Collaboration für 350.000 Mitarbeiter: Siemens setzt auf Circuit

Das konservative Image des Unternehmens trügt. Siemens hat seine interne Kommunikation seit 2017 auf eine einzige Plattform gebündelt, die alle wichtigen Voraussetzungen für moderne digitale Zusammenarbeit erfüllt.

Es dürfte eine der größten Einführungen von Collaboration-Software überhaupt gewesen sein. 2017 wurde bei Siemens die bis dahin bestehende Kommunikationsinfrastruktur gegen eine Cloud-basierte Collaboration-Plattform Circuit ausgetauscht, die Telefonie, Messaging, Audio- und Video-Conferencing sowie Screensharing und Whiteboarding vereint. Die mehr als 350.000 Mitarbeiter wickeln darüber inzwischen fast ihre gesamte interne und externe Echtzeitkommunikation ab, tauschen 1,2 Millionen Chat-Nachrichten untereinander aus und teilen 1,8 TByte an Daten – täglich.

Circuit kann auch auf mobilen Geräten genutzt werden und Siemens will auf Dauer die Nutzung von Festnetzanschlüssen minimieren. (Bild: Unify)

Dass sich die ehemalige Siemens-Tochter Unify mit ihrer Plattform bei der Ausschreibung durchsetzt, war allerdings keine im Vorfeld ausgemachte Sache. „Uns wurde nichts geschenkt, wir mussten uns gegen harte Konkurrenz durchsetzen“, beteuert heute Philipp Bohn, Vice President Circuit bei Unify. Er führt als Beweis die anspruchsvollen Lasttests auf, die Circuit im Vorfeld bestehen musste. Um beispielsweise die Skalierbarkeit der Lösung zu testen, wurden mitunter Videokonferenzen mit 1.000 Teilnehmern veranstaltet. Die maximale Teilnehmerzahl gibt Cicruit offiziell mit 300 an. 

Weg mit den Inselanwendungen

Die 2008 gegründete Unify ist eine Ausgliederung der Kommunikationssparte von Siemens und wurde Ende 2015 vom französischen IT-Dienstleister Atos übernommen. Circuit entstand 2014 als Weiterentwicklung der Unified-Communication-Plattform von Unify, erweitert mit Collaboration-Features wie Chat und Filesharing.

Durch Circuit konnte Siemens zunächst alle Inselanwendungen ersetzen, die bis dahin für Screensharing oder Video-Conferencing im Einsatz waren. Vor allem aber hat das Unternehmen seinen Mitarbeitern eine andere Form der Kommunikation vermittelt, wobei „vermittelt“ hier wörtlich zu verstehen ist. Begleitend zur Einführung gab es für die Mitarbeiter eine Reihe von Trainings über die Arbeitsweise mit der neuen Plattform. „Gerade bei großen Firmen wie Siemens braucht man aktives Kommunikations- und Change Management“, sagt Philipp Bohn.

Diese Begleitung sei unerlässlich, weil man es mit verschiedenen Anwendertypen zu tun hat, die teilweise aus sehr unterschiedlichen Welten kommen. „Da gibt die Nutzer, die seit 30 Jahren dabei sind, in der Welt von E-Mail, Foldern und Telefonie aufgewachsen sind und oft nicht den Sinn sehen, sich anzupassen. Und dann gibt es die, die aus ihrem Privatleben WhatsApp & Co kennen und ähnliches auch von ihrem Arbeitgeber erwarten. Diese Nutzer zusammenzubringen, ist eine sehr wichtige Anforderung.“ 

Die Features zu kennen reicht nicht

Vor allem sei es wichtig, nicht einfach die Features zu erklären, sondern den Mitarbeitern aktiv dabei zu helfen, neue Arbeitsmethoden zu lernen. Nur so würden sie mit den neuen Tools wirklich effizienter arbeiten als vorher. „Man muss den Nutzern erklären, wie Gruppenkommunikation funktioniert“, sagt Bohn. Ein gutes Beispiel dafür seien die Team-Chats, in denen man auch die dazugehörigen Calls organisieren kann, statt für jeden Call eine neue Gruppe aufzusetzen.

Rainer Karcher, Service CEO für Realtime Collaboration und IT Infrastructure Sevices bei Siemens, zeigt sich mit dem bisherigen Ergebnis zufrieden. „Circuit erleichtert die Kooperation, bringt weltweit verteilte Teams näher zusammen und ermöglicht ein komfortables Zusammenspiel von Beruf und Alltag“, sagt Karcher. Das überwiegend positive Feedback der Mitarbeiter werde durch die steigenden Nutzungskennzahlen bestätigt. Circuit ist dabei nur eine Etappe auf dem Weg zu einer neuen Kommunikationskultur. Die „One Phone“-Initiative des Konzerns zielt darauf ab, die Bedeutung des Festnetztelefons langfristig zu minimieren. Schon jetzt gibt es bei Siemens 75.000 mobile Circuit-Nutzer täglich, Tendenz steigend. 

Wer nun glaubt, Circuit sei hauptsächlich ein Produkt für Großunternehmen, sollte noch einmal hinsehen. Philipp Bohn bestätigt, dass Kleinunternehmen mit fünf Mitarbeitern genauso unter den Nutzern gehören wie Mittelständler. Außerdem lässt sich die Plattform auch kostenlos nutzen. Ein Administrator kann bis zu 99 Kollegen dazu einladen, um innerhalb von Circuit verschiedene Arbeitsgruppen zu bilden. Im Unterschied zur kostenpflichtigen Version (je nach Ausbau zwischen 3,95 und 14,95 Euro pro Nutzer im Monat) können jedoch nur drei Teilnehmer gleichzeitig an einem Call teilnehmen (Audio, Video, Screensharing, Whiteboard), es gibt nur 1GB Speicher pro Teilnehmer und es fehlt die Integration mit der eigenen Telefonanlage. 

Mit anderen Anwendungen integrierbar

Die Echtzeitkommunikation von Circuit basiert auf WebRTC, einem offenen Standard, der hauptsächlich für die Kommunikation über einen Web-Browser gedacht ist. Google Chrome, Firefox und Opera unterstützen diese Technik, Apples Safari will mit Version 12.1 nachziehen. Unify bietet allerdings auch Desktop-Clients für Windows und MacOS sowie mobile Apps für Android und iOS. 

Eine wesentliche Komponente von Circuit ist dessen Integrationsfähigkeit mit anderen Anwendungen sowie mit der hauseigenen Telefonanlage. Circuit ist kompatibel zu den Telefonanlagen aller größeren Anbieter wie Avaya, Cisco oder Alcatel. Für die Dokumentenspeicherung gibt es Integrationen für Filesharing-Plattformen wie Microsoft OneDrive, Google Drive, Box und Syncplicity. Letztere wird auch von Siemens verwendet, vor allem wegen der granular einstellbaren Rechteverwaltung. Außerdem gibt es eine eigene Schnittstelle zu Salesforce, eine weitere zu Jira ist in Arbeit. 

Für die Integration aller anderen Anwendungen ist Unify eine Partnerschaft mit der Interface-Plattform Zapier eingegangen. Wenn eine Anwendung bei Zapier vertreten ist (was bei mehr als 1.400 Anwendungen durchaus wahrscheinlich dürfte), ist eine DSGVO-kompatible Integration mit Circuit ebenfalls gewährleistet.

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Ein Kommentar

  1. Mein Onkel möchte in seinem Unternehmen eine neue Software für Kommunikation einführen. Danke für die Vorstellung von Unify. Ich finde gut, dass sie neben Desktop-Clients auch mobile Apps für Android und iOS anbieten.

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