Wunsch vs. Wirklichkeit: Der Wandel in der deutschen Arbeitswelt

Arbeitsbedingungen, Zusammenarbeit, Gleichberechtigung, Fachkräftemangel: Die Studienreihe „So arbeitet Deutschland“ beleuchtet den Status Quo der Arbeitswelt und gibt Ausblicke auf mögliche Entwicklungen.

Wird Remote Work auch weiterhin auf der Erfolgswelle schwimmen?

Noch vor einen halben Jahr wären Home-Office-Regelungen in vielen Unternehmen nicht denkbar gewesen. Aus der So  arbeitet  Deutschland-Studienreihe* geht hervor, dass das Arbeiten von zu Hause in Deutschland  vor 2017  noch  in  den Kinderschuhen  steckte: Lediglich 12 Proze nt ihrer Arbeitszeit verbrachten  die Befragten zu Hause. Der Wunsch nach mobilem Arbeiten war allerdings damals schon groß: 39 Prozent  hätten lieber häufiger fern des Büros gearbeitet, wurden aber oftmals aus den verschiedensten Gründen ausgebremst. Verwundert stellen nun auch die letzten Skeptiker fest: es geht ja doch. Wird Remote Work auch weiterhin auf dieser Erfolgswelle schwimmen?

Es ist schwierig hierzu verlässliche Prognosen abzugeben. Sicher ist aber, dass bei all den Veränderungen, die derzeit auf uns zukommen, eines immer im Fokus stehen sollte: die Bedürfnisse (potenzieller) Mitarbeiter. Darauf fußt auch unsere So arbeitet Deutschland-Studienreihe, die der Leitfrage nachgeht: Wie arbeiten Angestellte und Freelancer heute – und was wünschen sie sich für morgen?

Remote Work: mehr als eine Notlösung?

Die in der aktuellen Krise quasi erzwungene Flexibilisierung und Digitalisierung der täglichen Arbeitsabläufe verdient große Anerkennung. Unternehmen und ihre Mitarbeiter haben in den vergangenen Monaten Großes geleistet. Corona fungiert hier als Digitalisierungstreiber und Entwicklungsbeschleuniger einer Arbeitswelt, die bislang häufig von überkommenen Vorstellungen ausgebremst wurde. Viele bis dato vernachlässigte Tools wie Video-Conferencing-Software sind aktuell alternativlos und müssen verlässlich funktionieren.

Klar ist aber auch: Es handelt sich um ein gewaltiges Experiment, das sich erst beweisen muss. Nicht jede oder jeder kann von zu Hause arbeiten oder wird für immer auf Dienstreisen verzichten (können). Wie stark und selbstverständlich wir nach der Corona-Krise Remote Work als mögliche Arbeitsform für viele Beschäftigungsgruppen anerkennen und leben werden, hängt von einzelnen Unternehmen und Aufgabenbereichen ab.

Die diskriminierte „Quotenfrau“ 

Bedeutet Remote auch einen Rückfall in alte Rollenmodelle? Zuletzt rückten die Themen Rollenverteilung und der Gender Pay Gap wieder in den Fokus der Öffentlichkeit – und es wurde hitzig diskutiert, teils auch durchaus kontrovers. Die So arbeitet Deutschland Studienreihe zeichnet hier ein relativ klares Bild: Männer und Frauen sollten im Job gleichbehandelt werden – das finden 91 Prozent der Befragten. Ein wünschenswerter Anspruch, dem die Realität jedoch oft nach wie vor nicht standhält. Denn mehr als die Hälfte der Frauen (60 Prozent) wurde bereits aufgrund ihres Geschlechtes benachteiligt, während umgekehrt 66 Prozent der Männer noch nie diskriminiert wurden. 

Doch Frauen trifft die Benachteiligung nicht nur ungleich stärker, sondern zudem auch noch in den einschlägigsten Bereichen. So zeigt sich ihre Diskriminierung vordergründig beim Gehalt (52 Prozent) und bei Beförderungen (31 Prozent). Männer hingegen erfahren hauptsächlich eine ungleiche Behandlung, wenn es um Lob und Anerkennung (20 Prozent) und die Projekt- und Aufgabenverteilung (15 Prozent) geht. Und auch bei der Einstellung haben Frauen mit Vorurteilen zu kämpfen: So denken zumindest knapp die Hälfte der Befragten (47 Prozent), dass Mitarbeiterinnen in Unternehmen eingestellt werden, um eine Frauenquote zu erfüllen. 

Zwei von drei Männern wurden noch nie diskriminiert.

Die aktuelle Studie zeigt vor allem eines: das Bewusstsein für Gleichberechtigung ist da – doch im Arbeitsalltag leider noch nicht angekommen. Hier sind Führungskräfte gefragt: Gleichberechtigung im Job ist Chefsache und muss vom Management (vor)gelebt werden. Dem stimmen 70 Prozent der Befragten zu und fordern, dass Impulse hierfür von der Führungsebene kommen müssen. Zu den Top-3-Maßnahmen für mehr Chancengleichheit zählen: objektive Leistungsbewertungen (65 Prozent), eine entsprechende Unternehmenskultur, die Chancengleichheit fördert (56 Prozent) sowie die flexible Gestaltung des Arbeitsalltags (41 Prozent). Viele Familien standen während des Lockdowns vor der Herausforderung, ihre Kinder zu Hause zu betreuen. Das wäre ohne eine vertrauensvolle Unternehmenskultur nicht möglich gewesen und hat zudem manch einen für die notwendige Vereinbarkeit von Familie und Beruf sensibilisiert.

Kampf gegen den Fachkräftemangel: Alte Strukturen aufbrechen 

Auch in ein anderes, bereits seit längerem bestehendes Thema kam nicht zuletzt durch die Situation der vergangenen Monate in Bewegung: Der Fachkräftemangel, der Unternehmen vor große Herausforderungen stellt. Ein Blick auf die aktuelle Situation zeigt, dass sich durch die Corona-Pandemie die Verhältnisse verschoben haben. Der bis dahin stark Bewerber-zentrierte Markt wandelt sich gerade wieder zugunsten der Arbeitgeber. 

Dies ist natürlich eine Momentaufnahme in einer Extremsituation und klar ist auch, dass der Fachkräftemangel nicht einfach über Nacht verschwindet. Das spüren auch die Befragten, denn lediglich 11 Prozent bemerken keine Auswirkungen aufgrund fehlender Experten auf dem Arbeitsmarkt. Der deutlichen Mehrheit sind die gravierenden Folgen für die deutsche Wirtschaft bewusst. Sie zeigen sich aus ihrer Sicht durch fehlendes Wissen (52 Prozent), verminderte Arbeitsqualität (49 Prozent) und ein schlechtes Betriebsklima (48 Prozent).

Die Integration ausländischer Fachkräfte in den Arbeitsmarkt funktioniert in den europäischen Nachbarländern viel besser.

Dass Unternehmen im Zuge des sich verschärfenden Fachkräftemangels dringend etwas tun müssen, steht außer Frage. Um hier konkret entgegenzuwirken, benötigt Deutschland neue Lösungen. Die Integration von Quereinsteigern (49 Prozent), der Ausbau des Angebots für Ausbildungsberufe (38 Prozent) und die Erhöhung der Frauenerwerbstätigkeit (36 Prozent) zählen hier zu den erfolgsversprechenden Maßnahmen. Erstaunlich ist: Die Erhöhung des Renteneintrittsalters findet kaum Anklang bei den Befragten (4 Prozent). Was in vielen europäischen Nachbarländern bereits sehr erfolgreich praktiziert wird, ist die Integration ausländischer Fachkräfte in den Binnenarbeitsmarkt. Hier schlummert bedeutendes und dabei zugleich ungenutztes Potenzial – das deutsche Unternehmen verstärkt nutzen sollten.

Was wir daraus lernen

Die Corona-Pandemie hat den Druck auf viele Unternehmen erhöht. So wurden in unfassbar kurzer Zeit zuvor lange vernachlässigte, aber groß proklamierte Konzepte à la New Work Realität. Das Zielbild Neue Arbeitswelt wurde in Zeiten von Social Distancing durch Remote Arbeiten abgelöst. All das birgt allerdings auch ernsthafte Gefahren für die (mentale) Gesundheit der Mitarbeiter, die nicht verschwiegen werden dürfen. In einer vorherigen Edition der Studienreihe konnten wir bereits feststellen, dass beispielsweise die ständige Erreichbarkeit aufgrund verschwimmender Strukturen im Homeoffice, bei falscher Umsetzung im direkten Zusammenhang zu Belastungsstörungen, Ermüdung und Problemen bei der Bewältigung des Alltags stehen und so letztlich zu einem Anstieg von Krankmeldungen führt(e). 

Ohne eine in der Firmenkultur verankerte Work/Life-Balance wird Remote Work auf Dauer nicht „gesund“ funktionieren.

So sehen 63 Prozent der deutschen Arbeitnehmer und Freelancer mentale Probleme wie Burnout oder Schlafstörungen bereits jetzt als eine Folge von einer unausgeglichenen Work-Life-Balance. Pausen von der Arbeit sind wichtig und richtig, um den Stresspegel herunterzufahren, einen Erholungseffekt zu erreichen und kreativ sowie motiviert zu bleiben. Eine in der Unternehmenskultur verankerte Work-Life-Balance sowie eine grundsätzliche Sensibilisierung sind hier Voraussetzungen, ohne die Remote Work auf Dauer nicht „gesund“ funktionieren wird. Wir konnten feststellen, dass virtuelle Kaffeepausen und Yoga-Stunden als Präventivmaßnahme sehr gut geeignet sind – gleichzeitig stärken sie auch das Teamgefühl.

Eines muss uns klar sein: Im Mittelpunkt sollte immer der Mensch stehen. Denn nur wenn Personalverantwortliche und Führungskräfte die Bedürfnisse ihres Teams kennen und berücksichtigen, sind sie in der Lage, ein Arbeitsumfeld zu kreieren, in dem sich jeder frei entfalten kann.  Auch die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist und bleibt ein entscheidendes Thema – kein Unternehmen und keine Branche wird es sich auf Dauer leisten können, auf die Hälfte der Bevölkerung und ihren Kompetenzen zu verzichten. Denn der Kampf um die besten Köpfe wird sicher auch in der (Post-)Corona-Phase nicht abebben!


* So arbeitet Deutschland-Studienreihe, bei der SThree regelmäßig die Wunscharbeitswelt von Arbeitnehmern und Freelancern in Deutschland mit deren Wirklichkeit vergleicht. Für die aktuelle (siebte) Edition wurden in Zusammenarbeit mit Kantar 1.990 Angestellte und Freelancer aus der IT-, der Ingenieur-Branche sowie einem Querschnitt aller weiteren Branchen befragt. Regelmäßig Updates dazu sowie ein Whitepaper finden Sie auch unter so-arbeitet-deutschland.com sowie auf dem Instagram-Account So_arbeitet_Deutschland.


Über den Autor

Über den Autor

Timo Lehne ist Managing Director für den deutschsprachigen Raum beim Personaldienstleister SThree.

 

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