Vorbereitungen auf die Ankunft des Künstlichen Kollegen
Das Zusammenspiel zwischen menschlichen Arbeitskräften und Künstlicher Intelligenz ist bei den meisten Unternehmen noch weit weg. Trotzdem bedeutet es eine derart große Zäsur in unseren Arbeitsweise, dass die Vorbereitungen schon jetzt auf Hochtouren laufen.
Der aktuelle Stand der Dinge in Sachen KI-Nutzung in Unternehmen klingt wenig spektakulär. Laut einer Umfrage des Digitalverbands Bitkom vom letzten Herbst nutzt nur eine einstellige Prozentzahl aller Unternehmen in Deutschland Künstliche Intelligenz in ihrem Regelbetrieb: Etwa 3 Prozent zur Beantwortung von Kundenanfragen oder zur automatisierten Buchung von Zahlungen, 4 Prozent für die Platzierung personalisierter Werbung und 2 Prozent zur Prozessoptimierung.
In der Wahrnehmung der Menschen liegen diese Nutzungszahlen allerdings um das zehn- bis zwanzigfache höher (siehe Grafik rechts). Das hat freilich nicht nur mit Hype zu tun, sondern auch mit der Tatsache, dass die wenigen Unternehmen, die KI tatsächlich nutzen, sehr dominant im Markt sind, wie etwa Google im Anzeigenmarkt.
KI-Pilotprojekte sind weit verbreitet
Doch der Rest holt schnell auf. Eine weltweite Studie der MIT Sloan Management Review und der Boston Consulting Group aus demselben Zeitraum (PDF) zeigt, dass 57 Prozent der befragten (Groß-)Unternehmen bereits Pilotprojekte laufen haben (2018 waren es noch 44 Prozent) und 59 Prozent eine KI-Strategie ausformuliert haben (39 Prozent im Jahr 2017). Noch kann nur jedes zehnte Unternehmen von sich behaupten, dass es durch den Einsatz von KI bereits finanzielle Vorteile schöpft. Zu diesen wenigen gehört auch Porsche. Der Automobilbauer kann durch den Einsatz von KI seine Materialwirtschaft besser steuern.
Der erzielbare finanzielle Vorteil hängt laut einhelliger Meinung der Experten sehr stark davon ab, wie gut das Zusammenspiel zwischen Mensch und Maschine eingespielt ist. Den Lernprozess, den ein Unternehmen beim Umgang mit KI durchlaufen muss, nennen die Autoren der MIT-Studie „Organisatorisches Lernen“. Damit sei nicht nur das autonome Lernen von Maschinen gemeint. „Oder nur Menschen, die Maschinen etwas beibringen. Oder nur Maschinen, die Menschen unterrichten. Unternehmen, die nur eine dieser Methoden anwenden, haben nur eine Wahrscheinlichkeit von etwa 6 Prozent, signifikante finanzielle Vorteile zu erzielen.“
Arbeitsprozesse ändern sich radikal
Kein Wunder also, dass Industrie und Politik sich schon frühzeitig auf das Thema einschießen. Einerseits hängt von der Qualität der Mensch/Maschine-Interaktion das Wohl ganzer Industriezweige ab, andererseits will diese Art der Interaktion erst einmal gelernt sein. „Aktuell findet eine Revolution statt“, sagt Dirk Werth, Geschäftsführer und wissenschaftlicher Direktor des August-Wilhelm Scheer Instituts für digitale Produkte und Prozesse (AWSi). Arbeitsprozesse hätten sich in den letzten hundert Jahren nicht wesentlich verändert, doch KI bringe nun eine neue Dimension ins Spiel.
Diese besteht vor allem darin, dass KI in bestimmten Bereichen viel mehr Möglichkeiten bietet. „Wenn ein Mensch ein Produkt entwerfen müsste, würde er nie gleich 100 Varianten davon entwerfen, sondern nur drei oder vier, und daraus die beste auswählen“, sagt Werth. „Bei der Maschine macht es keinen großen Unterschied, ob sie nur fünf oder gleich hundert Varianten entwirft, diese Kapazität hat sie von Haus aus. Das allerdings führt zu ganz anderen Arbeitsprozessen, die wir entsprechend anpassen müssen. Und dazu müssen Mensch und Maschine funktional miteinander verbunden werden.“
Verschiedene Arten der Interaktion
Das Zusammenspiel zwischen Mensch und KI und das gegenseitige Lernen sei mehr als die Bereitstellung von korrigierendem Feedback in bestimmten Situationen, so die MIT-Studie. „Es ist eine fortlaufende Partnerschaft, die die Entscheidungsfindung von Mensch und Maschine gleichermaßen durch verschiedene Arten der Interaktion verbessert.“
Diejenige, die nach jetzigem Erkenntnisstand der die besten Ergebnisse liefert, sieht laut MIT-Studie vor, dass die KI Vorschläge macht und der Mensch entscheidet. Wenn die KI allein entscheidet oder lediglich Daten analysiert, fallen die Ergebnisse schlechter aus. Doch deswegen seien die anderen Formen des Zusammenspiels nicht obsolet, im Gegenteil. Die Ergebnisse würden besser, je mehr unterschiedliche Methoden der Interaktion angewendet werden.
„Beschäftigte und Führungskräfte müssen auf die Anwendung von Künstlicher Intelligenz im Unternehmen vorbereitet werden“, sagt Prof. Dr. Sascha Stowasser, Direktor des arbeitgebernahen Instituts für angewandte Arbeitswissenschaft (ifaa). „Ohne zielorientierte Kompetenzentwicklung verläuft sich die KI-Einführung in Irrwege des Missmutes, der Erfolglosigkeit und des Scheiterns.“. Dabei sei es wichtig zu verstehen, dass nicht alle Beschäftigten und jede Führungskraft tiefgründiges technisches KI-Expertentum vorweisen müsse. Vielmehr solle der sichere und kritische Umgang mit der KI und neue soziale Gefüge gelernt werden.
Was bei der Einführung von KI-Systemen beachtet werden sollte
Neu im Umgang mit KI sei, dass „Beschäftigte und auch Führungskräfte ein reflexives und kritisches Bewusstsein zum Umgang mit Systemen der Künstlichen Intelligenz entwickeln“ müssten. Voraussetzung dafür seien Kenntnisse der grundlegenden Funktionsweisen der jeweiligen KI-Werkzeuge. Mit der Einführung von KI-Systemen seien die Fragen im Blick zu behalten, wie Prozesse und Organisationsstrukturen im Unternehmen, aber auch die Fähigkeiten und Kompetenzen der Beschäftigten beschaffen sein sollten.
Beschäftigte sollten zum Beispiel wissen, welche Funktionen die neuen KI-gestützten Technologien haben, wie mit ihnen umzugehen ist und welche Vor- und Nachteile sie besitzen. Dazu müssten sie nicht gleich zu IT-Experten ausgebildet werden, die Grundlagen über den Umgang mit den neuen Technologien sollten sie aber kennen sein, empfiehlt das ifaa. Die Unternehmen sollten entsprechende Rahmen und Angebote für Training und Weiterbildung schaffen, die die Beschäftigten aktiv und auch selbstverantwortlich wahrnehmen können.
Die Rolle des „Digital Mentors“
Eine Schlüsselrolle bei diesem Bestreben, vor allem in kleinen und mittelständischen Unternehmen, sollen die „Digitalen Mentoren“ spielen. Die Entwicklung dieses neuen Berufsprofils geht auf ein dreijähriges Projekt zurück, das das ifaa zusammen mit den Arbeitsministerium, zahlreichen Arbeitgeberverbänden und den Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) Ende letzten Jahres ins Leben gerufen hat. Es soll „Führungskräfte und Beschäftigte in KMU und ihre Betriebsräte gezielt dazu befähigen, entscheidende (Wissens-)Lücken zu schließen und eine für alle Seiten gewinnbringende KI-Nutzung zu ermöglichen“. Voraussetzung dafür sei, „dass der Digital Mentor neben technischen KI-Grundkenntnissen vor allem Kompetenzen in der Arbeits- und Organisationsgestaltung und in der Gestaltung einer innovationsförderlichen, wertschätzenden Unternehmenskultur besitzt“.
Das Berufsprofil wird vom ifaa wie folgt definiert: Der Digital Mentor
- fokussiert sich darauf, dass neben den betrieblichen Anforderungen an KI auch die Bedarfe und Anforderungen (z. B. Kompetenzen) der Beschäftigten und Führungskräfte von Anfang an im Veränderungs- und Entwicklungsprozess berücksichtigt werden;
- überprüft produktive und präventive Gesichtspunkte beim Einsatz von KI;
- nutzt seine kommunikativen und sozialen Kompetenzen, um alle Beteiligten bei der Einführung und Nutzung von KI einzubinden;
- unterstützt Führungskräfte, Beschäftigte und Betriebsräte beim Veränderungsprozess im Unternehmen;
- unterstützt die Beteiligten in der selbstständigen Weiterentwicklung.
„Zudem soll erprobt werden, inwiefern Betriebsratsmitglieder und weitere betriebliche Akteure selbst als Digitale Mentoren ausgebildet werden und agieren können“, sagt Projektleitern Dr. Martina Frost. Das Projekt sei somit „ein Lern- und Experimentierraum für die präventive Nutzung von KI für und von KMU“.