Digitalisierung im Mittelstand ist eine Typfrage
Zu welcher Unternehmensgattung zählt Ihr mittelständischer Betrieb? Denn je nachdem, ob es sich um eine traditionelle oder disruptive Firma handelt, drängen sich unterschiedliche Maßnahmen für die digitale Zukunft auf.
Bis 2025 werden 60 Prozent der Mittelständler untergehen, weil sie es verpasst haben, die Segel im „digitalen Sturm“ richtig zu setzen – lautet eine steile These des Marktforschungsinstituts Gartner. „Richtig“ hieße: Sie blicken in die Zukunft, statt sich mit der Bestandswahrung interner Strukturen aufzuhalten.
Von Kreuzfahrtschiffen bis wendigen Speedbooten – Mittelständler liegen vor Anker und kommen nicht vorwärts.
Dass sich Unternehmen verfahren haben, merken sie erst, wenn eine Krise droht und sie sozusagen die erste Windböe erreicht. Dann fällt auf, dass sie sich zu wenig über neue Technologien informiert und Mitarbeiter dem Status-quo überlassen haben. Wenn man bedenkt, dass laut Gartner 95 Prozent aller Unternehmen dem Mittelstand zuzuordnen sind und diese 70 Prozent aller Angestellten auf sich vereinen, kommt der Wirtschaft in den kommenden Jahren ein Großteil ihrer Flotte abhanden.
Wie können mittelständische Betriebe auf Kurs bleiben?
Während digitale Giganten wie Amazon, Apple oder Google digitale Ökosysteme etablieren und damit als eine Art Kreuzfahrtschiff über die Wirtschaftswelt schippern, auf dem auch Passagiere mit eigenem Angebot Platz nehmen, und Startups als wendige Speedboote daherkommen, den Blick ausschließlich nach vorn, tragen kleinere Unternehmen schwer an ihrem Anker, der ihnen Halt gab und jetzt die Weiterfahrt verhindert. Wie man diese Ketten sprengt, hängt von vielen Faktoren ab. Einer davon: Der Betriebstypus.
In einem Vortrag auf einem Gartner Summit in München teilte der Marktforscher Christian Hestermann den Mittelstand in vier Typen ein – je nachdem, welcher Branche ein Unternehmen angehört, welche Produkte und Services es verkauft und wie existenziell es ist, in ihrem Industriezweig digital zu werden. Wenn sich Unternehmen dessen bewusst würden, sei ein wichtiger Schritt getan, um für die Zukunft digital planen zu können.
Die Traditionalisten: Sie arbeiten in einem wenig technischen Umfeld, neue Technologien beeinflussen ihre Prozesse nur langsam und die Priorität liegt eher darin, die Prozesse etappenweise digital zu optimieren. Neue Geschäftsmodelle auf der Basis der Digitalisierung zu entwickeln ist sekundär. Der Druck, digitalisieren zu müssen, ist (noch) nicht so hoch, was aber nicht heißt, dass sie sich mit dem Wandel nicht auseinandersetzen müssen.
Die Reformer: Reformern ist bewusst, dass die Zeit drängt, auch wenn die eigenen Prozesse nicht bedingungslos von neuen Technologien abhängen. Auch sie sind eher auf die digitale Optimierung statt Erneuerung aus, doch nicht, ohne einen Blick auf technologische Optionen zu werfen. Mit Startups zu kooperieren, um deren Denkweise zu lernen oder von der Zusammenarbeit mit Branchenpartnern zu profitieren, die nicht Konkurrenten sind, gibt Reformern den nötigen Input für die Transformation.
Die Evolutionisten: Digitale Technologien sind ein wesentlicher Bestandteil bestehender und zukünftiger Geschäftsmodelle für Unternehmen dieses Typs. Die Technik wird aber nicht unbedingt aus eigenen Mitteln gestemmt, sondern stammt aus der Kooperation mit Partnern eines digitalen Ökosystems, an das sie angedockt haben. Weil Evolutionisten keinen massiven Zeitdruck spüren, können sie sogar daran arbeiten, in einem kleineren Ökosystem ein Führungsrolle zu übernehmen (Leadership) und die Plattform nach ihren Plänen zu formen. Dafür benötigen sie allerdings jemanden, der kontinuierlich die Optionen auslotet.
Die Disrupter (Umwälzer): Sie arbeiten in Branchen des schnellen Wandels (Beispiel: Telemedizin) und brauchen eine Start-up-Mentalität, um auf dem Markt bestehen zu können. Sie müssen neue Technologien ständig im Blick haben und für ihre Geschäftsmodelle evaluieren. Mitarbeiter mit digitalen Skills sind hier unbedingt gefragt.
Die entscheidende Frage: In welche Richtung soll es gehen?
Der Erfolgsfaktor „Mittelstands-Typ“ ist demnach kein selbstgewählter Status, sondern wird durch wirtschaftliche Umstände mehr oder weniger vorgegeben. Die jeweiligen Wesenszüge können aber eine Orientierungshilfe dafür sein, wohin man sich entwickeln möchte. Andere von Gartner definierte Faktoren für eine erfolgversprechende Transformation können Mittelständler durchaus beeinflussen, womit man wieder bei den richtig gesetzten Segeln landet:
- Fokus auf die einzelnen Geschäftsbereiche
- Andocken an digitale Ökosysteme
Bei ersterem geht es darum, die richtigen Weichen zur gegebenen Zeit zu stellen. Denn Geschäftsmodelle zu digitalisieren oder neue aufzutun, digitale Angebote für Kunden entwickeln (Customer Experience!), die eigene IT auf Vordermann zu bringen und neue Technologien (Künstliche Intelligenz, Machine Learning, IoT) zu evaluieren sind Mammutaufgaben, oftmals mit ordentlich viel Gegenwind von innen.
Führe, bündele Kräfte oder stirb, so die plakative, aber eindeutige Botschaft.
Und beim Faktor Ökosysteme müssen alle Mittelstandstypen aufhorchen. Die Plattformen spielen eine große Rolle, denn Ideen kleiner Firmen können noch so gut sein; wenn einer der digitalen Giganten eine ähnliche hat, oder die Konkurrenz sich von Beginn an mit einem Partnernetz verknüpft, wird es schwer, sich zu etablieren, solange man alleine dasteht. Führe, bündele Kräfte oder stirb, lautet die Botschaft der Marktforscher plakativ. Kaum ein mittelständischer Betrieb schafft es aus eigener Kraft, weil Budget und Personal fehlen.
Die Empfehlung lautet aber auch: Erst denken, dann handeln. Sich irgend einer Plattform anzuschließen und dann sehen, was passiert, macht wenig Sinn. Wichtig sei, die Allianz mit den richtigen Partnern einzugehen. Denn was nutzt es, an eine Logistikplattform anzudocken, wenn man vordergründig einen digitalen Marktplatz sucht?