Die größten Herausforderungen von Homeoffice und Remote Work
Die Begeisterung über die neue Flexibilität, die Corona der digitalen Arbeitswelt beschert hat, verstellt oft die Sicht auf die damit einhergehenden Probleme. Microsoft hat eine große Studie veröffentlicht, die diese jetzt offenlegen.
Hand aufs Herz: Wann haben Sie zuletzt als Führungskraft ihre Teammitglieder persönlich gefragt, wie es ihnen wirklich damit geht? Sollten Sie es tatsächlich schon mal getan und daraufhin ein etwas flaues Gefühl im Magen bekommen haben: Glückwunsch, Ihre Antennen sind noch auf Empfang und haben die Signale richtig gelesen.
„Wir müssen ‚Produktivität‘ viel breiter definieren.“ Satya Nadella, CEO von Microsoft
Microsoft wollte die Auswirkungen von Homeoffice und Remote Work genau wissen und hat im Januar dieses Jahres eine Umfrage unter mehr als 30.000 Arbeitenden in 31 Ländern durchgeführt. Die Ergebnisse wurden anschließend mit Nutzungsdaten aus Office/Microsoft 365 kombiniert, um Erkenntnisse über Veränderungen der Arbeitsweise zu gewinnen. Herausgekommen ist eine Studie (PDF), deren sieben Erkenntnisse einiges zu denken geben.
1 Die neue Arbeitswelt ist hybrid
Die Flexibilisierung der Arbeit ist unumkehrbar. Übereinstimmend mit vielen anderen Studien, die in den letzten 12 Monaten durchgeführt wurden, sagt eine Mehrheit von 70 Prozent der Befragten, dass sie auch künftig ihr Homeoffice nicht missen möchte. Zugleich sagten 65 Prozent, dass ihnen der Kontakt zu ihren Kollegen abgeht. Alles deutet also daraufhin, dass in Zukunft eine Mischung aus Home und Office gefahren werden wird. „Homeoffice pur“ ist weniger gefragt, auch wenn es vor einem Jahr als „Neue Normalität“ gepriesen wurde.
„Im vergangenen Jahr hat sich kein Bereich so schnell verändert wie die Art und Weise, wie wir arbeiten“, stellt Microsoft-Chef Satya Nadella fest – und denkt das Thema ein bisschen weiter: „Die Erwartungen der Mitarbeiter ändern sich und wir müssen Produktivität viel breiter definieren – einschließlich Zusammenarbeit, Lernen und Wohlbefinden – um die Karriere eines jeden Mitarbeiters voranzutreiben. All dies muss mit der Flexibilität einhergehen, wann, wo und wie die Menschen arbeiten wollen.“
2 Führungskräfte verlieren den Kontakt zu Mitarbeitern
Der Unterschied zwischen Managern und Arbeitenden, was die Wahrnehmung der Situation betrifft, ist beträchtlich. Führungskräfte haben es in vielerlei Hinsicht besser, stellt der Bericht fest. Das mag sehr wohl mit äußeren Bedingungen zu tun haben, wie beispielsweise dem höheren Einkommen und der damit verbundenen Wohnsituation, die einem eine angenehmere Gestaltung des Alltags erlaubt. So sagten 61 Prozent der Führungskräfte, dass sie im Homeoffice „aufgeblüht“ sind, während dieser Anteil bei nichtleitenden Arbeitenden je nach Alter und Familienstand irgendwo zwischen 46 und 33 Prozent liegt (siehe Grafik).
Außerdem fühlen sich viele Arbeitende isoliert und 37 Prozent der Befragten sagten, dass ihre Unternehmen in Zeiten wie diesen zu viel von ihnen verlangen. „Spontane Begegnungen im Büro helfen den Führungskräften, ehrlich zu bleiben“, sagt Jared Spataro, Corporate Vice President bei Microsoft. „Bei der Fernarbeit gibt es weniger Gelegenheiten, die Mitarbeiter zu fragen: ‚Hey, wie geht es dir?‘ und dann wichtige Hinweise aufzugreifen, während sie antworten. Aber die Daten sind eindeutig: Unsere Mitarbeiter haben es schwer. Und wir müssen neue Wege finden, ihnen zu helfen.“
3 Das Plus an Produktivität ist mit Erschöpfung verbunden
Zahlreichen Studien zufolge hat die Produktivität seit dem Ausweichen aufs Homeoffice kaum gelitten, das bestätigt auch Microsoft. Eher das Gegenteil war der Fall. Allerdings sei der Preis für viele sehr hoch gewesen. Was fast noch schlimmer ist: Jeder fünfte Befragte sagte, dass sich sein Arbeitgeber nicht um seine Work-Life-Balance interessiert, 54 Prozent fühlen sich überlastet und 39 Prozent erschöpft. Letzteres bestätigen auch „Billionen von Produktivitätssignalen“, die Microsoft über sein Office 365 erfasst hat.
Die statistischen Werte der Collaboration-Plattform Teams zeugen davon: Die Meetings haben an Dauer zugenommen (von durchschnittlich 35 auf 45 Minuten), die Chat-Nachrichten haben um 45 Prozent zugelegt. Bezeichnend: Auch die Chat-Nachrichten außerhalb der „normalen“ Arbeitszeit haben um 42 Prozent zugenommen, Tendenz weiter steigend. Diese Flut an Kommunikation sei unstrukturiert und meist ungeplant, so der Bericht. Etwa 62 Prozent der Anrufe und Meetings würden ad hoc durchgeführt und die Mitarbeiter spüren den Druck, mithalten zu müssen. Auch zahlreiche andere Messwerte belegen, dass die Intensität des Arbeitsalltags und die Erwartungen an die Mitarbeitenden in dieser Zeit deutlich gestiegen sind.
4 Die Generation Z ist gefährdet und muss neu belebt werden
Die Generation Z (auch „Zoomer“ genannt, das sind die nach 1996 geborenen) besteht meist aus Alleinstehenden, die am Anfang ihrer beruflichen Laufbahn stehen, und bekommen die Auswirkungen der Isolation besonders zu spüren. Rund 60 Prozent der Berufseinsteiger im Alter zwischen 18 und 25 haben das Gefühl, dass sie sich einfach nur abmühen oder „überleben“. Oft fehlen ihnen die finanziellen Mittel hat, um sich zu Hause einen richtigen Arbeitsplatz einzurichten. Auch berichten sie von Schwierigkeiten, sich für die Arbeit zu engagieren oder zu begeistern, in Meetings zu Wort zu kommen und neue Ideen einzubringen.
Ohne zufällige Begegnungen auf dem Flur oder Gespräche beim Kaffee ist es schwierig, unter Kollegen Anschluss zu finden.
Was ihnen eindeutig fehlt, ist der Anschluss an die Kollegen und richtige Führung. „Für jemanden, der noch am Anfang seiner Karriere steht, ist seit der Umstellung auf Remote-Arbeit das Netzwerken viel schwieriger geworden“, sagt Hannah McConnaughey, Product Marketing Manager bei Microsoft. Ohne zufällige Begegnungen auf dem Flur oder die Gespräche bei einem Kaffee sei es schwierig, sich auch nur mit dem unmittelbaren Team verbunden zu fühlen, geschweige denn sinnvolle Verbindungen innerhalb des Unternehmens aufzubauen.
Hier sei Gefahr im Verzug, so die Studie, denn die ersten Berufserfahrungen prägen die künftige die Haltung zur Arbeitswelt und das Verhältnis zu Arbeitgebern. Die Sicherstellung, dass die Generation Z ein Gefühl von Sinn und Wohlbefinden empfindet, sei ein dringendes Gebot bei der Umstellung auf Hybrid Work.
5 Schrumpfende Netzwerke gefährden die Innovation
Isolation im Privatleben hat ihr Pendant im Beruf, stellt die Studie fest. Anonymisierte Auswertungen von Milliarden von E-Mails und Teams-Meetings würden zeigen, dass die Verlagerung auf Fernarbeit die beruflichen Netzwerke schrumpfen ließ. So nahmen die Interaktionen mit den unmittelbaren Kollegen zwar zu, die Interaktionen außerhalb dieses Kreises aber ab. Das deute darauf hin, dass sich die meisten während des Lockdowns an ihren Teams klammerten, der Kontakt zum erweiterten Netzwerk aber auf der Strecke blieb.
Einfach ausgedrückt seien die Unternehmen nun stärker isoliert als vor der Pandemie. Und als sei das nicht schlimm genug, beobachtet Microsoft, dass auch die Interaktionen mit unserer engeren Umgebung, die heute noch häufiger sind als noch vor Beginn der Pandemie, mit der Zeit abnehmen. „Wenn man Verbindungen verliert, hört man auf, innovativ zu sein“, warnt Dr. Nancy Baym, Senior Principal Researcher bei Microsoft. Es werde immer schwieriger, neue Ideen einzubringen, und was sich dann breitmacht, ist der gefürchtete Groupthink.
Der Umstieg auf hybride Arbeitsmodelle könnte hier helfen. Wie die Beispiele Neuseeland und Südkorea zeigen, steigt bei einer Aufhebung des Lockdowns sowohl die Kommunikation mit dem engeren als auch mit der erweiterten Netzwerk. Und vorbeugend sollten Führungskräfte daran denken, Räume für die Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Teams und für das Einbringen und Diskutieren spontaner Ideen schaffen.
6 Authentizität fördert Produktivität und Wohlbefinden
Die Schwierigkeiten des Umstiegs, die Probleme mit Homeschooling und Kinderbetreuung, die Arbeit in Küche und Wohnzimmer, bellende Hunde und neugierige Katzen: all diese privaten Kleinigkeiten, die praktisch jeder von seinen Kollegen inzwischen kennt, haben dem Thema Arbeit eine sehr menschliche Note verliehen, so die Studie. „Vor der Pandemie haben wir die Menschen ermutigt, ‚ihr ganzes Selbst bei der Arbeit einzubringen‘, aber es war schwierig, sie wirklich dazu zu befähigen“, sagt Jared Spataro. „Die gemeinsame Verwundbarkeit in dieser Zeit hat uns eine große Chance gegeben, echte Authentizität in die Unternehmenskultur zu bringen und die Arbeit zum Besseren zu verändern.“
Immer mehr Arbeitende trauen sich, ihr echtes Selbst zu zeigen.
Diese Interaktionen mit den Kollegen könnten langfristig dazu beitragen, einen Arbeitsplatz zu schaffen, an dem sich Menschen wohler fühlen, wenn sie einfach sie selbst sind. Inzwischen geben 39 Prozent der Befragten an, dass sie bei der Arbeit eher bereit sind, ihr volles, authentisches Selbst zu zeigen, und 31 Prozent fühlten sich weniger peinlich berührt oder beschämt, wenn ihr Privatleben bei der Arbeit zum Vorschein kommt. Und Menschen, die enger mit ihren Kollegen interagierten als zuvor, erlebten nicht nur stärkere Arbeitsbeziehungen, sondern berichteten auch von höherer Produktivität und besserem allgemeinen Wohlbefinden.
7 Jobwechsel wurden einfacher
Wegen einem neuen Job umziehen? Diese Frage hat sich seit Corona relativiert, eher das Gegenteil ist jetzt der Fall. Etwa 46 Prozent der befragten Remote-Arbeitenden planten, in diesem Jahr privat umzuziehen, weil sie jetzt aus der Ferne arbeiten können. Arbeitende sind jetzt einfacher in der Lage, zu ihrem Wunschwohnort ziehen, ohne dass dies größere Auswirkungen auf ihre Arbeit hätte.
Die Kehrseite dieser Entwicklung ist eine stärkere Wechselwilligkeit. Die Zahl der Stellenangebote für Fernarbeit auf LinkedIn ist während der Pandemie um mehr als das Fünffache gestiegen. Das hat zweifellos auch mit dem Frust der Lockdown-Erfahrungen zu tun, und der dürfte seit dem Zeitpunkt der Erhebung (Januar 2021) eher gestiegen als gefallen sein. Damals sagten 41 Prozent der Befragten, dass sie darüber nachdenken, ihren aktuellen Arbeitgeber zu verlassen.