Anwerbung von Fachkräften: Was am besten funktioniert
Der Fachkräftemangel zwingt Unternehmen dazu, beim Recruiting neue Wege zu beschreiten – und nicht nur da. Angesagt ist auch eine neue Haltung und Maßnahmen gegenüber den eigenen Angestellten, um sie von einem Wechsel abzuhalten.
Drei von vier Unternehmen in Deutschland werden derzeit vom Fachkräftemangel ausgebremst. Anfang 2019 gab es nach Statistiken des Instituts für Arbeitsmarkt und Berufsforschung (IAB) in Deutschland 1,5 Millionen Stellen zu besetzen. Und laut einer Studie des Kompetenzzentrums Fachkräftesicherung (KOFA) im Institut der Deutschen Wirtschaft fehlen jedem dritten Unternehmen Fachkräfte gleich in mehreren Bereichen, weitere 7 Prozent bezeichnen den Personalmangel inzwischen als „existenziell“.
Das Problem wird der Industrie noch eine ganze Weile erhalten bleiben. Die Entwicklung von Weiterbildungs- und Umschulungsmaßnahmen für die existierende Belegschaft ist ein langwieriger Prozess, der erst dann zum Tragen kommt, wenn die Firmen mit ihrer Digitalisierungsstrategie so weit fortgeschritten sind, dass sie ihren künftigen Stellenbedarf qualitativ und quantitativ artikulieren können. Die Anstellung neuer Fachkräfte bleibt für die meisten trotzdem zwingend, denn es handelt sich dabei um Stellen mit Jobprofilen, zu welchen man bis dahin überhaupt keinen Bezug hatte. Meistens geht es dabei um IT- und Datenexperten.
Was also ist zu tun?
Unter Mitwirkung der Jobbörse Indeed und der Zeitschrift Personalwirtschaft versucht die KOFA-Studie das Problem zu analysieren und Auswege zu skizzieren. Erste Erkenntnisse liefert die Analyse des Klickverhaltens der Besucher der Stellenbörse von Indeed. Aufgeschlüsselt nach sieben Jobprofilen wurde ausgewertet, wo in Deutschland Unternehmen nach Mitarbeiter*innen suchen und wo Jobsuchende gern arbeiten würden.
Erwartungsgemäß sind Angebot und Nachfrage regional sehr unterschiedlich ausgeprägt. Nach Klicks pro Anzeige ausgewertet weist Berlin nur 54 Prozent des durchschnittlichen Bewerberaufkommens pro Stelle auf, also den niedrigsten Wert, das Saarland mit 226 Prozent den höchsten (siehe Grafik oben). Dennoch sind die Chancen, in Städten wie Berlin oder Hamburg Fachpersonal zu finden, nicht ganz so schlecht wie man auf den ersten Blick meinen könnte.
Die Jobs zu den Bewerbern bringen
Denn zum einen sind diese Städte generell mit Fachkräften gut bestückt, zum anderen weisen die Firmen eine höhere Fluktuation auf. Die mittlere Verweildauer nm selben Job liegt in Berlin bei 23 Monaten, im Saarland bei 40 Monaten. Außerdem suchen die in den Städten ansässigen Firmen ihr Personal viel eher über Online-Anzeigen als solche in ländlichen Regionen. Auch die in den Städten ansässigen Unternehmen häufiger überregional weil sie wissen, dass sie die Kandidat*innen in die Städte locken könnten.
Eine erste Empfehlung der Studie lautet deswegen, wenn möglich über die Eröffnung neuer Standorte in Regionen nachzudenken, in welchen das Fachkräfteaufkommen relativ hoch ist. Das mag eine Maßnahme sein, die nicht für allzu viele Unternehmen in Frage kommt, doch für 73 Prozent der befragten Personalentscheider, die diesen Weg gehen konnten, war sie sehr erfolgreich.
Langfristig und strategisch planen
Was Unternehmen aber auf jeden Fall brauchen, ist eine strategische Personalplanung. Deren Effektivität und Vorteile sind bei praktisch jedem Aspekt der Studie nachzuvollziehen, dennoch können nur 46 Prozent der befragten Firmen damit aufwarten. Am besten aufgestellt sind in dieser Hinsicht der gehobene Mittelstand (ab 250 Mitarbeiter) sowie Großunternehmen.
„Unternehmen mit einer strategischen Personalplanung scheinen einen besseren Überblick über ihre zukünftig benötigten Kompetenzen zu haben“, heißt es in der Studie. Sie wüssten eher, welche Kompetenzen in Zukunft benötigt werden, und diese helfe ihnen, geeignete Kandidat*innen eigenständig zu rekrutieren, indem sie häufiger selbst auf Kandidat*innen zugehen. Außerdem hätten sie Vorteile, was die Weiterentwicklung der eigenen Mitarbeiter betrifft. Laut Studie liegt letzteres vor allem daran, dass Unternehmen mit strategischer Personalplanung die zukünftigen Bedarfe eher kennen und somit ihr Personal zielgerichteter entwickeln können.
Anreize für „Engpass-Talente“
Bei besonders nachgefragten Jobprofilen sollten sich Unternehmen auch besondere Anreize einfallen lassen, empfiehlt die Studie. Viele Firmen hätten Leistungen wie Work-Life-Balance, flexible Arbeitszeiten oder Homeoffice-Möglichkeiten anzubieten, oder es gibt für Kandidat*innen besondere finanzielle Anreize wie die Übernahme von Umzugskosten, kommunizieren sie aber bei der Personalsuche nicht besonders offen. Hinweise auf solche Leistungen und Anreize finden sich in nur 8 Prozent aller Online-Stellenanzeigen auf Indeed. Stattdessen werden solche Leistungen von 41 Prozent der befragten Unternehmen lieber in einem ersten persönlichen Gespräch erwähnt, von weiteren 20 Prozent in einem Folgegespräch und von 13 Prozent nur auf Anfrage.
Eine weitere Empfehlung besteht darin, die Personalsuche auf einer möglichst breiten Basis aufzustellen, angefangen mit dem sogenannten „Active Sourcing“, also der proaktiven Ansprache von Kandidat*innen. Das praktizieren bereits 52 Prozent aller Unternehmen, bei KMUs ist das sogar der zweithäufigste Recruiting-Weg. Ebenfalls von jedem zweiten Unternehmen angewandt sind Kooperationen mit Hochschulen.
Employer Branding – nicht nur für Bewerber*innen
Nur jedes vierte Unternehmen nutzt hingegen das sogenannte „Employer Branding“, sprich den gezielten Aufbau einer eigenen Marke als attraktiver Arbeitgeber. Gute Beurteilungen in Portalen wie Kununu gehören dazu, ebenso wie eine gute Darstellung des Unternehmens in berufsrelevanten sozialen Netzwerken wie Xing oder LinkedIn.
Mit „Talent Relationship Management“ kommt eine neue Komponente ins Spiel, nach der vielversprechende Kandidat*innen und talentierte Mitarbeiter*innen langfristig an das Unternehmen gebunden werden sollen. Massnahmen in diesem Kontext umfassen den gesamten Prozess vom ersten Kontakt mit dem/r Bewerber*in über differenzierte Bindungsmaßnahmen bis hin zu Recruiting und Einarbeitung. Jedes zweite Unternehmen will laut Studie in diese Richtung aktiv werden, denn die Vorteile dieser Methode beziehen sich nicht allen auf künftige Mitarbeiter*innen, sondern auch auf aktuelle.
Das Halten von einmal akquirierten Fachkräften ist angesichts des Mangels und der Abwerbungsversuche der Konkurrenz zur Top-Priorität geworden. Um Knowhow-Träger und deren Erfahrungsschatz dem Unternehmen zu erhalten, braucht es neben guter Personalführung auf der fachlichen Seite und Standards wie Homeoffice oder flexible Arbeitszeiten auch regelmäßige Mitarbeitergespräche, Weiterbildungsmöglichkeiten sowie Perspektiven für die weitere Karriereentwicklung im Unternehmen.