Weniger arbeiten bringt mehr – Wie wär’s mit einer 4-Tage-Woche?
Die Verkürzung der Arbeitszeit ist bisher immer mit einer Steigerung der Produktivität einhergegangen. In einer digitalisierten Arbeitswelt scheint eine weitere Verkürzung möglich zu sein – vorausgesetzt man schafft es, mit der digitalen Arbeit richtig umzugehen.
Die Arbeit am Bildschirm verleitet leicht dazu, die Zeit zu vergessen. Das Resultat sind lange Arbeitsphasen ohne Pausen und Überstunden. Die ständigen Ablenkungen durch Benachrichtigungen auf dem PC oder Smartphine führen zu Einbußen in der Konzentrationsfähigkeit mit dem Effekt, dass man noch länger arbeitet und doch nicht alles schafft, was man sich vorgenommen hatte. Wochen mit 50 oder 60 Arbeitsstunden sind keine Seltenheit mehr. In Kombination mit dem steigenden Leistungsdruck der digitalen Arbeitswelt und der „Always-on“-Anforderung mancher Firmen hinterlässt das viele mit einem Gefühl der Unzufriedenheit und Ausweglosigkeit.
Eine neuseeländische Firma beweist: Die 4-Tage-Woche ist möglich.
Waren wir als Arbeitswelt und als Gesellschaft nicht schon mal weiter? Sind wir gerade dabei, das Rad wieder zurück ins 19. Jahrhundert zu drehen?
Die Erkenntnis, dass 8 Stunden Arbeit am Tag das Optimum an Produktivität liefert und zugleich zufriedenere Mitarbeiter hervorbringt, stammt in der Tat aus dem frühen 19. Jahrhundert. Der britische Unternehmer und Frühsozialist Robert Owen reduzierte damals im eigenen Betrieb die Tagesarbeitszeit auf 10,5 Stunden, verbot die Kinderarbeit und erzielte dabei einen so hohen Zugewinn an Produktivität, dass seine Baumwollspinnerei zum Modellbetrieb wurde. Später postulierte er: „8 Stunden Arbeit, 8 Stunden Erholung, 8 Stunden Schlaf“.
In der industrialisierten Welt waren es deutsche Unternehmen wie Degussa oder die Zeiss Werke, die den Achtstundentag bereits Ende des 19. Jahrhundert einführten, freiwillig und bevor es noch ein entsprechendes Gesetz gab. In den USA führte ihn Henry Ford 1914 in seiner Autofabrik als erster ein mit dem Ergebnis, dass auch er die Produktivität erheblich steigern und seinen Gewinn verdoppeln konnte.
Wie misst man die Produktivität der digitalen Arbeit?
Es Grund zur Annahme, dass in der digitalen Arbeitswelt eine weitere Reduzierung der Arbeitszeit möglich ist. Schon länger gehören Bücher wie Die 4-Stunden-Woche von Tim Ferriss weltweit zu absoluten Bestsellern. Auch wenn Ferriss‘ Thesen im Verhältnis zur heutigen Arbeitswelt ziemlich weit hergeholt klingen, der Trend geht eindeutig in Richtung weniger Arbeit. Letztes Jahr lieferte ein neuseeländischer Betrieb den praktischen Beweis.
Für einen zweimonatigen Modellversuch führte der Stiftungs- und Nachlassverwalter Perpetual Guardian die 4-Tage-Woche bei gleicher Bezahlung ein – mit durchschlagendem Erfolg: Die Zufriedenheit und „Work/Life-Balance“ der etwa 240 Mitarbeiter stieg von 54 auf 78 Prozent und sie waren bei ihrem Job engagierter denn je, Einbußen in der Produktivität konnten nicht festgestellt werden. Der Eigentümer sucht derzeit nach einem Weg, die Regelung permanent einzuführen.
Auch ein Blick auf die Rangliste der produktivsten Länder in Europa im Vergleich zur Wochenarbeitszeit liefert Argumente für kürzere Arbeitszeiten. Die Erwerbstätigen in den produktivsten Ländern dürfen meist weniger arbeiten. Die Produktivität wird bei solchen Statistiken als Verhältnis der geleisteten Arbeitsstunden zum Bruttoinlandsprodukt berechnet. Natürlich sind hier die hochindustrialisierten Länder Nordeuropas im Vorteil, denn wie Wertschöpfung einer Autofabrik ist wesentlich höher als die eines Olivenhains.
Dennoch dürfte diese Berechnungsmethode auch die valideste sein, um auch den Wert digitaler Arbeit pro Zeiteinheit zu messen. Die Produktivität eines Unternehmens hängt schlussendlich von der Produktivität der einzelnen Mitarbeiter ab. Wenn ein Unternehmen die Arbeitszeit seiner Angestellten um 20 Prozent kürzt, wie das bei Perpetual Guardian der Fall war, und sein Umsatz keinerlei Einbußen erleidet, dann bedeutet das, dass die Produktivität der Mitarbeiter durch die Arbeitszeitverkürzung um 20 Prozent gestiegen ist, zugleich aber auch ihre Lebensqualität.
Es gibt noch viel zu lernen
Die Produktivität eines Unternehmens hängt von der Produktivität der einzelnen Mitarbeiter ab.
Nicht viele Unternehmen werden wohl in nächster Zeit denselben Schritt wagen wie Perpetual Guardian, auch wenn die Arbeit ihrer Angestellten inhaltlich der des Neuseeländischen Unternehmens ähnlich ist. Mit gutem Grund, denn bei der digitalen Arbeit hängt die Produktivität noch zu sehr von Faktoren ab, mit welchen wir gerade erst lernen umzugehen. Dazu gehören neue Organisations-, Kommunikations- und Arbeitsmethoden ebenso wie der persönliche Umgang jedes einzelnen mit all dem und mit seinem persönlichen Arbeitsbereich, der momentan ebenfalls starken Veränderungen unterworfen ist.
Doch zumindest könnten wir auf der persönlichen Ebene anfangen und lernen, mit der digitalen Arbeit besser umzugehen. Hier einige Tipps für den digitalen Alltag:
Priorisieren und planen Sie ihre Aufgaben. Nicht alle Aufgaben auf Ihrer To-Do-Liste tragen gleichermaßen zu den Resultaten bei, an denen Ihre Produktivität und Leistung gemessen wird. Identifizieren Sie die wichtigsten und sorgen Sie dafür, dass Sie genug Zeit für deren Erledigung einplanen. Versäumen Sie aber nicht, auch für die weniger wichtigen Zeit einzuplanen, am besten en bloc und zu Zeiten, wo Ihnen keine wichtigeren Dinge unter den Nägeln brennen.
Richten Sie sich nach Ihrem Biorhythmus. Wissenschaftliche Erkenntnisse besagen, dass die Produktivität am höchsten ist, wenn ein Arbeitsrhythmus aus ein- bis zweistündigen Phasen konzentrierter Arbeit und Pausen von 15 bis 30 Minuten eingehalten wird. Wenn Sie vier bis fünf solcher Zyklen pro Tag mit insgesamt nicht viel länger als acht Stunden in der Summe einplanen, fahren Sie am besten.
Schaffen Sie die Voraussetzungen für konzentriertes Arbeiten. Ablenkungen dürften das größte Problem der digitalen Arbeitswelt sein. Stellen Sie diese während Ihrer Konzentrationsphasen rigoros ab. Schalten Sie Ihre Benachrichtigungen auf dem Bildschirm und dem Smartphone für diese Zeiten ab und lassen Sie nur wichtige Anrufer auf Ihrem Handy durch. All das wird von modernen Endgeräten unterstützt und ist mit wenigen Klicks möglich.
Gönnen Sie sich Erholung. Die Produktivität fällt nach acht bis zehn Stunden Arbeit rapide ab. Machen Sie lieber früh genug Schluss statt sich über die eigenen Grenzen zu peitschen, denn die zusätzliche Arbeit geht auf Kosten der Produktivität des darauffolgenden Tages. Die Erholung macht Sie hingegen nur produktiver.