Mit der richtigen Haltung zur umweltverträglichen IT
Rechenzentren sind Stromfresser und die IT für einen Großteil der CO2-Emissionen verantwortlich. Warum also nicht genau hier mit der Nachhaltigkeit ansetzen? Ein Rechenzentrumsbauer aus Deutschland macht es vor, sowohl in seinem Geschäft als auch in seiner Firmenkultur.
Bis 2025 wird die IT für 20% des globalen Stromverbrauchs verantwortlich sein.
Es wird viel darüber berichtet, dass die IT-Branche durch den Einsatz digitaler Technologien zur Bewältigung globaler Probleme bzw. zur Erreichung der Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen beiträgt. Gleichzeitig ist unbestreitbar, dass die zunehmende Digitalisierung auch Teil des Problems ist: Sie verändert unsere Lebens- und Arbeitsweisen, aber auch die sozialen und wirtschaftlichen Strukturen. Die Einkommensunterschiede werden größer, die zunehmende Automatisierung schafft Unsicherheiten auf dem Arbeitsmarkt, soziale Medien bieten sich für Überwachung und Meinungsmanipulation an – und: die IT verbraucht sehr viel Strom.
Ansteigende Datenmengen werden zum Problem
Ein Problem sind insbesondere die immer größeren Datenmengen und Rechenzentrumsleistungen: Laut Borderstep Institut verbrauchten Rechenzentren in Deutschland 2020 16 Milliarden kWh. Das ist mehr als der Gesamtstromverbrauch der Stadt Berlin 2019 (13,3 Mrd. kWh). In Europa ist der Energiebedarf von Rechenzentren (RZ) zwischen 2010 und 2020 um 55 Prozent gestiegen, von rund 56 auf rund 87 Terrawattstunden pro Jahr.
Der Großteil dieses Bedarfs entsteht in Nord- und Westeuropa. Ein weiterer starker Anstieg ist zu erwarten: Der weltweite Datenverkehr wächst jährlich um etwa 20 Prozent und bis 2025 könnte die IT- und Kommunikationsbranche für 20 Prozent des globalen Stromverbrauchs verantwortlich sein – und bis zu 5,5 Prozent der weltweiten Kohlenstoffemissionen ausstoßen. Das wäre mehr als jeder Staat der Welt verbraucht, mit Ausnahme der USA, China und Indien.
Aus diesem Grund ist es notwendig, die IT – und vor allem die Rechenzentren – auf Nachhaltigkeit auszurichten. Hierzu gehören die Erhöhung der Energieeffizienz, die verstärkte Nutzung von regenerativen Energien (bisher ist weltweit nur etwa 20 Prozent des in Rechenzentren genutzten Stroms aus Erneuerbaren), eine Sektorenkopplung zur Einbettung von Rechenzentren in ihr Umfeld, so dass z. B. Abwärme gezielt genutzt werden kann, sowie Material-Recycling und eine Etablierung von Stoffkreisläufen, um zu einem Zero-Waste-Modell zu kommen.
Prior1: Fokus auf ganzheitliche Nachhaltigkeit
Ein Vorreiter im Thema Nachhaltigkeit ist der mittelständische Rechenzentrumsbauer Prior1 mit Hauptsitz in St. Augustin bei Bonn. Das Unternehmen bietet ganzheitliche Lösungen für betriebssichere, effiziente Rechenzentren, Serverräume und Netzwerkstrukturen. Das Portfolio umfasst Beratungsleistungen, Bau, Betriebsführung und Wartung.
Seit seiner Gründung 2008 setzt das Unternehmen nicht nur auf ökologische Nachhaltigkeit, sondern auch auf ein wertschätzendes und respektvolles Miteinander mit Kund*innen, Partner*innen und Lieferant*innen. Als Akteur in einer energieintensiven Branche sieht sich das Unternehmen, aktuell mit 70 Mitarbeitenden und einem Jahresumsatz von rund 12 Millionen Euro, in besonderer Verantwortung dafür, Energieeffizienz und Klimaschutz voranzutreiben.
Allerdings der Nachhaltigkeitsbegriff wird bei Prior1 noch deutlich weiter gefasst: Unter Nachhaltigkeit versteht das Unternehmen ein unternehmerisches Handeln, das auf langfristigen wirtschaftlichen Erfolg ausgerichtet ist, ohne dabei auf Kosten anderer oder zukünftiger Generationen zu agieren, vor allem hinsichtlich ökologischer und sozialer Aspekte.
Am Anfang stand eine persönliche Entscheidung
Für Geschäftsführer und Gesellschafter Stefan Maier kam der Wendepunkt durch zwei Ereignisse: Die Geburt seiner Tochter und das Buch von Naomi Klein ‚Die Entscheidung Kapitalismus vs. Klima‘. Diese machten ihm bewusst, dass unser aller Wohlstand, auch der seines Unternehmens, auf den Ressourcen der Erde, auf denen der Mitarbeitenden und Partner*innen, sowie auf unseren gesellschaftlichen Rahmenbedingungen beruht. Für ihn ist es deshalb selbstverständlich, dass sein unternehmerisches Handeln auch auf das Gemeinwohl – auch das der zukünftigen Generationen – ausgerichtet sein muss. Dieses umso mehr, da das Unternehmen in einer sehr energieintensiven Branche agiert.
Die Vision von Prior1 ist „das Streben nach unternehmerischer Freiheit durch nachhaltiges und menschliches Wirtschaften.“ Die Umsetzung dieser Vision beinhaltet ökologische, soziale und ökonomische Ziele. Ethisches Verhalten stellt einen zentralen Grundsatz dar. Um diese Vision dauerhaft umzusetzen, nutzt das Unternehmen die Richtlinien der Gemeinwohl-Ökonomie, die mit der Gemeinwohlbilanz ein pragmatisches Konzept zur Überprüfung der ganzheitlichen Nachhaltigkeit in einer Organisation bietet.
Nachhaltiges Denken nach innen und außen
Die Gemeinwohlbilanzierung involviert eine detaillierte Analyse des Status quo der Nachhaltigkeit in Relation zu den verschiedenen Berührungsgruppen des Unternehmens und soll Potential für Verbesserungen aufzeigen. So wurde vor kurzem ein neues, energieautarkes Verwaltungs- und Produktionsgebäude eingeweiht, in dem selbstentwickelte, aus Containermodulen bestehende Rechenzentren produziert werden, die den Kundenbedürfnissen individuell anpassbar sind. Energieeffizienz und nachhaltige Materialien, zusammen mit höchstmöglicher Qualität für den Kunden, haben dabei Vorrang vor einer Preisführerschaft.
Bahncard 100 statt Firmenwagen und Fahrradschenkungen statt Firmenwägen.
Im Kerngeschäft treibt Prior1 die Entwicklung von energievermeidenden und ressourcensparenden Datacenter-Designs bei gleichzeitiger Sicherheit und Zukunftsfähigkeit voran. Seine mittelständische Kundenbasis berät das Unternehmen zu ‚Green IT‘-Themen, zum Beispiel bezüglich der Messung von Einsparpotenzial beim Stromverbrauch, Optimierung der Kühlung durch gezielte Luftführung, Einsatz von umweltfreundlichen Kältemitteln, etc. Gleichzeitig werden nachhaltige Ansätze wie Container aus Holz oder die Nutzung von Abwärme für Gewächshäuser oder Algenzucht erforscht. Und das alles muss sich aus Kundensicht natürlich lohnen. Um das zu veranschaulichen, wurde z. B. ein Tool entwickelt, mit dem der Return-on-Investment (RoI) einer Photovoltaik-Anlage für Kunden errechnet werden kann.
Wirkung durch Anreize
Auf Nachhaltigkeit ausgerichtet ist auch die Firmenkultur. Ein umfassendes Mobilitätskonzept zielt darauf ab, die Schadstoffemissionen bei Geschäftsreisen und Fahrten zur Arbeit zu vermeiden oder wenigstens zu reduzieren. Was unvermeidbar ist, wird kompensiert, zum Beispiel durch Förderung von Klimaschutzprojekten, Ausgleichsflächen und Baumpflanzinitiativen (pro 1.000 Euro Umsatz wird ein Baum gepflanzt).
Gleichzeitig gibt es Anreize für die Mitarbeitenden:
- Die Förderung von Homeoffice und Videokonferenzen durch Ausstattung mit Equipment und Unterstützung der virtuellen Kommunikationswege.
- Anreize für Bahnreisen und Prämien für zurückgelegte Bahn-Kilometer.
- Auswahl von schadstoffarmen oder e-Auto-Modellen als Geschäftsfahrzeuge (abhängig von den zu fahrenden Wegstrecken).
- Prämien für umweltfreundliche Mobilität: Kosteneinsparungen, die hierdurch erzielt werden (z. B. BahnCard 100 statt Firmenwagen), werden zur Hälfte dem Mitarbeiter ausgezahlt.
- Weitgehende Streichung von Flugreisen (Genehmigung der Geschäftsführung notwendig).
- Fahrradschenkungen an Mitarbeitende.
Auch sozial engagiert
Weniger gut messbar, aber vielleicht noch wirkmächtiger ist das gesellschaftliche Engagement von Prior1. Hier wird Zeit, Personal und Wissen eingesetzt, um Geschäftspartner*innen oder der Öffentlichkeit Impulse für nachhaltiges Wirtschaften zu geben. Zum Beispiel:
- Mitarbeitende können sich während der Arbeitszeit sozial engagieren (z. B. im Hospiz arbeiten oder zu einer Klima-Demonstration gehen)
- Mitarbeitende und die beiden Geschäftsführer sind regelmäßig auf Veranstaltungen oder bei Weiterbildungen präsent, halten Vorträge, publizieren und bieten Erfahrungsaustausch
- Das von Prior1 mitinitiierte und -geleitete ‚Forum für Nachhaltigkeit‘ organisiert regelmäßig Veranstaltungen zu Themen des nachhaltigen Handelns und Wirtschaftens.
Was bewirken die Nachhaltigkeitsinitiativen?
Prior1 ist wirtschaftlich stabil, hat eine Vertrauensbasis mit seinen Kunden und arbeitet seit 2018 „CO2 kompensiert“. Mit dieser Wortwahl stellt das Unternehmen klar, dass es immer noch CO2 emittiert – also nicht CO2 neutral ist –, aber alle nicht-vermeidbaren Emissionen kompensiert werden.
Obwohl Wachstum kein Unternehmensziel ist, ist das Unternehmen über die Jahre von ursprünglich geplanten 20 auf mittlerweile 70 Mitarbeitende gewachsen. Die Zufriedenheit ist hoch, da die Mitarbeitenden Sinnhaftigkeit und Eigenwirksamkeit in ihrer Arbeit erfahren.
Und die Entwicklung geht weiter: Im nächsten Schritt arbeitet Prior1 am Projekt ‚NextLand‘: Der Transformation des Unternehmens hin zu einer selbstführenden Organisationsform, deren wichtigste Grundpfeiler hohe Transparenz sowie substanzielle Mitarbeiterbeteiligung sind. So treffen die Mitarbeitenden z. B. Investitions- und Personalentscheidungen und partizipieren an Gewinnausschüttungen. Durch Schulung und Weiterbildung (z. B. in gewaltfreier Kommunikation) werden die Mitarbeitenden auf diese neue Organisationsform vorbereitet.