Der Künstliche Kollege wird Realität – wie kommen wir mit ihm klar?
Der digitale Mitarbeiter hat sich bereits ins Unternehmen eingeschlichen, er gibt sich aber meistens nicht als solcher zu erkennen. Und er ist gerade dabei, Tätigkeiten grundlegend zu verändern und neue Jobprofile zu definieren.
1997 wurde erstmals ein amtierender Schachweltmeister, Garry Kasparov, von einem Computer geschlagen. Für Kasparov war die Niederlage mit der Einsicht verbunden, dass ein Mensch allein auf lange Sicht gegen die geballte Rechenkraft einer Maschine chancenlos ist. Warum sich also nicht mit der Maschine verbünden? Ein Jahr später stellte er mit „Advanced Chess“ eine neue Schachspiel-Variante vor, bei der die zwei menschlichen Spieler zwischen den Zügen einen Schachcomputer zu Rate ziehen dürfen. Es sollte sich bald herausstellen, dass – zumindest im Schach – ein Team aus Mensch und Maschine durch einen Computer allein kaum zu schlagen war.
Die digitale Arbeitswelt scheint sich diese Erkenntnis ebenfalls zu Herzen genommen zu haben und die Mensch/Maschine-Kombination kommt langsam in Fahrt. Laut einer weltweiten Umfrage von IDC im Auftrag von Abbyy, eines Herstellers von Software zur intelligenten Verarbeitung von Inhalten, machen sogenannte digitale Mitarbeiter bereits jetzt einen wachsenden Anteil der globalen Belegschaft aus. Dabei handelt es sich überwiegend um Software-Produkte, die Informationen aufbereiten, um Geschäftsprozesse zu automatisieren oder zu beschleunigen. Laut Umfrage wird schon heute die Informationsauswertung zu 13 Prozent einer Software überlassen. Weitere 15 Prozent fallen der Entscheidungsvorbereitung zu, Verwaltungsaufgaben werden zu 13 Prozent von Maschinen erledigt.
Große Veränderungen am Arbeitsplatz
Inhalts- und dokumentenlastige Geschäftsprozesse sowie repetitive Aufgaben eignen sich besonders für Automatisierung. Sie lassen sich in der Regel durch die intelligente Aufbereitung von Informationen (Content Intelligence) und die maschinelle Prozessautomatisierung (Robotic Process Automation, RPA) auf eine neue Basis stellen. Anwenderunternehmen können dadurch beispielsweise Kundenanfragen schneller bearbeiten und erhöhen die Kundenbindung, außerdem generieren sie oft neue Umsatzmöglichkeiten. IDC geht davon aus, dass der Markt für intelligente Prozessautomatisierung (IPA) von aktuell 13,1 Milliarden US-Dollar auf 20,7 Milliarden im Jahr 2023 wachsen wird.
Zugleich sieht IDC in den Ergebnissen eine Ankündigung grundlegender Veränderungen im Arbeitsleben, nämlich hin zu einer intensiven Zusammenarbeit zwischen Mensch und Maschine. „Eine wachsende Zahl von Mitarbeitern wird in Zukunft Seite an Seite mit einem digitalen Mitarbeiter tätig sein, da die Technologie viele Arbeitsabläufe automatisiert“, glaubt Holly Muscolino, Research Vice President bei IDC. Und dabei gehe es nicht nur um alltägliche, sich wiederholende Aufgaben.
Stochern im digitalen Nebel
Besonders die Künstliche Intelligenz sorgt laut IDC dafür, dass digitale Assistenten menschlichen Mitarbeitern helfen können, ihre Produktivität auf ein höheres Niveau zu heben. In den meisten Fällen würden diese Assistenzfunktionen eine Erweiterung der menschlichen Fähigkeiten darstellen, aber keinen Ersatz. „Die Zusammenarbeit zwischen Mensch und Maschine wird nicht nur den Arbeitsplatz der Zukunft definieren, sondern wird schon sehr bald der neue Status Quo für das leistungsstarke Unternehmen von heute sein“, sagt Holly Muscolino voraus.
Wie gut sind Unternehmen für diese neue Art der Zusammenarbeit eingerichtet? Laut der neuen Human Capital Trends Studie von Deloitte noch nicht besonders gut. Zwar setzt etwa jedes vierte der befragten Großunternehmen bereits RPA- oder Robotik-Produkte ein, jedes fünfte sogar Künstliche Intelligenz. Doch nur 6 Prozent von ihnen sind sich absolut im Klaren darüber, wie genau sich die Tätigkeitsprofile der eigenen Mitarbeiter verändern werden und welche Anforderungen in Sachen Fortbildung auf sie zukommen.
Was aber nicht bedeutet, dass die Firmen sich nicht, darauf vorbereiten, so gut es eben geht. Etwa die Hälfte der Befragten haben damit angefangen, bestehende Arbeitspraktiken zu modifizieren, um die Produktivität zu verbessern, und 36 Prozent „versuchen sich die Arbeit neu vorzustellen“. Die meisten erhöhen auch ihre Ausgaben für Fortbildung, 18 Prozent von ihnen sogar „signifikant“.
Aus „hybriden Jobs“ werden „Superjobs“
Routineaufgaben bleiben dabei für Menschen kaum noch übrig. „Wenn Jobs automatisiert werden, ist die Arbeit, die für den Menschen bleibt, in der Regel interpretativer und serviceorientierter“, schreiben die Autoren der Deloitte-Studie. Die Jobs würden sich auf Aufgaben wie Problemlösung, Dateninterpretation, Kommunikation, Kundenkontakt sowie Teamarbeit und Zusammenarbeit fokussieren. Allerdings beinhalten diese höherwertigen Jobs kaum feste Aufgaben, die sich in einer traditionellen Stellenbeschreibung festhalten ließen. Die Unternehmen seien vielmehr gezwungen, Positionen und Rollen zu schaffen, die um einiges flexibler definiert sind.
Diese Art „hybriden Stellen“ tragen in ihrer Bezeichnung meist einen Zusatz wie Manager, Designer, Architekt oder Analyst. Es handelt sich um die heute meistgesuchten und bestbezahlten Positionen.Sie setzen gut ausgeprägte technische Fähigkeiten wie Datenanalyse oder Dateninterpretation voraus, gepaart mit Soft-Skills wie Serviceorientierung, Kommunikations- und Teamfähigkeit.
Laut Deloitte entwickeln sich diese hybriden Stellen langsam zu „Superjobs“. Der Superlativ kommt nicht von ungefähr, denn die Superjobs würden die Profile der hybriden Jobs noch eine Ebene höher tragen. Bei einem Superjob bestimmt die Technik nicht nur die Fähigkeiten, die für den jeweiligen Job nötig sind, sondern auch die Tätigkeit selbst. Superjobs setzen dabei ähnliche technische und sozialen Fähigkeiten wie hybride Jobs voraus, kombinieren aber auch die Fähigkeiten verschiedener traditioneller Jobs in einer neu definierten Rolle.
Im Hauruck-Verfahren funktioniert es nicht
Soweit zumindest die Theorie. Ein Blick auf den heutigen Stand der Zusammenarbeit zwischen Mensch und Maschine fällt etwas ernüchternder aus. Heikel wird es vor allem wenn Menschen sich auf die Zusammenarbeit mit den Maschinen einlassen müssen, ob es ihnen passt oder nicht. Die britische Forschungsagentur Nesta hat dieses Thema für den öffentlichen Sektor untersucht und sich insbesondere auf den Einsatz von Software für die vorausschauende Analyse (Predictive Analytics) fokussiert. Mithilfe solcher Hilfsmittel, die auch Künstliche Intelligenz verwenden, wird beispielsweise der Einsatz von Sozialarbeitern im Kinder- und Jugendschutz gesteuert oder der Einsatz der Polizei in Gegenden, die als soziale Brennpunkte gelten.
Noch werden KI-basierte Hilfsmittel gerne ignoriert oder grundsätzlich abgelehnt.
Die erste Erkenntnis daraus ist, dass das Ergebnis der Arbeit von Sozialarbeitern und Ordnungskräften sehr davon abhängt, wie gut das Behördenpersonal mit den Tools interagiert. Eine weitere besteht darin, dass ein großer Teil des Behördenpersonals den Tools misstraut und ein Drittel von ihnen will sie überhaupt nicht einsetzen. Zugleich identifiziert der Bericht drei Grundprinzipien für eine erfolgreiche Zusammenarbeit zwischen Mensch und Maschine.
- Kontext. Bei der Einführung der Tools sollte der breitere Kontext berücksichtigt werden, in dem Menschen die Tools einsetzen sollen, sowie die Arbeitsweise der Menschen und etwaige besondere Bedingungen, die ein gewisses Maß an Sensibilität für bestimmte Themen nötig machen. Die Berücksichtigung dieser Kontextfaktoren erhöht die Chancen, dass die Tools von den Mitarbeitern tatsächlich angenommen und eingesetzt werden.
- Verständnis. Der Aufbau eines besseren Verständnisses für die Tools führt zu mehr Vertrauen. Das bedeutet, dass die Mitarbeiter eher bereit sind, seine Ratschläge in ihre Entscheidungen einzubeziehen. Gleichzeitig bedeuten gute Kenntnisse über die Funktionsweise der Tools auch, deren Einsatzgebiet und deren Grenzen zu verstehen. Das sorgt letztlich dafür, dass die Mitarbeiter eine kritische Distanz zu den Tools wahren und sich nicht blind auf seine Vorschläge verlassen.
- Respekt für die bisherige Praxis. Die Einführung der Tools in einer Weise, die die bisherige Handlungsweise der Mitarbeiter respektiert, stärkt die Mitarbeiter in der Rolle, die sie bis dahin ausgeübt haben, statt sie abzuwerten. Zugleich hält es sie davon ab, sich gegenüber dem Tool minderwertig zu fühlen, Aversionen aufzubauen oder es komplett zu ignorieren.