Wie das Arbeitsministerium sich auf die Folgen der Digitalisierung vorbereitet
In den nächsten zehn Jahren sollen drei Millionen Jobs in Deutschland der Digitalisierung zu Opfer fallen. Das Arbeitsministerium entwickelt Maßnahmen, die die negativen Auswirkungen des digitalen Wandels auf Industrie und Gesellschaft abfedern sollen.
Wenn es nach Björn Böhning geht, dem für digitale Arbeit zuständigen Staatssekretär im Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS), braucht sich Europa beim Thema Digitalisierung nicht zu verstecken. Frisch zurück aus einer Reise zum Silicon Valley berichtet er auf dem Digital World & Governance Kongress in Berlin letzten Freitag genau vom Gegenteil. Die Auswirkungen der Digitalisierung und die dazugehörigen ethischen Fragen seien „der heiße Scheiß“, der derzeit die digitale Debatte in den USA prägt. Und hier zumindest laufe Europa den USA nicht hinterher. „Die bisher sehr auf Technologie fokussierte Debatte verändert sich und stellt den Menschen in den Vordergrund und die USA schauen sehr genau hin, was wir hier in Europa machen.“
Kann Europa als Vorbild dafür dienen, wie auf wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Ebene mit der Digitalisierung umgegangen werden soll? Zumindest fühlt sich Böhning als Europäer in seiner Haltung und seiner Arbeit bestätigt wenn er darüber berichtet, dass der Bundesstaat Kalifornien ein Datenschutzgesetz nach dem Muster der EU-Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) einführt. „Europa muss bei Themen wie der Digitalisierung Selbstbewusstsein zeigen, sich nicht zurückstellen und immer nur auf andere schauen“, mahnt Böhning. Immerhin habe dieser Kontinent bisher schon einige industrielle Revolutionen gemeistert.
Die Zeit drängt
Das einzig neue an dieser vierten, diesmal digitalen Industrierevolution sei, dass alles so schnell passiert. Die Elektrifizierung habe fast ein Vierteljahrhundert in Anspruch genommen, das Internet ganze fünf Jahre. „Das hat ganz erhebliche Auswirkungen auf die Frage, wer vom Wachstum profitiert, wie die Zugewinne an Wohlstand verteilt werden und was wir tun können, damit möglichst alle daran teilhaben“, sagt Böhning. Zugleich stellt er fest, dass in den letzten Jahren die Einkommensschere weit auseinandergegangen ist und die Digitalisierung das Potenzial hat, dies noch zu verschärfen. Außerdem würden die Anforderungen an die Beschäftigten hinsichtlich ihrer Qualifikationen und der Zwang, diese ständig zu erweitern, erheblich wachsen. Das sei eine echte Herausforderung, vor allem für die breite Mittelschicht der Beschäftigten.
Ob es gelingt, dass es in Deutschland weiterhin Arbeit für alle geben kann und ob tatsächlich alle Teile der Gesellschaft davon profitieren, ist für Böhning eine Sache der richtigen Weichenstellung. „Mit einer reinen Technikfokussierung allein werden wir nicht weiterkommen“, mahnt Böhning. „Die Digitalisierung verändert unseren Arbeitsplatz auch in vermeintlich IT-fernen Sektoren – unsere täglichen Aufgaben, die Art, wie wir diese erledigen, unsere Kompetenzprofile, Vorlieben, Kommunikation, unsere Bildung, auch unsere Organisationskultur. Es wird darauf ankommen, ob die Sinnhaftigkeit, Qualität und Organisation der Arbeit in den Vordergrund gestellt wird, oder ob beispielsweise durch die Plattformökonomie Kräfte freigesetzt werden, die nur wenigen dienen.“
Eine eigene digitale Denkfabrik
Fürs SPD-geführte Arbeitsministerium stehen laut Böhning drei Prinzipien bei dieser Weichenstellung im Vordergrund:
1) Der Mensch bleibt im Mittelpunkt und die Technik, auch die Künstliche Intelligenz, soll dem Menschen dienen und nicht umgekehrt.
2) Gute Arbeitsbedingungen gelten als der relevante Maßstab. Die Digitalisierung soll weder Belegschaft noch Gesellschaft in Gewinner und Verlierer spalten und Lebensrisiken sollen weiterhin solidarisch abgesichert werden.
3) Der digitale Wandel verlangt ein ganzheitliches Denken und kann nur durch die Zusammenarbeit aller Interessensgruppen gelingen.
„Wir müssen uns als Ministerium selbst dem Wandel unterlegen.“
Um die passenden Maßnahmen zu entwickeln, hat das Arbeitsministerium eine interne Denkfabrik namens „Digitale Arbeitsgesellschaft“ gegründet, die so etwas wie ein digitales Vorbild abgeben soll. Hierzu wurde eine Unterabteilung aufgelöst und die Mitarbeiter aus ihren Einzelbüros in einen großen Raum umgesetzt. „Wenn wir als Ministerium glaubwürdig über den Wandel der Arbeitswelt sprechen wollen, müssen wir uns diesem Wandel selbst unterlegen“, sagt Böhning. „Die Denkfabrik versteht sich als Ort des Exerimentierens und des Verbesserns.“ Entscheidend sei dabei, sich von einer Organisationsform des Wissen-Hortens zu einer des Wissen-Teilens zu entwickeln. Inzwischen habe die Denkfabrik und ihre Arbeitsweise im Ministerium für so viel Neugier gesorgt, dass sie einen festen Besuchstag einrichten musste, „damit sich die Kolleginnen und Kollegen nicht vorkommen wie im Zoo“.
„Mehr als nur Excel lernen“
Das dominierende Thema bei der Arbeit dieser Denkfabrik ist die Weiterbildung. Wenn das Bildungssystem so erhalten werden soll wie es ist, also breit angelegt aber zugleich auf die speziellen Tätigkeiten von Fachkräften fokussiert, müssen laut Böhning zuerst die Kompetenzanforderungen der digitalisierten Arbeitswelt ermittelt werden. Basierend auf diesen Erkenntnissen soll dann eine nationale Weiterbildungsstrategie im Dialog mit der Wissenschaft und der Industrie erarbeitet werden. „Die Aufgabenstellung lautet, wie gelingt es uns, einem 45-jährigen völlig neue Fertigkeiten zu vermitteln“, sagt Böhning. Das bedürfe mehr als einer kurzfristigen Anpassungsqualifikation wie Excel zu lernen.
Weiterbildung heißt mehr als nur Excel lernen.
Wie so etwas dennoch gelingen kann, führt derzeit Volkswagen in seinem Werk in Zwickau vor. Das Werk stellt gerade auf die Produktion von Elektrofahrzeugen um, was auch den Einsatz neuer Produktionsprozesse mit sich bringt. Die VW-Beschäftigten nutzen das Qualifizierungschancengesetz, um über einen Zeitraum von vier bis fünf Monaten sich auf den neuen Job vorzubereiten.
Die Abwesenheit der Beschäftigten von ihrer angestammten Stelle über solch lange Zeiträume und die Finanzierung dieser Fortbildungen sind laut Böhning nur ein Vorbote der Themen, die durch die Digitalisierung noch auf das Ministerium zukommen. „Im Rahmen der nationalen Weiterbildungsstrategie werde sein Ministerium noch viel tiefergehende und größere Lösungen finden müssen, um die Fragen der Weiterbildung und der Weiterbildungsbereitschaft zu beantworten.