
Künstliche Intelligenz: „Small Data“-Strategie wird Europas Wettbewerbsvorteile sichern
Statt zu versuchen, bei der Datenstrategie den USA und China nachzulaufen, besinnt sich Europa auf die Stärken der eigenen Industrie: Nicht die Masse, sondern die Klasse der Daten fürs KI-Training ist entscheidend.
Für die spezialisierte, hoch entwickelte Industrie Europas liegt der wahre Wert nicht in der Breite, sondern in der Tiefe.
In den Vorstandsetagen und Strategiemeetings der DACH-Region dominiert seit Jahren eine zentrale Sorge im globalen KI-Wettbewerb: Wie kann man mit den gigantischen Datenmengen weltweit und den schier unbegrenzten Rechenkapazitäten der US-Tech-Giganten und chinesischen Staatsunternehmen mithalten? Die Antwort ist ebenso überraschend wie strategisch: gar nicht. Stattdessen definiert Europa die Spielregeln neu. Man setzt nicht auf die schiere Masse, sondern auf die Klasse der Daten. „Small Data“ ist Europas Weg, diese Welle der KI-Innovation anzuführen und nachhaltige Wettbewerbsvorteile zu schaffen.
Qualität schlägt Quantität: Warum kontextreiche Daten das neue Gold sind
Die erste KI-Welle wurde von Algorithmen angetrieben, die auf riesigen, oft unstrukturierten Datenmengen trainiert wurden. Das Ergebnis waren beeindruckende Alleskönner-Modelle. Doch für die spezialisierte, hoch entwickelte Industrie in zahlreichen europäischen Ländern liegt der wahre Wert nicht in der Breite, sondern in der Tiefe. Es geht um präzise, kontextreiche und absolut verlässliche Daten.
Genau hier setzt die europäische Strategie mit der Schaffung von 14 sektoralen Datenräumen an. Diese hochkuratierten digitalen Marktplätze ermöglichen beispielsweise einem Automobilzulieferer, einem Maschinenbauer und einem Logistikunternehmen Daten über Materialermüdung sicher auszutauschen, ohne ihr gesamtes geistiges Eigentum preiszugeben. Das Ergebnis ist ein Datenschatz, der in seiner Qualität und Relevanz auf spezifische industrielle Fragestellungen zugeschnitten ist.
Der aktuelle Bericht des Thinktanks CEPA bestätigt diesen Weg und zeigt, dass Europa aufholt. Die EU schafft ein Ökosystem, das auf Vertrauen, Sicherheit und gemeinsamen Standards basiert – verankert in Gesetzen wie dem Data Act und dem Data Governance Act. Diese Gesetze schaffen klare Spielregeln, verhindern Vendor-Lock-ins und schützen Mittelständler vor unfairen Vertragsbedingungen. Sie sind das Fundament für eine souveräne, föderale Datenwirtschaft.
Vom Konzept zur Praxis: Wo die neuen Geschäftsmodelle entstehen
Das Potenzial dieser Datenräume manifestiert sich bereits heute in konkreten Geschäftsmodellen:
- Die Revolution der Versicherungswirtschaft: Fahrzeugtelematikdaten ermöglichen es, Versicherungsprämien nicht mehr anhand demografischer Merkmale, sondern anhand des tatsächlichen Fahrverhaltens zu kalkulieren. Gehen wir einen Schritt weiter: Kombiniert mit Daten aus der Lieferkette des Herstellers entstehen völlig neue Dienstleistungen wie „Maintenance-as-a-Service“, bei denen die Wartung proaktiv auf Basis von Echtzeit-Feedback erfolgt, was Ausfallzeiten minimiert und die Kundenbindung maximiert.
- Präzisionslandwirtschaft für Ernährungssicherheit: Über 400 Dateninitiativen vernetzen bereits heute Landwirte. Durch die Kombination von Bodendaten, Wetterprognosen und Satellitenbildern können KI-Modelle den Einsatz von Düngemitteln und Wasser exakt optimieren. Das schont die Umwelt, steigert den Ertrag und macht die Lebensmittelproduktion resilienter.
- Das vernetzte Gesundheitswesen: Der europäische Gesundheitsdatenraum (EHDS) wird den Zugang zu einem Netzwerk von 130 Millionen anonymisierten Patient:innendaten ermöglichen. Für Pharma- und Medizintechnikunternehmen in der DACH-Region ist dies ein unschätzbarer Vorteil. Klinische Studien können schneller und mit passgenaueren Teilnehmer:innengruppen durchgeführt werden, was die Entwicklungszeit und -kosten für neue Medikamente und Therapien drastisch senkt.
Wie können Unternehmen das Potenzial der Small-Data-Räume nun konkret ausschöpfen?
Eine große Hürde für die Skalierung KI-getriebener Anwendungsfälle war bisher der Mangel an vollständigen, qualitativ hochwertigen Daten, die einem Standard folgen und kontinuierlich zur Verfügung stehen.
Genau hier setzen die Small-Data-Räume an. Beginnen Sie jetzt, in drei Schritten Ihre vorhandenen Daten anzureichern und wertvolle, auf Anwendungsfälle zugeschnittene Datenprodukte zu erstellen:
- Identifizieren Sie Ihre „Data Gaps“: Wo genau scheitern Ihre wichtigsten Business Cases an fehlenden Informationen?
- Aktivieren Sie Ihre internen Datenschätze: Welche Daten besitzen Sie bereits, die durch externen Kontext an Wert gewinnen würden?
- Nutzen Sie die Datenräume als Katalysator: Verwenden Sie gezielt die neuen sektoralen Datenangebote, um diese Lücken zu füllen.
Die flexible Kombination von Daten je nach Anwendungsfall erlaubt es Unternehmen, KI-Lösungen sukzessive und schnell in ihre Kernprozesse zu integrieren und zu skalieren sowie kurzfristig Erfolge zu erzielen und Mehrwert zu generieren.
Europas Weg ist die Etablierung einer eigenen Disziplin, die auf unseren Stärken aufbaut: Qualität, Spezialisierung und vernetzte Ökosysteme. Für die Unternehmen in der DACH-Region ist dies die Chance, die nächste Stufe der digitalen Wertschöpfung zu zünden und sich im globalen Wettbewerb entscheidend zu differenzieren.