Ist Programmieren bald so angestaubt wie Altgriechisch?
Neue Lehrpläne sollen Kindern und Jugendlichen neue Technologien und auch das Programmieren näher bringen. Doch wie wichtig wird es in einigen Jahren, sein, ein Programm schreiben zu können?
Es gib zu wenige Studenten in den MINT-Berufen, beklagen Wirtschaft und Politik weltweit. Initiativen wie Code.org, Open Roberta oder der Girls-Day sollen Kindern beibringen, wie man programmiert. Tim Cook, CEO von Apple erklärte neulich, dass das Programmieren eines Tages wohl wichtiger werden würde als Englisch als erste Fremdsprache. Und das Wall Street Journal hofft, dass „Coding“ die Rettung für die amerikanische Arbeiterschicht ist.
Die Fähigkeit, Code zu schreiben, ist heute unumstritten sehr wichtig. Doch Programmieren könnte in absehbarer Zeit zu einer angestaubten Sache werden, so relevant wie Altgriechisch, warnt Robert C. Walcott, ein Professor für Innovation im Kellog School of Management, in einem Gastbeitrag auf Quartz. Die fremden Buchstaben sehen heute zwar immer noch beeindruckend aus, aber nur wenige müssen deren Bedeutung auch verstehen können.
Man sollte Zusammenhänge verstehen können
Wer sich nur mit dem reinen Programmieren auseinandersetzt, wird vielleicht eines Tages den gleichen Stellenwert haben wie ein Altphilologe heute, so lautet Walcotts These. Denn wie echte Sprachen auch, verändern sich Programmiersprachen oder sterben aus, weil sie von neuen Sprachen verdrängt werden. Konzentriert man sich allein auf das reine Codieren, geraten andere Aspekte aus dem Fokus, die vielleicht noch wichtiger sind: Zum Beispiel ein allgemeines Verständnis darüber, wie eine bestimmte Technologie grundsätzlich funktioniert, aber auch welche Chancen und welche Risiken damit einhergehen.
Bleiben wir im Bild: In der Renaissance war Altgriechisch und Lateinkenntnisse ein Zeichen höchster Bildung. Das zeigt sich auch heute noch daran, dass viele wissenschaftliche und medizinische Begriffe altgriechische Wurzeln haben. Auch als Griechisch in der Wissenschaft längst keinen Stellenwert mehr hatte, blieb der elitäre Nimbus. Die Sprache hat nach wie vor ihren Reiz und altgriechische Texte gehören noch heute zum Repertoire jedes Philosophen oder Theologen. Im Alltag spielt es meist keine Rolle mehr. So wird es vielleicht auch eines Tages mit Programmierkenntnissen sein.
Computer werden menschenfreundlicher
Denn schon heute zeigt sich, dass genau diese Programmierkenntnisse immer mehr von künstlicher Intelligenz übernommen werden. Die Rechner entwickeln sich von computerfreundlichen zu menschenfreundlichen Systemen. Vergleicht man einen Rechner aus den Siebzigern, der über Befehle in einer Kommandozeile gesteuert werden musste, mit einem Smartphone von heute, wird schnell deutlich, wie unterschiedlich die Handhabung ist. Damals war es nur hochbezahlten Spezialisten möglich, mit diesen Rechnern umzugehen. Heute können schon dreijährige Kinder nach wenigen Minuten ein Smartphone bedienen, oder zumindest erste Schritte damit machen.
Bei Programmiersprachen gibt es eine ähnliche Entwicklung, beobachtet Walcott. Die Abstraktion von der eigentlichen Maschinenlogik schreitet immer weiter voran und Programmiersprachen werden der menschlichen Sprache immer ähnlicher. Bereits die Programmiersprache COBOL war vor knapp 60 Jahren ein Versuch, die Programmierung an die Normalsprache anzugleichen. Deutlich besser gelang das dem Schöpfer von Ruby, Yukihiro Matsumoto, der 1995 eine einfach zu verwendende Script-Sprache schuf.
Diese Entwicklung hört freilich nicht mit Ruby auf. Eines Tages wird es zweifellos möglich sein, über die Eingabe natürlicher Sprache Computerprogramme zu entwickeln, so wie es heute schon möglich ist, mit einem Sprachassistenten einen Computer zu steuern.
„Altgriechisch des 21. Jahrhunderts“?
Verschiedene Business-Intelligence-Lösungen bieten heute auch Nicht-Experten die Möglichkeit, mit wenigen Klicks ohne tiefere Kenntnis von Programmierung komplexe Abfragen zu erstellen. Das Unternehmen pienso beispielsweise, eine Ausgründung des Massachusetts Institute of Technology, will künstliche Intelligenz für alle zugänglich machen. Auch Personen ohne entsprechende Ausbildung und ohne Programmierkenntnisse sollen, so die Vision des Start-ups, eigene Machine-Learning-Modelle trainieren können. In solchen Szenarien sind Branchenkenntnisse schlicht wichtiger als Programmiererfahrung.
Spinnt man diese Entwicklung weiter, werden Programmiersprachen immer weiter in den Hintergrund rücken. Lediglich in sehr speziellen Aufgabenfeldern wird man dann noch dieses „Altgriechisch des 21. Jahrhunderts“ brauchen. Denn Menschen werden in der Lage sein, über ihre Sprache einem System mitzuteilen, was sie erreichen wollen. Daher ist es Laut Walcott auch weniger wichtig, eine Programmiersprache zu sprechen, als zu wissen, was wir von den Rechnern erledigt haben wollen.
Selbstlernende und selbstprogrammierende Systeme werden künftig vielleicht sogar eigenständig Probleme erkennen und lösen können, ohne dass menschliche Interaktion dabei von großer Bedeutung ist. Doch solche Systeme bergen wie gesagt nicht nur Chancen, sondern auch erhebliche Risiken. Und um diese zu erkennen und einzudämmen, werden Menschen nötig sein, die ein hohes Maß an Bildung aus ganz unterschiedlichen Disziplinen mitbringen.
Auch wird sich die Frage stellen, welchen Stellenwert der Mensch in solchen Systemen überhaupt noch hat. Und wer weiß, vielleicht lohnt es sich in diesem Zusammenhang dann doch, Altgriechisch verstehen zu können. Denn bei der Beantwortung solcher Fragen könnte es vielleicht nicht schaden, Platos Höhlengleichnis im Original lesen zu können.