung vor allem im Personalwesen (aktuell bei 41 Prozent), im Finanzwesen (39 Prozent) sowie in kundenorientierten Bereichen wie Service (33 Prozent), Marketing (29 Prozent) und Vertrieb (28 Prozent). In der Gesamtbetrachtung ist Prozessautomatisierung bereits bei einem Drittel der Unternehmen im Einsatz.
Außerhalb der IT setzen die Firmen auf Collaboration-Lösungen (59 Prozent) oder auf Software, die Abläufe (Workflows) automatisiert (53 Prozent). Laut HdM-Studie ist Microsoft SharePoint bei 55 Prozent der befragten Unternehmen für die Automatisierung von Geschäftsprozessen im Einsatz, mit den Workflow-Tools von SharePoint sind allerdings nur 11 Prozent zufrieden. Die Schwächen von SharePoint schließen in solchen Fällen Spezialanbieter wie Nintex, einer der Sponsoren der HdM-Studie, die mit ihren Tools einen wesentlich höheren Grad an Workflow-Automatisierung realisieren.
Noch zaghaft beim Einsatz von Zukunftstechnologien
Bei der Adoption neuer Technologien sind Unternehmen größtenteils damit beschäftigt, ihre Datenbestände zu konsolidieren, um den Weg für eine breit angelegte Datenanalyse sowie für Zukunftstechnologien wie Machine Learning, Bilderkennung, Natural Language Processing oder Künstliche Intelligenz frei zu machen. Rund 70 Prozent der von Capgemini befragten Firmen setzen solche Technologien bereits ein, mehr als 50 Prozent allerdings nur in geringem Umfang. Zu den knapp 19 Prozent intensiver Nutzer gehören vor allem Konzerne und größere Mittelständler.
Ob solche fortgeschrittenen Technologien aber tatsächlich eingesetzt werden, hängt laut Capgemini von der Einstellung der Fachabteilungen ab. Momentan sehen letztere darin vor allem Möglichkeiten, von Menschen durchgeführte Arbeiten zu automatisieren oder das Verhalten von Kunden, von Maschinen oder des Marktes zu analysieren. Dazu gehören die Unterstützung des Kundendialogs, die Abgabe von Empfehlungen oder die Überwachung des Tagesgeschäfts. Komplexere Einsatzszenarien, die auch neue Geschäftsmodelle hervorbringen könnten, werden heute nur von den wenigsten gewagt.