Welche menschlichen Kompetenzen sind im KI-Zeitalter wichtig?

Assessment Center haben KI längst für sich entdeckt und nutzen die Technologie sowohl als Hilfsmittel als auch als Testthema für Kandidaten. Beurteilt wird dabei nicht nur die KI-Kompetenz, sondern auch die sinnvolle Arbeitsaufteilung zwischen Mensch und KI. 

Von der Fallstudie bis zur Führungssimulation: Assessment-Center sind Beurteilungsverfahren, in denen neben Gesprächen simulierte Arbeitsproben der späteren Zukunft im Vordergrund stehen. Nun stehen aber Fragen im Raum wie
Welche Kompetenzen sind in einer durch KI geprägten Arbeitswelt noch rein menschlich?
→ Und welche sollten es überhaupt sein?
Der technologische Fortschritt stellt klassische HR-Instrumente vor neue Herausforderungen und eröffnet Chancen für mehr Effizienz und Relevanz.

KI ist bereits Teil des Assessments – ob wir wollen oder nicht.

Assessment Center gelten als besonders valide Methode der Potenzialdiagnostik. Doch mit der wachsenden Verfügbarkeit von generativer KI wie ChatGPT & Co. verändert sich die Realität vieler Übungen. So lassen sich Fallstudien zunehmend automatisiert lösen, Präsentationen mithilfe von KI vorbereiten und selbst bei Gesprächssimulationen ist es nicht mehr ganz leicht zu sagen, wie viel davon der Mensch selbst und wie viel die Maschine vorab geplant und vorstrukturiert hat.

Effizienzsteigerung durch gezielten KI-Einsatz

Gleichzeitig sind die regulatorischen Rahmenbedingungen klar: Der EU AI Act begrenzt den alleinigen KI-Einsatz zur Kompetenzbeurteilung. Menschliche Aufsicht und Verantwortung bleiben zwingend notwendig. Das verhindert aber nicht, dass KI faktisch bereits mit im Raum sitzt – sei es in der Vorbereitung, in der Auswertung oder in der Aufgabenlösung selbst.

Lesetipp

Für HR-Abteilungen ergeben sich daraus klare Potenziale: KI kann administrative Aufgaben im Assessment effizienter gestalten, etwa durch automatisierte Textanalysen, Echtzeit-Codierung von Interviews oder den intelligenten Abgleich von Profilanforderungen mit Kandidatenmerkmalen.

Zudem eröffnet der bewusste Einsatz von KI neue diagnostische Möglichkeiten. Bei sogenannten „Embrace“-Formaten wird die Nutzung von KI gezielt erlaubt – beispielsweise bei der Vorbereitung strategischer Aufgaben – und im Anschluss kritisch reflektiert. Fragen wie „Wie sind Sie bei der KI-Nutzung vorgegangen?“ oder „Welche Ergebnisse hätten Sie ohne KI anders gestaltet?“ helfen, eine neue Schlüsselkompetenz sichtbar zu machen: reflexive KI-Kompetenz.

Wo KI sinnvoll ist und wo nicht

In unserer praktischen Arbeit haben sich zwei Strategien zur Integration von KI bewährt:

  • Restrict: Übungsdesigns, die die Nutzung von KI erschweren oder ausschließen – z. B. mündlich instruierte Kurzrollenspiele, spontane Interview-Elemente oder interaktive Fallstudien mit situativer Informationsvergabe. Diese Formate ermöglichen eine unverfälschte Beobachtung menschlicher Reaktion, Interaktion und Problemlösung.
  • Embrace: Formate, die den KI-Einsatz explizit zulassen und diagnostisch fruchtbar machen – insbesondere durch anschließende Reflexionsphasen über die Art, Qualität und Grenzen der KI-Nutzung.

Die Wahl hängt stark vom Ziel der Übung und damit den Anforderungen des Kunden ab. Für analytisch-strategische Aufgaben kann der KI-Einsatz wertvolle Hinweise auf Anwendungskompetenz geben. Für zwischenmenschlich geprägte Formate bleibt die menschliche Spontanität bislang unverzichtbar. Hierzu zählen zum Beispiel Führungsdialoge oder Konfliktgespräche. 

Kompetenzen im Wandel:

Was wird durch KI nivelliert, was gewinnt an Bedeutung?

Die Integration von KI verändert nicht nur die Methoden, sondern auch die Inhalte des Assessments. Auf Basis unserer Analysen lassen sich vier zentrale Kompetenzfelder differenzieren:

1. Kognitive Kompetenzen

  • Weniger relevant: basale Problemlösungen, Faktenwissen, klassische Intelligenztests
  • Wichtiger: kritisches Denken, Co-Kreativität, Fähigkeit zur Kontextualisierung von KI-Ergebnissen

2. Unternehmerisches Denken

  • Automatisierbar: Marktanalysen, Businessplan-Simulationen, Ideengenerierung
  • Bleibt menschlich: Entscheidungsmut, Verantwortungsübernahme, Zielverfolgung unter Unsicherheit

3. Strategisches Denken

  • Teilweise delegierbar: SWOT-Analysen, Prognosen, Musterauswertung
  • Wesentlich menschlich: Zielsetzung mit Sinnbezug, ethische Abwägung, Priorisierung im Kontext

4. Führungskompetenz

  • Standardisierbar: operative Aufgabensteuerung, Ressourcendisposition
  • Zentral: emotionale Führung, Motivation, Change-Begleitung und Sinnvermittlung

Reflexive KI-Kompetenz – Die neue Schlüsselqualifikation

Ein Verständnis von KI-Kompetenz, welches den Umgang mit KI nicht nur auf der technischen Seite, sondern auch als persönliche Herausforderung begreift, sollte zwei Facetten von KI-Kompetenz integrieren:

  1. Technisch-fachlich: Wissen über Systeme, Datenmanagement und effektive Nutzung
  2. Reflexiv: kritische Würdigung, ethische Bewertung, strategische Integration von KI-Ergebnissen

Gerade letztere Dimension wird im Assessment Center zentral: Wer KI nutzen kann, ohne sich ihr auszuliefern – wer Ergebnisse kontextualisieren, infrage stellen und weiterentwickeln kann – zeigt jene übergeordnete Kompetenz, die in einer hybriden Arbeitswelt erfolgskritisch sein wird.

Die Zukunft ist hybrid – und das ist gut so

Wird der Mensch im Assessment Center überflüssig? Die Antwort lautet klar: nein. Aber seine Rolle verändert sich. Die Zukunft liegt nicht im Entweder-oder, sondern im sinnvollen Zusammenspiel von menschlichem Urteilsvermögen und technologischer Unterstützung. Für HR bedeutet das, dass sich nicht nur Formate und Prozesse, sondern auch Bewertungsmaßstäbe und Kompetenzmodelle weiterentwickeln müssen. Wer KI klug integriert, gewinnt nicht nur an Effizienz, sondern auch an diagnostischer Tiefe.


Über die Autoren

Über die Autoren

Michael Paschen ist Managing Director bei Profil M, einem Beratungsunternehmen für Human Resources Management. Seit über 25 Jahren führt er bei Unternehmen nachhaltige Talent Management- und Assessment-Prozesse ein. Dabei setzt der Diplom-Psychologe auf moderne Diagnostik, wie beispielsweise digitale und App-basierte Tools.

Jacqueline Bachmann ist als Junior Consultant bei Profil M tätig. Die Psychologin konzipiert und führt Präsenz- und Remote-Assessment- und Development-Centern zur Auswahl und Standortbestimmung von Potenzialträger*innen und jungen Führungskräften in Unternehmen durch. In ihrer täglichen Arbeit integriert sie eine Vielfalt an Methoden und beleuchte Themen aus unterschiedlichen Perspektiven.

 

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