Hybrid Work hat als stressmindernde Maßnahme versagt
Während positive Begriffe wie New Work oder Work-Life-Balance den Diskurs über die neue Arbeitswelt dominieren, ist die gelebte Realität eines Großteils der Arbeitenden von Stress gekennzeichnet.
Eigentlich sollte Hybrid Work, sprich die freie Einteilung der Arbeitszeit zwischen Homeoffice und Präsenzzeiten im Büro, für mehr Ausgewogenheit und Wohlbefinden bei den Arbeitenden sorgen. Doch davon ist momentan nicht viel zu sehen. Stattdessen haben wir es seit Corona mit einem kontinuierlich steigenden Erfolgsdruck am Arbeitsplatz, mit mehr Stress und mit einer Wechselwilligkeit auf Rekordhöhe zu tun.
Vor allem Berufsanfänger sind von Stress am Arbeitsplatz betroffen.
Dass es mit dem Wohlbefinden der Arbeitenden momentan nicht besonders gut bestellt ist, bestätigt auch eine internationale Studie von Wellhub. Demnach gibt fast die Hälfte aller befragten Mitarbeitenden (47 Prozent) an, dass Arbeitsstress ihre psychische Gesundheit aktiv beeinträchtigt. Bei 48 Prozent der Befragten in Deutschland wirkt sich schlechter Schlaf besonders negativ auf ihre psychische Gesundheit aus, 43 Prozent machen sich Sorgen wegen der Inflation und 42 Prozent klagen über Stress im Beruf.
Jeder zweite Zoomer in Therapie
Von Letzterem am schwersten betroffen sind Berufsanfänger. So leiden bei der Generation Z (geboren ab Mitte der Neunzigerjahre) 54 Prozent unter beruflichem Stress, während bei den Millennials (geboren ab Anfang der Achtziger) dieser Wert bei 49 Prozent und bei der Generation X (ab Mitte der Sechziger) bei 48 Prozent liegt. Bei den Babyboomern ist hingegen die Inflation der Hauptsorgenbereiter (42 Prozent), während die meisten (62 Prozent) das eigene Wohlbefinden als gut beurteilen.
Weltweit betrachtet gibt jeder zweite Befragte der Generation Z an, eine Therapie zu machen. Das ist bei der Generation X und bei den Babyboomern nur bei jedem Vierten der Fall. Überhaupt scheint beim Thema Therapie generationsbedingt eine radikal unterschiedliche Sichtweise vorzuherrschen. So hält fast jeder dritte Babyboomer (29 Prozent) eine Therapie für sein persönliches Wohlbefinden für überflüssig, während bei der Generation Z dieser Wert nur bei 3 Prozent liegt. „Arbeitsbedingter Stress ist weltweit Ursache Nummer eins für die Verschlechterung der psychischen Gesundheit von Arbeitnehmern aller Generationen, und steht in engem Zusammenhang mit schlechtem Schlaf, der deutsche Arbeitnehmer ganz besonders stark umtreibt“, sagt Ferdinand Teuber, Head of Germany Corporate Business bei Wellhub (siehe auch Interview weiter unten).
Always On ist zur Selbstverständlichkeit geworden
Die aktuell unsicheren politisch-wirtschaftlichen Rahmenbedingungen mögen für den erhöhten Druck am Arbeitsplatz und den daraus resultierenden psychischen Stress mitverantwortlich sein, doch die Transformation, die die digitale Arbeitswelt seit Corona mitgemacht hat, ist als Stressfaktor auch nicht zu unterschätzen. Zweifellos hat Hybrid Work den meisten Arbeitnehmern ein Plus an Flexibilität gebracht, das von ihnen sehr geschätzt wird; doch die Nachteile und negativen Nebeneffekte der Flexibilisierung der Arbeit sind im öffentlichen Diskurs nicht sonderlich präsent.
„Die ständige Erreichbarkeit per Smartphone & Co. und die immer stärker verschwimmenden Grenzen zwischen Beruf und Privatleben haben sich mittlerweile wie selbstverständlich etabliert“, stellt die Kaufmännische Krankenkasse (KKH) in einer neueren Umfrage fest. „Vom Job über die Familie bis hin zu Freizeit und Sport: Ständig greifbar zu sein und Perfektes abzuliefern gilt als Inbegriff von Erfolg.“
Die „Produktivitätsparanoia“ misstrauischer Chefs setzt Arbeitende unter Dauerdruck.
Eine weitere Studie aus dem August 2024 weist außerdem auf die Technik als Stressfaktor bei Hybrid Work hin. Die vielen verschiedenen Anwendungen, die permanente Erreichbarkeit, die Müdigkeit durch übermäßig lange Bildschirmarbeit sowie die Angst, etwas zu verpassen, sorgen für psychischen Stress. Hinzu komme die „Produktivitätsparanoia“ misstrauischer Chefs, die Arbeitende gerne unter Dauerdruck setzen. Dass Menschen, die noch wenig Erfahrung in der Arbeitswelt haben, unter all dem besonders schwer leiden, ist nur eine logische Folge.
Hybrid Work kann das Betriebsklima vergiften
Laut Mark Mortensen, Professor für Organisationsverhalten an der Wirtschaftshochschule INSEAD (Institut Européen d’Administration des Affaires), kann Hybrid Work maßgeblich zur Verschlechterung des Betriebsklimas beitragen. In einem Artikel in der Harvard Business Review nennt er vier Gründe, die primär dafür verantwortlich sind.
- Räumliche Distanz verändert die Kommunikationsdynamik. Bei Gesprächen auf Plattformen wie Zoom oder Teams ist die Wahrscheinlichkeit größer, dass wir Dinge sagen, die verletzend sein könnten. Im Gegensatz dazu ist im persönlichen Gespräch der Gegenüber viel präsenter, so dass die meisten von uns die potenziellen Kosten einer verletzenden Äußerung erkennen und sich eher auf die Zunge beißen.
- Hybrid Work sorgt für Unausgewogenheit im Team. Mitarbeiter, die im Büro arbeiten, haben einen besseren Zugang zu Unternehmensressourcen und eine größere Sichtbarkeit beim Management. Das führt oft zu mehr Anerkennung und schnellerer Beförderung. Homeworker hingegen fühlen sich oft ausgegrenzt. Das führt zu Spannungen, Konflikten und zu einer steigenden Bereitschaft, das Unternehmen zu verlassen.
- Hybrid Work kann den Zusammenhalt und das gegenseitige Vertrauen beeinträchtigen. Durch die räumliche Distanz wird mit der Zeit die Beziehung zwischen den Teammitgliedern unverbindlicher und das gegenseitige Vertrauen geht verloren. Das führt dazu, dass einige Kollegen plötzlich nicht mehr zu „uns“, sondern zu „denen“ gehören – was es wiederum viel einfacher macht, sich ihnen gegenüber schlecht zu verhalten.
- Räumliche Distanz erschwert die Lösung von Problemen. Die geringere Zahl an persönlichen Gesprächen macht es schwieriger, Streitigkeiten (z.B. über schlechtes Verhalten) virtuell zu lösen. Persönliche Interaktionen hingegen geben uns eher die Chance, Differenzen zu beseitigen. Bleiben die Differenzen bestehen, behindern sie die Zusammenarbeit und beeinträchtigen die Produktivität und die Innovationsfähigkeit des Unternehmens.
Was können Unternehmen tun?
Die meisten Arbeitgeber haben mittlerweile das Problem erkannt, denn ihre Unternehmen haben zunehmend mit demotivierten Mitarbeitern, dysfunktionalen Teams, einem schlechteren Betriebsklima, einer höheren Fluktuation und einem schleichenden Kreativitätsschwund zu kämpfen. Doch da die meisten Firmen mit dem Versuch, ihre Mitarbeiter wieder ins Büro zu locken, gescheitert sind, bleibt ihnen nichts anderes übrig, als die Bindung zu ihren Angestellten durch gemeinsame Events und Erfahrungen zu stärken und ihnen zu helfen, ihre Stresssymptome zu bekämpfen.
Dazu tragen auch sogenannte Wellbeing-Angebote von Unternehmen wie Wellhub bei. Über die Ursachen und Wirkung von Stress am Arbeitsplatz sowie über die Wirksamkeit von Wellbeing-Programmen sprachen wir mit Ferdinand Teuber, dem Deutschland-Chef von Wellhub.
“Ein Zugehörigkeitsgefühl in der Belegschaft schaffen“
Interview mit: Ferdinand Teuber, Head of Germany Corporate Business bei Wellhub
Business User: Gibt es Erkenntnisse über die Ursachen der Unterschiede zwischen den Generationen? Warum leiden jüngere Menschen so viel mehr unter Stress am Arbeitsplatz?
Ferdinand Teuber: Der Wellhub-Report zeigt einen klaren Trend: Jüngere Generationen sind stärker von arbeitsbedingtem Stress betroffen. Auch wenn der Bericht nicht alle Besonderheiten des deutschen Marktes aufschlüsselt, lassen sich anhand unserer globalen Daten wertvolle Rückschlüsse für Deutschland ziehen. So geben 47 Prozent aller Beschäftigten an, dass Stress am Arbeitsplatz ihr psychisches Wohlbefinden beeinträchtigt und damit die Hauptursache für psychische Probleme ist. Bei der Gen Z sind es sogar 54 Prozent. Ihr Start ins Berufsleben findet in einer von wirtschaftlicher Unsicherheit geprägten Zeit statt. Das wiederum erzeugt Druck, sich in dieser dynamischen Arbeitswelt zurechtzufinden. In Deutschland wird diese Drohkulisse durch Ängste im Zusammenhang mit der Industrie 4.0 und mit der wahrgenommenen Konkurrenz durch KI noch weiter verstärkt.
Ältere Generationen mit etablierteren Karrieren und potenziell größerer finanzieller Sicherheit verspüren in dieser Beziehung weniger Druck. Der Bericht zeigt beispielsweise, dass nur 35 Prozent der Babyboomer Stress am Arbeitsplatz als ihre Hauptsorge nennen, verglichen mit 54 Prozent der Gen Z.
BU: Welchen Einfluss hat die Digitalisierung der Arbeit (mit ihren bekannten Begleiterscheinungen wie dem ständigen Versuch, das eigene Wissen auf dem neuesten Stand zu halten, der Einsamkeit im Homeoffice und dem Verlust der Loyalität gegenüber den Kollegen, der vermeintlichen Konkurrenz durch KI und den technologischen Fortschritt im Allgemeinen usw.) auf das Wohlbefinden der Arbeitnehmer?
Teuber: Die Digitalisierung krempelt die Arbeitswelt in einem noch nie dagewesenen Tempo um. Einerseits setzt sie ein unglaubliches Potenzial frei, andererseits bringt sie auch neue Herausforderungen für das Wohlbefinden der Arbeitnehmer mit sich. Wie unser Bericht zeigt, haben weltweit 25 Prozent der Arbeitnehmer mit Angstzuständen und Depressionen zu kämpfen. Dieser Wert repräsentiert einen deutlichen Anstieg gegenüber dem Niveau vor der Corona-Zeit. In Deutschland, wo die Digitalisierung ganze Branchen wie das produzierende Gewerbe und den Maschinenbau rasant verändert, kann der Druck, sich ständig anzupassen und weiterzubilden, immens sein. So entsteht ein Nährboden für Ängste wie die Sorge, überflüssig zu werden oder den Arbeitsplatz zu verlieren.
Darüber hinaus kann Remote Work zur sozialen Isolation beitragen – auch wenn diese Arbeitsform große Flexibilität verspricht. Darüber hinaus gibt es weitere Einflussfaktoren. Unserer Erhebung zufolge schlafen 71 Prozent der Arbeitnehmer weniger als die empfohlenen sieben Stunden pro Nacht, und ein Mangel an sozialen Kontakten kann diese Situation noch verschärfen. Gerade in einer Gesellschaft wie der deutschen, die stark individualistisch geprägt ist, sind die Unternehmen gefragt: Ihre Aufgabe ist es, den Team Spirit auch am digitalisierten Arbeitsplatz hochzuhalten und zu fördern.
BU: Konzentrieren sich die Unternehmen zu sehr auf den Mitarbeiter als Leistungsträger und ersetzen allzu leicht zwischenmenschliche Beziehungen durch monetäre Vorteile wie Wohlfühlpakete, wie sie Wellhub anbietet?
Teuber: Deutschland ist bekannt für seine Arbeitsmoral und den hohen Stellenwert von Produktivität – und das völlig zurecht. Wir müssen jedoch darauf achten, dass dieses Streben nach Topleistungen nicht auf Kosten des Wohlbefindens der Mitarbeiter geht. Der Wellhub-Bericht hat immerhin gezeigt, dass 83 Prozent der Arbeitnehmer eine Kündigung in Erwägung ziehen, wenn der eigene Arbeitgeber sich nicht um das Wohlbefinden seiner Mitarbeiter kümmert.
Das Angebot von Wohlfühlpaketen und Corporate Benefits geht zwar in die richtige Richtung, und der Bericht zeigt, dass Mitarbeiter, die Zugang zu solchen Programmen haben, über ein deutlich höheres Wohlbefinden berichten. Gleichzeitig gilt es zu betonen, dass diese Leistungen echte zwischenmenschliche Beziehungen und eine offene, empathische Unternehmenskultur keineswegs ersetzen können. Wir können nicht einfach Unsummen investieren und darauf warten, dass dieses Problem von allein verschwindet.
Die Unternehmen sollten stattdessen versuchen, zwischenmenschliche Beziehungen zu fördern, konkret die Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben. Hierzu zählt auch, ein Zugehörigkeitsgefühl in der Belegschaft zu schaffen. Dieser ganzheitliche Ansatz, der greifbare Vorteile mit einem echten Engagement für das Wohlbefinden der Mitarbeiter verbindet, ist entscheidend, um auf dem heutigen wettbewerbsintensiven Markt Spitzenkräfte zu gewinnen und zu halten.