Reality Check: Personalbeschaffung mit Künstlicher Intelligenz und Big Data
Teure, menschlich gesteuerte Prozesse durch günstigere IT-Hilfsmittel zu ersetzen, klingt für viele Firmen verlockend. Was irgendwann zum Alltag der Personaler gehören wird, kommt aber momentan noch etwas arg holprig daher, wie zahlreiche Beispiele zeigen.
Im Wettbewerb um die Aufmerksamkeit von gut qualifizierten Bewerbern und Talenten ist die Rolle und der Einfluss der Rekrutierung immer wichtiger geworden. Die Personalbeschaffung war schon bei den Römern und Ägyptern der Antike ein Thema. Bereits während des Zweiten Weltkriegs entstanden moderne Personalvermittlungsagenturen.
Wie viele Fehlbesetzungen würde man tolerieren, wenn das KI-Tool im Vergleich zum Menschen so viel billiger ist?
Unabhängig von ihrem Ursprung, war die Personalbeschaffung schon immer von Effizienz und dem Einsatz neuer Technologie angetrieben. So kam es zum Beispiel in den 1980er Jahren durch Verbesserungen in der Datenverarbeitung und die Entstehung des Internets um die Jahrhundertwende zu größten Veränderungen in der Personalbeschaffung, einschließlich der Einführung von Bewerbermanagementsystemen. Es ist also kein Wunder, dass die Rekrutierung, durch Fortschritte im Bereich der künstlichen Intelligenz (KI) sowie bei der Analyse großer Datenmengen (Big Data), erneut revolutioniert wird.
Chancen von KI und Big Data bei der Personalbeschaffung
KI und Big Data bieten der Rekrutierungsbranche zwei große Verheißungen. Zum einen versprechen sie die Verbesserung der Rekrutierungsgenauigkeit. Die Idee ist einfach: Mehr Bewerberdaten (Big Data), kombiniert mit der neuesten Analysetechnologie (KI), führen zu vorhersagbareren Ergebnissen. Das heißt, Personaler können genauer identifizieren, welche Kandidaten für welche Stellen am besten geeignet sind. Die Erfahrung scheint diesen Gedanken zu belegen. Der Einsatz von KI und Big Data hat die Genauigkeit in allen Bereichen, von Schach und bis hin zur Medizin, stark verbessert. Warum also sollte das nicht auch bei der Personalbeschaffung funktionieren?
Das zweite Versprechen an die Rekrutierungsbranche sind enorme Einsparungen an Zeit und Aufwand. Mit KI und Big Data halten die Reize der Automatisierung Einzug in die Rekrutierungsbranche. Die Personalkosten gehören zu den größten Posten in der Unternehmensbilanz und daher ist klar, dass die Automatisierung große Kosteneinsparungen ermöglicht. Man stelle sich vor, ein Rekrutierungsalgorithmus durchsucht Millionen von Social-Media-Profilen und verbindet diese Daten mit öffentlich verfügbaren Datensätzen, um die am besten geeigneten Stellenanwärter im Nu zu ermitteln – auch wenn diese gar keine Bewerbung eingereicht haben. Diese Technologie existiert bereits und viele Personalvermittlungsagenturen setzen diese Methoden zweifellos schon jetzt ein, um genauer und kostengünstiger zu arbeiten.
Problemfelder von KI und Big Data bei der Personalbeschaffung
Diese KI- und Big-Data-Algorithmen haben aber nicht nur einen, sondern zumindest drei wesentliche Haken. Die erste Frage betrifft die Genauigkeit dieser Algorithmen. Wie gut sagen sie die Arbeitsleistung tatsächlich voraus? Funktionieren sie besser als Bewerbungsgespräche oder herkömmliche Bewertungen? Bisher steht die Antwort darauf noch aus. Einige der besten Algorithmen zur Persönlichkeitsbewertung zeigen beispielsweise nur eine schwache bis mittlere Genauigkeit.
Über die Fähigkeit der Algorithmen zur Vorhersage der Arbeitsleistung ist sogar noch weniger bekannt. Automatisierte Algorithmen sind natürlich viel schneller und kostengünstiger; ob diese Effizienzvorteile die Nachteile bei der Genauigkeit aufwiegen, ist aber ungewiss. Die Frage, die sich hier stellt, ist: Wie viele Fehlbesetzungen würde ich einem Algorithmus durchgehen lassen, der 1000-mal weniger kostspielig ist? Hierauf gibt es bisher keine Antwort.
Als Nächstes ist da das Problem der Diskriminierung durch KI und Big Data. Fast zwei Jahre ist es her, dass Amazon sein KI-gestütztes Rekrutierungstool abgeschafft hat, weil es Frauen systematisch benachteiligte. Bei jedem maschinellen Lernprogramm ist zu bedenken, dass der Computer nur aus den ihm zur Verfügung gestellten Dateneingaben lernen kann. Wenn Leistungsdaten bestimmte Gruppen benachteiligen, lernt der Computer dies und verstärkt das Vorurteil mit der Zeit oft sogar noch.
Auch Unternehmen mit blütenweißer Weste sind nicht davor gefeit. Sie können dies auf der Website „Survival of the Best Fit“ selbst nachlesen. Selbst scheinbar unbedeutende Vorurteile können eine große Wirkung haben, wenn sie auf Millionen von Stellensuchenden angewandt werden. Personaler, die mit dieser Technologie arbeiten, sollten die Algorithmen sehr sorgfältig entwickeln und auf Vorurteile prüfen.
Algorithmen lassen sich leicht austricksen
Das dritte Problem bei der Verwendung von KI und Big Data im Zuge der Personalbeschaffung ist die Manipulierbarkeit des Systems. Der jüngste Skandal um standardisierte Einstufungstests in den USA zeigt: Wenn es um viel geht, sind Menschen zu skrupellosem Verhalten fähig, um sich einen Vorteil zu verschaffen. Vor ein paar Jahren stießen Forscher auf eine kleine, aber statistisch signifikante Korrelation zwischenLikes für Spiralpommes auf Facebook und dem IQ. Spiralpommes wurden demnach überwiegend von Menschen mit hohem IQ geliked. Als diese Neuigkeit publik wurde, riefen Millionen von Menschen hastig ihre Facebook-Seite auf, um Spiralpommes zu liken. Danach war der Zusammenhang natürlich verschwunden – IQ und Spiralpommes waren nicht mehr korreliert.
Spiralpommes werden auf Facebook besonders gern von Menschen mit hohem IQ geliked – was sagt uns das?
Dieses Beispiel ist einigermaßen amüsant und blieb folgenlos. Jedoch jeder Algorithmus, der sich irgendwie auf Spiralpommes gestützt hätte, wäre damit völlig nutzlos geworden. Dieses Phänomen ist nicht neu. Rekrutierungsalgorithmen auszutricksen, indem man seinen Lebenslauf heimlich mit Schlüsselwörtern vollpackt, ist mittlerweile gängige Praxis. Dabei wird der Lebenslauf mit einschlägigen Keywords in weißer Schrift gespickt. Für das menschliche Auge sind sie unsichtbar, nicht aber für den Computer.
Social-Media- Profile sind genauso fälschungsanfällig. Wer das nicht glaubt, sollte einfach mal finsta (kurz für Fake Instagram) googeln. Wenn es um viel geht, werden Menschen Schlupflöcher in automatisierten Systemen auszunutzen, die einem menschlichen Betrachter sofort auffallen würden. Dazu gehört auch, dass sie ihre Social-Media-Profile fälschen. Tatsächlich gibt es inzwischen Beratungsunternehmen, die ihr Geld damit verdienen, Social-Media-Profile perfekt an neu ausgeschriebene Stellen anzupassen. Wie eine KI- gestützte Personalbeschaffung mit Fälschungen umgehen kann, ist unklar.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass KI und Big Data der Rekrutierungsbranche viel Potenzial bei Genauigkeit, Kosten und Effizienz bieten. Um dieses Potenzial zu nutzen, müssen diese Methoden aber mindestens drei Probleme lösen: Genauigkeit, Fairness und Fälschung. Bis dahin ist der Einsatz von KI und Big Data bei der Personalbeschaffung mit erheblichen Risiken verbunden.