
Wie KI im Versicherungswesen Komplexität reduzieren und Workflows rationalisieren kann
Klassische Prozesse mit langen Produktzyklen und ausgelagerter Sachbearbeitung sind aus heutiger Sicht zu aufwändig. Eine digitale Plattform kann mithilfe von KI und eines vorgeschalteten Produktmodells komplexe Tarifwelten effizient abbilden und Workflows schlank halten.
Die Versicherungsbranche steht vor verschiedensten Herausforderungen: hoher regulatorischer Druck, Kostensteigerungen, Fachkräftemangel und Mitarbeiterfluktuation. Hinzu kommen lange Einführungszyklen neuer Produkte, obwohl der Markt immer komplexer wird und gleichzeitig Flexibilität, Effizienz und Schnelligkeit verlangt. Und nicht zuletzt steigende Kundenansprüche und starke Konkurrenz mit agilen Start-Ups. Versicherer versuchen die Vielzahl der Probleme zu lösen, indem sie digitale Projekte anstoßen und Teile der Sachbearbeitung an externe Call- und Schadencenter outsourcen.
Die aktuellen Herausforderungen verursachen bei den Versicherern messbare Verluste.
Dadurch entstehen allerdings in der Regel Mehrkosten und die Servicequalität leidet. Unter anderem, weil die Aufgaben in chronologischer Reihenfolge vergeben werden und nicht nach Kompetenzlevel der Mitarbeiter. Und, weil Informationen nicht vorliegen, so dass grundsätzliche Fragen im Kundenkontakt geklärt werden müssen. Stehen die benötigten Informationen nicht zur richtigen Zeit bereit, entgehen im Vertrieb Umsatzpotenziale – und die Kundenbindung leidet. Im Bereich der Schadenregulierung sind die Verluste sogar konkret messbar: die Zeit der Schadenlücke beim Kunden, das Mehr an Anfragen im Support, der höhere manuelle Aufwand, wenn die Technik nicht adäquat unterstützt.
Prozessautomatisierung und Workflows
Nun sind Workflows und Prozessautomatisierung in IT-Systemen heute gang und gäbe, die Integration von künstlicher Intelligenz in aller Munde und an sich eine gute Idee. Was dabei allerdings vergessen wird: Die KI ist kein Allheilmittel und nicht die Lösung aller Probleme, schon gar nicht in einem stark regulierten Markt wie dem Versicherungswesen. Das individuelle Prompten ist oft nicht präzise genug, um die Anforderungen erfüllen zu können. KI funktioniert hier nur, wenn die Komplexität der Workflows begrenzt ist: Sie muss die richtigen Aufgaben für jeden Fall auswählen, die Konditionen herausziehen, etwa bei Tarifanpassungen, den Regeln und der Logik folgen.
Hinzu kommt: Die KI hat kein Gedächtnis und kann ihre Entscheidungsfindung nicht dokumentieren. Ist eine Entscheidung aber weder nachvollziehbar, noch reproduzierbar, ist sie nicht revisionssicher: Gerade bei der Prüfung, ob ein Schaden ausgezahlt oder ein Kredit gegeben wird, darf nicht willkürlich entschieden und schon gar nicht diskriminiert werden. Deswegen muss ein System in der Lage sein, die Entscheidungsbedingungen darzulegen, transparent und nachvollziehbar zu machen.
Ein Produktmodell kann diese Probleme beim Einsatz von KI lösen, indem es die Komplexität der Workflows reduziert: Die gesamte Logik und alle Regeln werden im Produktmodell hinterlegt, nicht in den Workflows. Diese bleiben schlank und übersichtlich. Das erlaubt es, auch hochkomplexe Versicherungswelten mit Tausenden Tarifen, deren Bausteine Millionen mögliche Varianten ergeben können, abzubilden – ein Umfang, der in Workflows allein schlicht nicht mehr untergebracht werden kann. Schon die einfache Aktualisierung von bestehenden Tarifen würde damit unmöglich.
Den gesamten Lebenszyklus im Blick
Mit dem Produktmodell kann dagegen der gesamte Lebenszyklus einer Versicherung abgedeckt werden: Welcher Kunde wann welchen Vertrag abschließt, wie lange welche Varianten bestehen und welche Upgrade- oder Cross-Selling-Potenziale es gibt. Das Produktmodell ist damit der Steuerstand im Bestandsmanagement, an dem alle Informationen zusammenlaufen und die Daten kumuliert werden. Es hält die Daten, Regeln und Abhängigkeiten strukturiert lesbar für die KI vor.
Die Intervista AG aus Potsdam hat eine digitale Plattform zur automatisierten Bestandsverwaltung für die Deutsche Familienversicherung (DFV), ein führendes Insurtech, entwickelt und implementiert. Die Plattform nutzt ein Produktmodell für die Prozesssteuerung. Damit wurde das Unternehmen von Grund auf digitalisiert und das alte Bestandsführungssystem mit angeschlossenem Callcenter für individuelle Anfragen abgelöst. Die DFV tritt heute als moderner Digitalversicherer auf, der seine Versicherungsprodukte vollständig digital vertreibt und verwaltet.
Beine Kundenanfragen stellt das Produktmodell die benötigten Informationen zur richtigen Zeit am richtigen Ort zur Verfügung.
Bei Kundenanfragen, wie einer Schadensregulierung, muss nur noch der Abgleich mit dem Kunden stattfinden: Die KI übernimmt diese Aufgabe, den Kunden bei der Kontaktaufnahme über die Website zu identifizieren. Aus dem Produktmodell zieht sie die Vertragsunterlagen und kann Fragen im Kundenkontakt gezielt beantworten – etwa den Haftpflichtschaden des Fahrrads ablehnen, wenn das Rad gar nicht versichert ist – und Angebote unterbreiten – etwa für eine Fahrradhaftpflicht. Damit stehen die benötigten Informationen zur richtigen Zeit am richtigen Ort zur Verfügung. Es ist keine Recherche mehr notwendig und die Rückmeldung an den Kunden erfolgt sofort.
Idealerweise ist die KI in der Lage, einen sogenannten Mode Change vorzunehmen – und von der Schadensbearbeitung auf eine Vertragsänderung oder einen Neuvertrag umzuschalten, wenn die Konversation das erfordert. Viele KIs decken heute nur einen dieser Kanäle ab.
Die Vorteile
Ohne Produktmodell läuft eine Prozessplattform auch mit KI Gefahr, zur Titanic zu werden – zu träge, vor dem Eisberg abzuwenden, weil die Reaktionszeit zu groß ist. Mit dem Produktmodell als Steuerstand wird der IT-Tanker manövrierfähig: Informationen liegen zum richtigen Zeitpunkt vor, Recherche und Rückfragen sind nicht mehr notwendig.
Versicherer können Neukunden gewinnen, ohne massiv Personal aufbauen zu müssen.
In der Praxis bedeutet das, dass Unternehmen ihre „digitale Dividende“ heben können: Sie können (hundert)tausende Neukunden gewinnen, ohne massiv Personal aufbauen zu müssen. Das Portal ist in der Lage, Policierung und Schadenregulierung durch das Produktmodell und die damit mögliche Dunkelverarbeitung innerhalb von Sekunden zu ermöglichen – der Kunde hat nach 45 Sekunden die Auszahlung auf seinem Paypal-Konto. Die Plattform kann diese regelbasierten Aufgaben rund um die Uhr in gleichbleibender Qualität verlässlich abarbeiten und die Belegschaft von Verwaltungsaufgaben entlasten. Muss ein Mensch über einen Antrag entscheiden, kann er das auf Basis einer von der KI generierten Vorlage in kurzer Zeit tun.
Produkte können durch die Flexibilität im Produktmodell bausteinartig kombiniert und konfiguriert werden, was einer Time-to-Market von Minuten entspricht. Daraus resultieren eine stärkere Performance und ein Wettbewerbsvorsprung durch maximale Agilität, egal, ob es sich um eine neue Produktidee oder die Umsetzung einer neuen Rechtsprechung handelt. Schlanke Workflows und der rechtssichere, weil dokumentierte Einsatz von KI begegnen der zunehmend strengeren Regulatorik. All das verbessert die Resilienz von Unternehmen: Das Knowhow steckt sicher im Produktmodell. Die Deutsche Familienversicherung war damit in der Lage in vier Wochen eine neue Tierversicherung aufzusetzen und Release-unabhängig über Konfigurationen Anpassungen vorzunehmen.
Damit ist das Prozessmodell nicht nur bei der Schadensregulierung und im Vertrieb sinnvoll, sondern auch in allen anderen Belangen wie Provision, Buchhaltung, Exkasso oder Vertragspartnerbetreuung.
Fazit
Mit dem Produktmodell als Steuerstand ihres Bestandsverwaltungssystems werden Versicherer agiler, schneller und regulatorisch sicherer. Die klare Trennung von Regeln, Daten und Workflows ermöglicht die revisionssichere Nutzung von KI, steigert die Servicequalität und erschließt neue Umsatzpotenziale im Vertrieb. Die Plattform erlaubt es, Produkte in kürzester Zeit zu konfigurieren und komplexe Prozesse zu automatisieren, ohne die Flexibilität zu verlieren. Damit wird aus schwerfälligen IT-Strukturen ein manövrierfähiges System, das den steigenden Marktanforderungen begegnet und die digitale Transformation vorantreibt.