Ringen mit dem Wandel: Die Arbeitswelt nach Corona

Was passiert mit einer Arbeitswelt, die innerhalb weniger Monate einige Jahre linearer Entwicklung überspringt? Noch dazu einer Entwicklung, die vor Corona mit Attributen wie „rasant“ oder „revolutionär“ beschrieben wurde? 

Der erste Schock ist verdaut, nun werden die Folgen betrachtet, es wird nachgedacht und es werden Konsequenzen gezogen. Nach der allgemeinen Verwirrung im März und der darauffolgenden Erleichterung, dass irgendwie doch alles funktioniert, macht sich langsam etwas digitale Erschöpfung breit. 

Das Plus an Produktivität im Homeoffice hat seinen Preis.

Beispiel digitale Kommunikation: Waren die meisten Arbeitenden im April noch froh, dass es Tools wie Microsoft Teams oder Zoom überhaupt gibt, schlägt das Pendel jetzt in die andere Richtung aus. Das Wall Street Journal berichtet davon, dass immer mehr Firmen ihre Angestellten zwischendurch von ihrer digitalen Präsenzpflicht befreien, so dass sie an bestimmten Tagen keine Videokonferenzen wahrnehmen müssen.

Wann ist Feierabend im Homeoffice?

Auch die Schattenseiten des Homeoffice machen sich langsam bemerkbar. Wenn das eigene Zuhause gleichzeitig die Arbeitsstätte ist, fällt es vielen schwer, sie auch mal zu verlassen. Das Notebook, ganz egal ob am Schreibtisch oder auf der Couch, wird bei vielen so sehr zum Dauerbegleiter, dass Abgeordnete des EU-Parlaments nun ein „Recht auf Abschalten“ fordern. Wie in Frankreich bereits gesetzlich geregelt, sollen Arbeitnehmer*innen das Recht bekommen, sich abends und am Wochenende der Mails ihres arbeitswütigen Chefs entziehen zu können.

Der Schwenk zum Homeoffice und digitale Technologien sorgen laut einer neuen Studie des Personaldienstleisters Hays für eine höhere Produktivität – das bestätigten etwa bei 57 Prozent der über 1.000 befragten Wissensarbeiter. Doch für ebensoviele gehen die Produktivitätsgewinne mit einem erhöhten Leistungsdruck und einer stärkeren Arbeitsbelastung einher. Hinzu kommen laut Studie die vielfältigen Herausforderungen einer Arbeitswelt, die von Unbeständigkeit, Unsicherheit, Komplexität und Unklarheit (volatility, uncertainty, complexity and ambiguity = VUCA) geprägt ist. Laut Hays ist diese Stimmung bei nahezu allen befragten Wissensarbeitern zu spüren.

Freiberufler sind die Härte gewohnt 

Jüngere Arbeitende und Freiberufler scheinen nach ersten Erkenntnissen mit der digitalen Arbeitswelt besser umgehen zu können. Beispielsweise fällt Freiberuflern im Vergleich zu festangestellten Führungskräften der Umgang mit der zunehmenden Verdichtung der Arbeit weniger schwer (43 zu 68 Prozent). Ähnlich ist es auch mit den kurzen Planungshorizonten (40 zu 60 Prozent), der Komplexität (35 zu 62 Prozent) und der Ungewissheit über den richtigen Weg (36 zu 54 Prozent).

Die Hays-Umfrage bringt auch das Auseinanderdriften der Arbeitswelten von Freiberuflern und Festangestellten zutage, das sich dank Corona die nächste Zeit wohl noch beschleunigen dürfte. So setzen drei von vier Freiberuflern beispielsweise auf den Austausch in fachlichen Netzwerken und auf Weiterbildung, um mit Veränderungen in ihrem Arbeitsumfeld fertig zu werden, während jeder zweite Festangestellte sich lieber ins Private zurückzieht. Weiterbildung spielt hingegen in diesem Kontext nur bei 41 Prozent der Festangestellten eine wichtige Rolle.

Alt-jung-Gefälle 

Eine repräsentative Umfrage von Kantar im Auftrag der Digitalagentur Hirschtec zeigt, dass auch Alter und Schulbildung eine wesentliche Rolle bei der Anpassung an die neue digitale Normalität spielen. Beispiel Kommunikation: Fast die Hälfte der Berufstätigen unter 40 Jahren nutzt Chat-Dienste für den direkten internen Austausch, bei höheren Altersklassen ist es im Durchschnitt nur jeder vierte. Dafür bevorzugen letztere die gute alte E-Mail.

An Herausforderungen mangelt es der digitalen Arbeitswelt nicht gerade. (Quelle: Hays)
An Herausforderungen mangelt es der digitalen Arbeitswelt nicht gerade. (Quelle: Hays)

Gefragt nach der langfristigen Produktivitätssteigerung durch digitale Tools (z.B. Intranet, virtuelle Arbeitsräume, digitaler Dateiaustausch), zeigt sich: Während fast zwei Drittel (62 Prozent) der Unter-40-jährigen Berufstätigen bejahen, dass digitale Tools sie auch langfristig produktiver arbeiten lassen, ist es bei den älteren nicht einmal die Hälfte. Und: Je höher das Bildungsniveau, desto eher sind die Befragten überzeugt von dem nachhaltigen Nutzen solcher digitalen Werkzeuge (Abi/Uni-Abschluss: 62 Prozent, mittlerer Bildungsabschluss: 55 Prozent, Volks-/Hauptschulabschluss: 36 Prozent).

Unterstützung dringend benötigt

Die Umfragen machen deutlich, dass viele Arbeitende noch etwas Hilfe in Sachen Digitalisierung des Arbeitsumfeldes gebrauchen könnten – sowohl in Form von Beratung als auch durch gesetzliche Rahmenbedingungen. Letzteres versucht Arbeitsminister Hubertus Heil mit seinem aktuellen Vorschlag, ein Recht auf Homeoffice für ein bis zwei Tage pro Woche einzuführen. Die Regelung soll allerdings auch mit entsprechenden Klauseln verhindern, dass „sich die Arbeit zu sehr ins Private frisst“, wie er neulich in einem ‚Bild‘-Interview sagte. Auch im Homeoffice solle es schließlich einen Feierabend geben, „und zwar nicht erst um 22 Uhr“.

Freiberufler gehen mit den Herausforderungen offensiver um als Festangestellte. (Quelle: Hays)
Freiberufler gehen mit den Herausforderungen offensiver um als Festangestellte. (Quelle: Hays)

Auch eine Enquetekommission des Landtages von Nordrhein-Westfalen stößt mit ihren Empfehlungen ins gleiche Horn. Homeoffice und mobiles Arbeiten soll durch Betriebsvereinbarungen gefördert werden, heißt es im Abschlussbericht (PDF). Eine Ablehnung von Homeoffice durch den Arbeitgeber sollte hingegen schlüssig begründet und anfechtbar sein. Zudem sollten steuerliche Anreize für mobiles Arbeiten geschaffen werden. Hinsichtlich Flexibilisierung der Arbeitszeiten zieht die Kommission eine Umstellung von der täglichen auf eine wöchentliche Arbeitszeit in Betracht.

Eine interessante Idee der Kommission besteht im Vorschlag zur Einrichtung kommunaler Coworking Spaces, um Familie und Beruf besser vereinbaren zu können. Diese von Kommunen betriebene Einrichtungen, idealerweise mit angeschlossener Kinderbetreuung, sollen Beschäftigte verschiedener Unternehmen nutzen können.

„Die Zeichen der Zeit erkannt“ 

Seitens der Arbeitgeber herrscht zumindest Einsicht, dass einiges passieren muss. „Die Zeichen der Zeit sind in den Unternehmen erkannt worden“, sagt Prof. Sascha Stowasser, Direktor des arbeitgebernahen Instituts für angewandte Arbeitswissenschaft (ifaa). Mobile Arbeit und Homeoffice hätten durch die Corona-Krise einen enormen Schub bekommen und Unternehmen seien von jetzt auf gleich gezwungen worden, sich anzupassen und digital aufzurüsten. 

„Die Krise hat gezeigt, wie flexibel Unternehmen und Beschäftigte sein können, wenn es drauf ankommt. Daran müssen wir anknüpfen“, so Stowasser. Nun sei mehr Flexibilität ist von allen betrieblichen Akteuren hinsichtlich Arbeitszeit und -ort gefordert, bei sich gleichzeitig weiterentwickelnden Strukturen und Abläufen in den Betrieben.

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